Wenn Patientinnen bzw. Patienten eine Kopie ihrer Patientenakte fordern, stellen sich 2 Fragen: Darf die Kopie herausgegeben werden und wer trägt die Kosten? Der Europäische Gerichtshof hat hierzu bereits im Jahr 2023 ein wegweisendes Urteil gefällt, das der deutsche Gesetzgeber derzeit noch final umsetzen muss.
Nach dem deutschen Patientenrechtegesetz (§§ 630f, 630g BGB) ist jeder Arzt bzw. jede Ärztin verpflichtet, eine Patientenakte (PA) entweder in Papierform oder elektronisch zu führen. Nicht selten verlangen Patienten und Patientinnen die Einsichtnahme in ihre PA oder sogar eine Kopie. Dass diese hierauf einen Anspruch haben, steht nicht zur Debatte. Das Recht auf Einsichtnahme in die PA ergibt sich aus dem mit der Praxis geschlossenen Behandlungsvertrag und stellt eine vertragliche Nebenpflicht dar. Außerdem handelt es sich um eine berufsrechtliche Pflicht der Ärzteschaft, die in § 10 Abs. 2 MBO-Ä geregelt ist. Die behandelte Person hat also das Recht, auf Verlangen jederzeit ohne Angabe von Gründen in ihre Patientenunterlagen Einsicht zu nehmen, wenn keine therapeutischen Gründe oder Rechte Dritter entgegenstehen (§ 630g Abs. 1 Satz 1 BGB). Anstelle einer Einsichtnahme kann die Patientin oder der Patient auch die Überlassung von elektronischen Abschriften (§ 630g Abs. 2 Satz 1 BGB) bzw. die Überlassung von Kopien in Papierform verlangen. Die Originalakten muss die Praxis dagegen nicht zur Mitnahme aushändigen.
Das Recht auf Einsicht in die Patientenakte ergibt sich aus dem Behandlungsvertrag.
Wer muss die Kopie zahlen?
Während die Frage der Einsichtnahme somit als unumstritten gilt, ist die Pflicht zur Kostentragung etwaiger Kopien noch gar nicht so lange geklärt, weshalb an dieser Stelle noch einmal auf diese Thematik eingegangen werden soll.
Worum ging es in dem Fall? Um einen Haftungsprozess gegen seine Zahnärztin vorbereiten zu können, verlangte ein Patient die unentgeltliche Herausgabe einer Kopie seiner Patientenakte. Die Zahnärztin händigte daraufhin die Kopie der Akte aus, verweigerte jedoch, dies auf eigene Kosten zu tun, da dies nach deutschem Recht schließlich so vorgesehen ist (§ 630g Abs. 2 Satz 2 BGB). Daraufhin erhob der Patient Klage, da die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) vorsieht, dass Auskünfte unentgeltlich erfolgen müssen (Art. 12 Abs. 5 DSGVO). Die Frage landete schließlich beim Bundesgerichtshof (BGH), welcher diese dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Vorabentscheidung vorlegte, da der Gesetzgeber das Verhältnis zwischen der DSGVO und dem BGB bislang nicht geklärt hatte. So ging es vorliegend nicht darum, dass sich der Patient seiner personenbezogenen Daten bewusst werden wollte, sondern um datenschutzfremde Zwecke, nämlich die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen. Das Ergebnis hing also davon ab, wie die Regelung der DSGVO genau auszulegen ist. Grundsätzlich ist es aber so, dass nationales Recht – vorliegend also § 630g Abs. 2 Satz 2 BGB –, das gegen EU-Recht verstößt, nicht angewendet werden darf.
Was regelt das Gesetz?
§ 630g Abs. 2 Satz 2 BGB regelt bislang noch, dass die Kosten für die Kopie der Behandlungsakte vom Patienten zu tragen sind. Nun hat aber der EuGH in seinem Urteil vom 26.10.2023 (Az.: C-307/22) entschieden, dass das soeben zitierte Gesetz nicht mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Er begründet seine Entscheidung mit den Artikeln 12 Abs. 5, 15 Abs. 1 und 3 der DSGVO. Die Begründung des Europäischen Gerichtshofs beruhte darauf, dass der Behandler im Sinne der DSGVO für die Verarbeitung personenbezogener Daten des Patienten verantwortlich ist, was einen kostenfreien Auskunftsanspruch gemäß Art. 15 Abs. 3 DSGVO begründet.
Art. 15 Abs. 3 Satz 1 und 2 DSGVO
„Der Verantwortliche stellt eine Kopie der personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind, zur Verfügung. Für alle weiteren Kopien, die die betroffene Person beantragt, kann der Verantwortliche ein angemessenes Entgelt auf der Grundlage der Verwaltungskosten verlangen.“
Unionsrechtswidrigkeit des § 630g Abs. 2 Satz 2 BGB
Die aktuelle Fassung des § 630g Abs. 2 Satz 2 BGB ist folglich unionsrechtswidrig. Dies bedeutet, dass der deutsche Gesetzgeber die Pflicht hat, auf das Urteil des EuGH zu reagieren und die Vorschrift im Einklang mit dem EU-Recht abzuändern oder zu streichen. Ende Mai 2024 hat deshalb das Bundesjustizministerium die Rechtsprechung des EuGH aufgegriffen und den Entwurf eines Gesetzes zur „Einsichtnahme in die Patientenakte und Vererblichkeit bei Persönlichkeitsrechtsverletzung“ vorgelegt. Durch die Neuregelung wird nun § 630g BGB in Einklang mit dem europäischen Recht gebracht.
Unentgeltlich muss nur die erste Kopie ausgehändigt werden.
Handlungsempfehlung für den Praxisalltag
Praxen sollen die verlangten Kopien auf eigene Kosten anfertigen. Die kopierten Unterlagen müssen unentgeltlich, vollständig, originalgetreu und verständlich an den Patienten bzw. an die Patientin herausgegeben werden. Die Unentgeltlichkeit gilt laut Gesetz dabei allerdings nur für die erste Kopie der Akte. Für jede weitere Kopie trägt die Patientin oder der Patient zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips die Kosten selbst. Die wirtschaftlichen Interessen der behandelnden Praxis werden auf diese Weise geschützt. Aus diesem Grund ist es wichtig, die Tatsache, dass bereits eine unentgeltliche Kopie rausgegeben wurde, in der PA festzuhalten, sodass eine Abrechnung bei jeder erneuten Anfrage erfolgen kann. Nicht zu empfehlen ist es, auf Verweis des § 630g Abs. 2 Satz 2 BGB die Kostentragung zu verweigern, da eine solche Vorgehensweise gegen die DSGVO verstößt. Gemäß Art. 77 DSGVO haben Patienten und Patientinnen das Recht auf eine Beschwerde bei der Datenschutzbehörde, die im schlimmsten Fall ein Bußgeld zur Folge hat.
Die Autorin
Pia Nicklas
Wirtschaftsjuristin
Juristische Texterstellung
und Textredaktion
90587 Veitsbronn
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