Schon lange vor der Corona-Pandemie existierte es: das Gefälligkeitsattest, um beispielsweise im Gerichtsprozess einen Gesundheitsschaden beweisen oder gegenüber einer Reiserücktrittsversicherung eine Erkrankung belegen zu können. Doch das birgt hohe Risiken, also besser Finger weg vom Gefälligkeitsattest.
Schon früher kamen manche Patientinnen mit dem Wunsch nach einer ärztlichen Bescheinigung für irgendwelche Zwecke. Mit der Corona-Pandemie gewannen ärztliche Atteste jetzt noch einmal an Bedeutung, beispielsweise die Impfscheine oder die Befreiung von der „Maskenpflicht“. Ärzte müssen hierbei jedoch äußerst wachsam sein. Solange sich der Arzt beim Ausstellen einer Bescheinigung auf eine auf Basis einer Untersuchung erstellte und fachlich einwandfreie Bewertung stützt, hat er nichts zu befürchten. Was aber, wenn er beim Ausstellen mehr dem Wunsch des Patienten als medizinischen Erkenntnissen folgt?
In der Musterberufsordnung für Ärzte (MBO-Ä) ist in § 25 unter anderem Folgendes geregelt: „Bei der Ausstellung ärztlicher Gutachten und Zeugnisse haben Ärztinnen und Ärzte mit der notwendigen Sorgfalt zu verfahren und nach bestem Wissen ihre ärztliche Überzeugung auszusprechen.“ Wenn ein Arzt also ein Gutachten oder ein Zeugnis wider besseres Wissen und unter Außerachtlassung des wissenschaftlichen Standards ausstellt, verstößt er gegen das für ihn geltende Berufsrecht. Dem Arzt drohen dann einerseits berufsrechtliche Sanktionen, die von Verwarnungen und Geldbußen bis hin zum Approbationswiderruf reichen können. Andererseits kann der berufsrechtswidrig handelnde Arzt von anderen Ärzten (Mitbewerbern) oder Wettbewerbsverbänden zur Unterlassung und ggf. Zahlung von Schadensersatz aufgefordert werden.
Das unrichtige Gesundheitszeugnis – kein Kavaliersdelikt!
Neben diesen berufsrechtlichen Folgen drohen dem Arzt unter bestimmten Voraussetzungen sogar staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren, u. U. mit Wohnungs- und Praxisdurchsuchungen und sich ggf. daran anschließenden strafrechtlichen Sanktionen. Die für die Beurteilung der strafrechtlichen Folgen eines fachlich unkorrekt ausgestellten Attests bedeutsamste Vorschrift ist § 278 StGB, der besagt: „Ärzte und andere approbierte Medizinalpersonen, welche ein unrichtiges Zeugnis über den Gesundheitszustand eines Menschen zum Gebrauch bei einer Behörde oder Versicherungsgesellschaft wider besseres Wissen ausstellen, werden mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Unter Strafe steht somit – kurz gesagt – „die schriftliche Lüge eines Arztes“. Gegen § 278 StGB verstoßen können somit nur ein Arzt oder eine andere approbierte Person. Personen anderer medizinischer Berufe wie Hebammen, Physiotherapeuten oder Heilpraktiker sind – mangels Approbation – hingegen kein tauglicher Täter.
Für die Strafbarkeit kommt es nicht darauf an, ob das Gesundheitszeugnis in schriftlicher oder digitaler Form ausgestellt wird. Mündliche Erklärungen erfüllen den Tatbestand jedoch nicht. Zudem muss es sich um eine Tatsachenerklärung über den gegenwärtigen, früheren oder voraussichtlich künftigen Gesundheitszustand eines Patienten handeln. Dazu zählen beispielsweise Impfscheine, fachärztliche Gutachten, psychotherapeutische Bescheinigungen zur Vorlage bei MPU-Einrichtungen, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, ärztliche Berichte über Blutalkoholuntersuchungen und ärztliche Bescheinigungen (Atteste) mit einer Darstellung von Krankengeschichten, Diagnosen, Befunden und Empfehlungen. Als unrichtig gilt ein solches Gesundheitszeugnis, wenn es in einem maßgeblichen Punkt von medizinischen Erkenntnissen oder Erfahrungen abweicht. Gemeint ist damit auch, dass im Zeugnis ein Befund aufgeführt wird, der nicht der Realität entspricht. Übrigens hilft es dem Arzt nicht weiter, wenn zwar die Gesamtbeurteilung des Gesundheitszustands des Patienten im Ergebnis korrekt war, sich jedoch Einzelbefunde als falsch herausstellen. Auch dies genügt für die vom Gesetzgeber verlangte „Unrichtigkeit“.
