Die Versorgungssituation für Erwachsene mit Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) im Vereinigten Königreich steht wie in Deutschland vor erheblichen Herausforderungen. Wie ein aktueller Bericht von „Healthwatch England“ (www.healthwatch.co.uk) zeigt, nimmt nicht nur das öffentliche Bewusstsein für ADHS zu, sondern auch die Zahl der Menschen in Großbritannien, die eine Diagnose und Unterstützung suchen. Doch das bestehende Versorgungssystem ist dieser Dynamik nicht gewachsen.
Aktuell warten knapp die Hälfte der Befragten, die auf eine ADHS-Diagnose hoffen, bereits seit über einem Jahr – teils sogar mehrere Jahre. Viele Betroffene berichten über zusätzliche „verdeckte Wartezeiten“, etwa beim Versuch, überhaupt eine Überweisung durch die Hausärztin oder den Hausarzt zu erhalten. Der Frust ist groß: Wer keine privaten Mittel für eine Diagnostik aufbringen kann, droht aus dem System zu fallen – ein Zwei-Klassen-System entsteht.
Die Konsequenzen dieser strukturellen Defizite sind erheblich: ADHS beeinträchtigt das Arbeits- und Sozialleben massiv. Diagnostizierte Personen berichten häufig von eingeschränkter Konzentrationsfähigkeit (63 %), reduzierter psychischer Gesundheit (56 %) und Schwierigkeiten im Alltag, etwa beim Haushaltsmanagement (57 %) oder in Beziehungen (44 %). Besonders gravierend ist die Situation für jene ohne Diagnose: Hier liegen die Belastungswerte regelmäßig höher – eine Folge mangelnder Unterstützung.
Ein systemischer Rückstand trifft auf steigende Nachfrage
Die Mehrheit der Diagnostizierten beschreibt die Diagnose als positiv und lebensverändernd. Insgesamt 84 % geben an, sich selbst nun besser zu verstehen. Auch die psychische Gesundheit (58 %), das Selbstwertgefühl (54 %) und die Fähigkeit zur Konzentration (47 %) verbessern sich. Allerdings wünschen sich viele eine breitere Palette an Hilfen - gerade auch für Menschen, bei denen medikamentöse Behandlung nicht infrage kommt.
Gesundheitspolitisch fordert der Bericht einen Paradigmenwechsel: ADHS-Diagnosen sollen in die hausärztliche und gemeindenahe Versorgung integriert werden. Zugleich braucht es niedrigschwellige Angebote für die lange Wartezeit – inklusive psychologischer Hilfen, Aufklärung, regelmäßiger Kontaktmöglichkeiten und mehr Unterstützung am Arbeitsplatz. Denn bislang haben nur 19 % der Betroffenen überhaupt mit ihrem Arbeitgeber über ihre ADHS gesprochen – aus Angst vor Stigmatisierung oder arbeitsrechtlichen Nachteilen.
Report: Recognising ADHD: How to improve support for people who need it. Healthwatch England, Newcastle upon Tyne (UK), Mai 2025 (https://www.healthwatch.co.uk/sites/healthwatch.co.uk/files/20250523%20ADHD%20report.pdf)
Pressemitteilung „ADHD diagnosis life-changing but long waits on the NHS need urgent action“. Healthwatch England, 28.5.2025 (https://www.healthwatch.co.uk/news/2025-05-28/adhd-diagnosis-life-changing-long-waits-nhs-need-urgent-action).