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Dermatologie

Blickwinkel „Patientenalter“

Psychologische Aspekte von Wunden

Dr. phil. Dipl.-Psych. Judith A. Bahmer

26.2.2024

Chronische Wunden finden sich besonders bei Älteren und Menschen in Pflege­einrichtungen. Hilflosigkeit, Ohnmacht und geringes Selbstwirksamkeitserleben sowie sozialer Rückzug sind häufige Folgen. Bei Jüngeren sollte dagegen eine artifizielle Genese bei psychiatrischer Grunderkrankung nicht übersehen werden.

Eine regelmäßig notwendige Wundversorgung kann ein Gefühl der Abhängigkeit erzeugen. Psychisch einschneidend sind quälende, zermürbende Schmerzen und dadurch bedingte Schlafstörungen.

Die häufig zur Schmerztherapie eingesetzten, stark wirksamen Analgetika und Opioide führen selbst bei bestimmungsgemäßem Gebrauch nicht selten zur Abhängigkeit, was eine intensive, suchttherapeutisch ausgerichtete stationäre Entzugsbehandlung erfordert, gefolgt von einer supportiven Psychotherapie. Grundsätzlich sollte das pharmakologische Schmerzmanagement nach einem anerkannten Schema und in Kooperation mit Schmerztherapeuten und -therapeutinnen erfolgen, je nach Fall auch Expertise aus Anästhesie, Intensivmedizin, Neurologie und Psychiatrie. Komorbide, depressive Störungen sind in dieser Patientengruppe häufig. Ursächlich sind neben dem Lebensalter auch die Furcht vor dem Verlust von Mobilität und Selbstständigkeit. Weitere negative Prädiktoren emotionaler Störungen sind mentaler Stress, mangelnde soziale Einbindung und eingeschränktes Aktivitätsniveau. Belastende Faktoren für Kontakte und Partnerschaften sind auch die Verbände und der unangenehme Geruch superinfizierter Wunden – nicht zuletzt mit Einfluss auf die sexuelle Aktivität.

Wundbezogene Einschränkungen der Lebensqualität lassen sich mit dem „Wound-QoL“-Fragebogen (Institut für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen [IVDP] am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf) erheben, der für die eigene Praxis zur nicht kommerziellen Verwendung frei verfügbar ist. Dieser Selbstbeurteilungsbogen umfasst Fragen zu Belastungsfaktoren wie Schmerzen, Geruch, Wundsekretion, emotionaler Belastung durch Sorgen, Angst oder depressive Gefühle sowie Mobilitätseinschränkungen und Kosten. Die Testergebnisse liefern nicht nur Hinweise für die Behandlungsplanung, sondern können auch als Basis für ein orientierendes Gespräch über psychische Belastungsfaktoren dienen.

Besonders bei älteren Personen ist der Erhalt von Mobilität und Autonomie von hoher Bedeutung. Die Motivation, die Pflege und Versorgung der Wunde möglichst lange selbst aufrechtzuerhalten, ist bei gut informierten und geschulten Betroffenen hoch. Kompetenzen für den Umgang mit der Wunde können über Patientenschulungen oder durch Pflegefachkräfte/MFA in der Praxis vermittelt werden.

Großlächige, artifizielle Wunde bei einer 55-jahrigen Frau

Artefaktkrankheit – selten, aber komplex

Schlecht heilende Wunden bei jüngeren Menschen treten oft als Folge nicht suizidalen, selbstverletzenden Verhaltens auf. Während die Prävalenz artifizieller Störungen des Erwachsenenalters mit bis zu 4 % relativ niedrig ist, ist sie für die offene Selbstverletzung (benignes Artefaktsyndrom) im Jugend- und jungen Erwachsenenalter um ein Mehrfaches höher. Adoleszenzkrisen sowie nicht verarbeitete, frühe Traumatisierungen können, auf Basis einer emotional-instabilen Persönlichkeitsakzentuierung, zu autoaggressiven Verhaltensweisen führen. Die Selbstverletzung dient der Impulsabfuhr und tritt auf, wenn intrapsychische Konflikte nicht anders gelöst werden können, weil die Fähigkeit zur Emotionsregulation nur defizitär entwickelt ist.

Von selbstverletzendem Verhalten sind Frauen und Mädchen besonders häufig betroffen. Die Manipulationen an der Haut werden bewusst ausgeführt und lösen daher bisweilen massive Schuld- und Schamgefühle aus. Dies auch deshalb, weil die Selbstverletzung auch als entspannend erlebt wird. Zugeben können die Betroffenen ihr Verhalten nur im Rahmen einer vertrauensvollen therapeutischen Beziehung. Entscheidend ist, diesen Menschen möglichst wertfrei und ohne Vorwurf zu begegnen. Aufforderungen, das Verhalten zu unterlassen, sind ebenso kontraproduktiv, wie der Versuch, den Betroffenen ihre Selbstbeschädigung „nachzuweisen“. Aufgrund eines häufig durch frühere Traumatisierungen verursachten Misstrauens besteht stets das Risiko für Non-Compliance und Beziehungsabbruch. Hilfreich ist, durch empathische Behandlungsführung die Bereitschaft zur psychia­trischen oder psychosomatischen konsiliarischen Untersuchung zu stärken. Vorteilhaft ist hier eine Vernetzung mit Psychotherapeutinnen und -therapeuten und psychosozialen Beratungsstellen, um in einem Erstgespräch die Indikation für eine Psychotherapie zu klären.

Schwieriger zu identifizieren sind die Artefakte an sich, die auf einer Selbstbeschädigung im dissoziativen Zustand beruhen und die, ob vorbewusst oder unbewusst, eine Re-Inszenierung früher Traumatisierungen darstellen. Bei einem Teil der Betroffenen beruht die Selbstbeschädigung auf psychischen Erkrankungen wie Schizophrenie, Persönlichkeitsstörungen und Störungen der Sexualpräferenz. Betroffen sind überzufällig häufig Erwachsene aus medizinnahen Berufen – möglicherweise weil es diesen gelingt, die Artefakte so auszuführen, dass sie nicht als solche imponieren und trotzdem zuverlässig eine ärztliche Versorgung erforderlich machen. Besonders auffällig sind nicht oder nur schlecht heilende Wunden unnatürlicher Form an gut zugänglichen Körperstellen bei ansonsten gesunden Personen. Fehlender Leidensdruck, auffällig gute Stimmung und Befund-inadäquates, fehlendes Schmerzerleben können auf eine solche „maligne“ Artefaktstörung hindeuten.

Den Teufelskreis aus Selbstverletzung, Behandlung und Behandlungssabotage können Betroffene selbst kaum durchbrechen. Bei den Behandelnden erzeugen vergebliche Therapieversuche sowohl eine ex­treme Fürsorglichkeit als auch Wut, Frustration und Ablehnung. Solche Gegenübertragungsgefühle sind für die Diagnosestellung wertvoll. Es geht jedoch nicht darum, zu überführen, sondern darum, die psychische Erkrankung zu erkennen. Empathische Begleitung und vorsichtige Motivation zur psychiatrisch-psychotherapeutischen Mitbehandlung können helfen, den Betroffenen mit souveräner Gelassenheit zu begegnen und die therapeutische Allianz zu erhalten.

Die Autorin

Dipl.-Psych. Dr. Judith A. Bahmer
Psychologische Psychotherapeutin
Praxis für Psychotherapie
48145 Münster

psycheundhaut@gmail.com

Literatur bei der Autorin

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Bildnachweis: Prof. Dr. med. Friedrich A. Bahmer; privat

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