Unrichtig kann ein Gesundheitszeugnis auch sein, wenn es über einen Befund angefertigt wird, obwohl gar keine Untersuchung stattgefunden hat. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Adressat des Zeugnisses davon ausgehen darf, dass eine Untersuchung erfolgt ist. Dass sich für eine Untersuchung Arzt und Patient körperlich gegenüberstehen müssen, erscheint im Zeitalter von Fernbehandlung und Telemedizin zwar befremdlich. Gleichwohl darf von einer solchen persönlichen Untersuchung nur im Ausnahmefall abgesehen werden. Ein Verzicht auf die persönliche Untersuchung und ein bloßes Telefonat sei nach Ansicht des OLG Frankfurt (OLG Frankfurt, Urteil vom 04.05.1977 – 2 Ss 146/77) beispielsweise möglich, wenn der Arzt seinen Patienten für vertrauenswürdig und für intellektuell befähigt hält, der Patient seine Beschwerden hinreichend anschaulich schildert und sich die geschilderten Symptome widerspruchsfrei in ein bestimmtes Krankheitsbild einfügen.
Vor dem Hintergrund der derzeitigen Entwicklungen im Bereich der Telemedizin erstaunlich restriktiv fiel hingegen die nicht allzu lang zurückliegende Entscheidung des LG Hamburg aus (LG Hamburg, Urteil vom 03.09.2019 – 406 HK O 56/19). Darin führt das
LG Hamburg aus, dass die nach § 25 MBO-Ä notwendige Sorgfalt bei der Ausstellung ärztlicher Atteste grundsätzlich einen unmittelbaren physischen Kontakt zwischen Arzt und Patient erfordert und die Ausstellung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen basierend auf einer Fernbehandlung gegen die ärztliche Sorgfalt verstößt, wenn über den Einzelfall hinausgehend Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen auch nur bei leichteren Erkrankungen regelhaft ohne persönlichen Kontakt erteilt werden. Im Zuge der Corona-Pandemie – die Entscheidung des LG Hamburg lag wohlgemerkt davor – wurde eine Ausnahme mit der Änderung der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) geschaffen. Danach können Ärzte Patienten, die an leichten Atemwegserkrankungen leiden, auch rein telefonisch für bis zu sieben Kalendertage (einmalig telefonisch verlängerbar) krankschreiben.
Daraus sollte aber keine pauschale Ausnahme geschlossen werden, von der persönlichen Untersuchung in jedem Fall absehen zu dürfen. Zum einen ist die Ausnahme befristet (wurde aber bereits mehrmals verlängert). Zum anderen greift sie nur in einem engen Indikationsbereich. Ob dadurch nun der Weg für den Vormarsch der Fernbehandlung geebnet wurde oder es sich letztlich bloß um eine zeitlich begrenzte pandemiebedingte Notlösung handelt, kann mit letzter Gewissheit noch nicht gesagt werden. Solange jedenfalls eine solche Ausnahme vom Erfordernis der körperlichen Untersuchung nicht dauerhaft ins deutsche Normengefüge Eingang gefunden hat, ist Vorsicht geboten (zumal die Rechtswirkungen der Ausnahmeregelung des G-BA außerhalb des Bereichs der gesetzlichen Krankenversicherung intensiv diskutiert werden).
In diesem Zusammenhang sei auch auf eine – ebenso restriktive – aktuelle Entscheidung des VG Würzburg (VG Würzburg, Beschluss vom 24.11.2020 – W 8 E 20.1772) hingewiesen, wonach ein in einem Gerichtsprozess vorgelegtes Attest zur Befreiung von der Maskenpflicht dann nicht ausreiche, wenn das Attest erkennbar ohne persönliche Untersuchung erstellt worden ist.
Sollte der Arzt trotz alledem für das Ausstellen eines Gesundheitszeugnisses eine persönliche Untersuchung nicht für erforderlich halten, empfiehlt es sich aus strafrechtspräventiver Sicht jedenfalls, diese Umstände auch im Gesundheitszeugnis niederzulegen und offenzulegen, dass keine Untersuchung im klassischen Sinne stattgefunden hat. Dadurch kann das Strafbarkeitsrisiko erheblich reduziert werden.
