Chronischer Juckreiz ist Symptom zahlreicher Haut- und internistischer Erkrankungen. Eine erfolgreiche Behandlung, die trotz aller Fortschritte nur bei einem Teil der Patienten gelingt, erfordert eine interdisziplinär angelegte diagnostische Abklärung, besonders in der Zusammenarbeit zwischen Dermatologie und Innerer Medizin.
Chronischer Pruritus vermindert die Lebensqualität besonders stark und schränkt die psychosoziale und berufliche Leistungsfähigkeit massiv ein, mehr als zahlreiche andere Krankheiten. In schweren Fällen ist deshalb eine psychotherapeutische Intervention indiziert.
Die Pruritus-Formen lassen sich einteilen in Erkrankungen mit pathologisch veränderter Haut und solche ohne Hautveränderungen, zumindest initial. Bei der dritten Form liegen charakteristische, stark juckende, knotige, knötchenförmige Effloreszenzen (Prurigo) oder flächenhafte, plaqueförmige Hautveränderungen (Lichen simplex) als Folge exzessiven Kratzens vor.
Der somatoforme Pruritus (ICD-10: F45.8) ist Ausdruck eines psychodynamischen Grundkonflikts, der durch psychosoziale oder emotionale Auslösefaktoren zur Symptombildung Juckreiz führt, ohne somatische Grunderkrankung der Haut oder des Stoffwechsels. Der früher geläufige, immer noch häufig verwendete Begriff „psychogener Pruritus“ sollte vermieden werden, da er in keinem der diagnostischen Klassifikationssysteme abgebildet ist.
Vom somatoformen Pruritus Betroffene berichten häufiger von emotionaler Anspannung als Trigger eines Juckreizes, der als besonders quälend, als aufwühlend und grausam beschrieben wird und zu Wut und Aggressivität führt. Stärke und Qualität des Juckreizes sind durch emotionale Faktoren wie Ängstlichkeit und Depressivität, Eigenschaften der Persönlichkeit wie Neurotizismus sowie durch dysfunktionale Kognitionen und Erwartungshaltungen moduliert.
Zu einer gründlichen Ursachenklärung des Pruritus gehören nicht nur Anamnese, körperliche Untersuchung und Laboranalysen, sondern auch die Erhebung psychodynamischer Aspekte mittels eines Symptom-Tagebuchs und der speziell für diesen Aspekt der Pruritus-Krankheiten entwickelten Eppendorfer-Juckreiz- und Juckreiz-Kognitions-Fragebögen.
Nicht nur bei somatoformem Pruritus, sondern auch bei chronisch-entzündlichen Hauterkrankungen wie der atopischen Dermatitis oder der Psoriasis können neben gravierenden Ereignissen auch alltägliche Ärgernisse („daily hassels“) beruflicher oder privater Art das Juckreizerleben verstärken. Der Ratschlag, nicht zu kratzen, ignoriert den für alle geltenden Grundsatz: „Wenn es juckt, dann muss man kratzen.“ Der Kratzreflex, jener spinal verschaltete Reflex, unterliegt nicht dem Willen und kann deshalb auch nicht unterdrückt werden, sondern etabliert einen Juckreiz-Kratz-Teufelskreis, bei dem das Kratzen die Haut traumatisiert, Histamin, Neuropeptide und andere den Juckreiz verstärkende Mediatoren freisetzt und Entzündungen begünstigt.
Aus psychologischer Sicht sind die Patienten dem Juckreiz-Kratz-Zirkel hilflos ausgeliefert. Auch gut gemeinte Ratschläge Außenstehender sind kontraproduktiv und induzieren eher noch Scham- und Schuldgefühle, die einen sozialen Rückzug sowie eine Nichtadhärenz an eigentlich sinnvolle therapeutische Maßnahmen bedingen und damit die erfolgreiche Behandlung der Erkrankung gefährden.
Diagnostische und therapeutische Maßnahmen sind ausführlich in der in diesem Jahr überarbeiteten und bereits publizierten S2k-Leitlinie „Chronischer Pruritus“ aufgeführt. Explizit werden auch psychotherapeutische und psychoedukative Verfahren als adjuvante Behandlungsmethoden angeführt. Besondere Bedeutung für die Krankheitsbewältigung haben Schulungsprogramme, in denen nicht nur Kenntnisse über Ursachen des Juckreizes und Faktoren für dessen Persistenz vermittelt werden, sondern auch praktische Fertigkeiten im Umgang mit dem Symptom.
Besonders durch verhaltenstherapeutische Interventionen können Gefühle von Hilflosigkeit und Beeinträchtigungen des Selbstwertes sowie Art und Ausmaß des Kratzverhaltens positiv beeinflusst werden. Adaptive Copingstrategien, Kratzalternativen sowie kognitive Umstrukturierung werden eingeübt. Ziel eines verhaltenstherapeutischen „Habit-Reversal-Trainings“ ist es unter anderem, Kratzen durch eine selbst gewählte Alternative wie Kühlen, Klopfen oder Kneifen zu ersetzen. Entspannungsverfahren können helfen, das psychovegetative Anspannungsniveau zu reduzieren und die Reizschwelle für den Pruritus zu erhöhen.
Die Autorin
Dipl.-Psych. Dr. Judith A. Bahmer
Psychologische Psychotherapeutin
Praxis für Psychotherapie
48145 Münster
Literatur bei der Autorin
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