Eine weitere Besonderheit des Straftatbestands des § 278 StGB liegt darin, dass sich der Arzt nur dann strafbar macht, wenn das unrichtige Gesundheitszeugnis zum Gebrauch bei einer Behörde oder Versicherungsgesellschaft ausgestellt wurde, also mit einer Zweckbestimmung, und dies wider besseres Wissen. Der Arzt muss also zum einen wissen, dass sein Zeugnis unrichtig ist. Zum anderen muss er es in Kauf genommen haben, dass das unrichtige Zeugnis gegenüber einer Behörde oder einer Versicherungsgesellschaft eingesetzt wird. Klassische Beispiele sind somit ein Gesundheitszeugnis, das einer Krankenkasse, einer Berufsunfähigkeitsversicherung oder einer Reiserücktrittsversicherung vorgelegt werden soll. Auch ein Attest, das seinerzeit zur Vermeidung des Wehrdienstes ausgestellt wurde, fiel hierunter.
Zwar mag es sein, dass an diesem Kriterium der Zweckbestimmung der strafrechtliche Vorwurf in der Praxis oftmals scheitern wird. Allerdings haben Gesundheitszeugnisse im Zuge der Pandemie eine regelrechte Renaissance erlebt. Wenn somit auf ausdrücklichen Wunsch eines Patienten ein Attest ausgestellt wird, das eine medizinisch nicht einwandfrei hergeleitete Befreiung von einer „Maskenpflicht“ beinhaltet, dieses gegenüber einer Behörde eingesetzt wird und der Arzt dies bei der Ausstellung billigend in Kauf nahm, setzt er sich erheblichen Risiken aus. Klarzustellen ist in diesem Zusammenhang, dass auch Schulen in öffentlicher Trägerschaft Behörden sind.
Diese Strafbarkeitslücken hat auch der Gesetzgeber erkannt und in einer Hauruckaktion neue Straftatbestände im Zusammenhang mit „Corona-Dokumenten“ eingeführt. Sollte ein Arzt nun wissentlich eine Schutzimpfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 zur Täuschung im Rechtsverkehr (nicht nur gegenüber einer Versicherung oder Behörde) nicht richtig dokumentieren (§ 74 Abs. 2 IfSG) oder ein COVID-19-Impfzertifikat, ein COVID-19-Genesenenzertifikat oder ein COVID-19-Testzertifikat (§ 75a Abs. 1a IfSG) wissentlich falsch ausstellen, droht seit Kurzem sogar eine Freiheitsstrafe. Werden hingegen andere Schutzimpfungen falsch dokumentiert, sieht das Infektionsschutzrecht lediglich ein Bußgeld vor.
Stellt ein Arzt eine medizinisch unzutreffende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aus, erfüllt er den Tatbestand des § 278 StGB solange nicht, als die Bescheinigung „nur“ dem (nicht behördlichen) Arbeitgeber des Patienten vorgelegt wird. Sollte jedoch das falsche Zeugnis später auch bei der Krankenversicherung landen, kann § 278 StGB wiederum einschlägig werden. Zudem drohen neben den bereits zu Beginn geschilderten berufsrechtlichen Risiken auch Regressrisiken, wenn der Arzt hierfür vom Kostenträger vergütet wurde. Hinzukommt noch das Risiko einer Beihilfe zum Betrug, wenn der Patient durch das Attest zu Unrecht Leistungen seiner Krankenversicherung bezogen hat.
Ein Totenschein kann unrichtig sein, wenn darin das Feld „natürliche Todesursache“ angekreuzt wird, obwohl die konkrete Todesursache zweifelhaft war. Ein Totenschein ist allerdings nicht als Gesundheitszeugnis im Sinne des § 278 StGB zu sehen. Dennoch drohen dem Aussteller des unrichtigen Totenscheins Sanktionen. Zum einen existieren viele landesrechtliche Regelungen (z. B. Bestattungsgesetze), die falsche Angaben hier mit einem Bußgeld ahnden. Zum anderen kommen auch strafrechtliche Vorschriften wie mittelbare Falschbeurkundung nach § 271 StGB und Strafvereitelung nach § 258 StGB in Betracht.
FAZIT:
Letztlich ist einem Arzt tunlichst davon abzuraten, dem Wunsch eines Patienten nachzugeben und „nur mal kurz“ ein Gesundheitszeugnis auszustellen, ohne sich – ob nun durch eine physische Untersuchung vor Ort oder auf anderem Wege – vom zu bescheinigenden Gesundheitszustand des Patienten überzeugt zu haben. Der Arzt muss auch bei solchen Dokumenten die Regeln der ärztlichen Kunst anwenden und darf sich nicht instrumentalisieren lassen. Grund hierfür ist nicht nur das ärztliche Ethos. Die drohenden Risiken, die bis hin zu strafrechtlichen Sanktionen und Approbationswiderruf reichen können, sind schlicht zu hoch (> Medizinrecht).
Der Autor
Dr. jur. Christian Bichler
Rechtsanwalt und Wirtschaftsmediator
Fachanwalt für Medizinrecht
85609 Aschheim
Literatur beim Autor
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