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Recht

Digitale Gynäkologie

Was darf und kann Telemedizin in der Praxis?

Katri Helena Lyck

18.2.2022

Die Frauenheilkunde hat besonders vielfältige und anspruchsvolle Aufgaben, inklusive der Begleitung von Schwangerschaft und Geburt. In Anbetracht dessen stellt sich die Frage, wie telemedizinische Leistungen in den Alltag einer gynäkologischen Praxis und damit in die Versorgung integriert werden können.

Die Vorteile telemedizinischer Behandlung per Videosprechstunde liegen auf der Hand. Auf dem Land bzw. in schwach versorgten Gebieten wird der Zugang zur Medizin erleichtert, es besteht keine Infektionsgefahr, lange Anfahrtswege sowie Wartezeiten entfallen und Termine können schneller vergeben werden. Ein weiterer Vorteil ist, dass viele Patientinnen sich in ihrer gewohnten Umgebung wohler fühlen und Fragen entfallen wie: Wann kann ich überhaupt einen Arzttermin einschieben? Wer übernimmt in der Zeit die Kinderbetreuung?


Nach einer Patientenumfrage (Datapuls 2021 von SocialWave) wollen 74,9 % der Patienten die Videosprechstunde bzw. Telemedizin vor allem aus einem Grund: um früher einen Termin zu erhalten. Überdies wünschen sich Patientinnen Empfehlungen von ihren Ärzten. Insbesondere junge und berufstätige Frauen wünschen sich mehr Flexibilität bei der Kommunikation. Sie möchten ihr Anliegen jederzeit und unabhängig von zeitlichen Engpässen diskutieren. Schwangere, wenig mobile Patientinnen oder solche mit langem Anfahrtsweg wollen außerdem unnötige Praxisbesuche vermeiden. Mit diesen Vorüberlegungen im Hinterkopf ergibt sich der erweiterbare Katalog telemedizinischer Termine in der Gynäkologie:

  • ein Routine-Check-in nach einer Operation oder einem anderen Eingriff
  • ein Rezept zur Geburtenkontrolle (oder Nachfüllung) einschließlich Notfallverhütung
  • Hilfe bei Wechseljahresbeschwerden
  • Hilfe bei und Screening auf Gewalt in der Partnerschaft
  • Besprechen von Möglichkeiten, wenn Sie fest­­stellen oder vermuten, dass Sie schwanger sind
  • Besprechung von Laborergebnissen
  • Beratung zur Folsäure-Supplementierung
  • gesunde Ernährung und Aktivitätsberatung
  • Beratung zur Prävention von sexuell übertrag­baren Infektionen
  • Beratung und eventuelle Verschreibung von ­Medikamenten zur Senkung des Brustkrebs­risikos (> Mammakarzinom).
  • Risikobewertung für BRCA-Tests
  • Stillservice und -bedarf
  • Verhütungsberatung, Besprechung von Methoden und Verschreibung von Verhütungsmitteln, die keinen persönlichen Besuch erfordern

Zudem ist die Videosprechstunde ideal für Beratungen im Zuge von Teenager-, Kinderwunsch- oder Menopause-Sprechstunden.


Berufsrecht der Ärzte

Mit Änderung der Musterberufsordnung für Ärzte (MBO-Ä) wurde 2018 das Fernbehandlungsrecht liberalisiert. § 7 Abs. M4 MBO-Ä bietet seitdem die rechtliche Grundlage für Videosprechstunden unter den dort genannten Voraussetzungen. Es gilt der Grundsatz, dass der Arzt die Patienten in erster Linie im persönlichen Kontakt behandeln soll. Eine ausschließliche Beratung oder Behandlung über Kommunikationsmedien ist nur im Einzelfall vorgesehen, wenn dies ärztlich vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorgfalt insbesondere durch die Art und Weise der Befunderhebung, Beratung, Behandlung sowie Dokumentation gewahrt wird.

Eine weitere Einschränkung könnte von konservativen Vertretern in § 17 Abs. 1 MBO-Ä gesehen werden. Dieser regelt, dass die Ausübung ambulanter ärztlicher Tätigkeit grundsätzlich an die Niederlassung in einer Praxis (Praxissitz) gebunden ist. Sinn und Zweck dieser Regelung sind der Patientenschutz und die Qualitätssicherung. Aufgrund der technischen Voraussetzungen, welche zertifizierte Videosprechstundenanbieter gewährleisten müssen, kann diese Qualitätssicherung auch durch die Telemedizin sichergestellt werden. Zum einen können digitale Aufzeichnungen gespeichert werden, zum anderen ist nicht erkennbar, warum die Qualitätssicherung und der Patientenschutz ausschließlich in den Praxisräumen des behandelnden Arztes zu gewährleisten sein soll. Überdies kann eine Videosprechstunde unter Einhaltung des Datenschutzes und der ärztlichen Schweigepflicht abgehalten werden.

Mit Wirkung zum 20. März 2021 ist eine aktualisierte Vereinbarung der Anlage 31b zum Bundesmantelvertrag-Ärzte in Kraft getreten. Durch die Neufassung sind unter anderem die Anforderungen an die Zertifikate und die ausstellenden Stellen zum Nachweis von IT-Sicherheit und Datenschutz aktualisiert worden. Die zertifizierten Anbieter der Videosprechstunde erfüllen damit den höchsten rechtlich erforderlichen Standard (> Medizinrecht).

Bei Frauenärzten kann das bedeuten, dass die ­Rezeptausstellungen für hormonelle Verhütungsmittel im Zuge einer digitalen Konsultation stattfinden. Auch können Fragen zu Kontrazeption, Schwangerschaft und anderen Themen in einer ­Online-Sprechstunde beantwortet werden. Idealerweise betreut der gleiche Arzt bzw. die gleiche ­Ärztin die jeweilige Patientin in der Praxis und bei telemedizinischen Konsultationen. Wünschenswert ist auch, die Online-Betreuungsangebote ggf. durch weiteres Fachpersonal, etwa Hebammen, zu ­ergänzen.


Mit welchen Anbietern darf zusammen­gearbeitet werden?

Der Datenschutz und die DSGVO müssen eingehalten werden, sodass im Arztbereich auf von der KV zugelassene Anbietersysteme zurückgegriffen werden muss. Ärzte können Leistungen im Zuge der Telemedizin erst dann abrechnen, wenn sie dies ihrer Kassenärztlichen Vereinigung angezeigt haben.


Bei der Vielzahl von Videosprechstundenanbietern sollte die Praxis auf Details achten, wie Terminverwaltung- und buchung, die bequeme Handhabung von Terminen, die Möglichkeit der Einladung der Patientinnen per SMS und/oder E-Mail, die Terminplanung durch Mitarbeiterinnen sollte möglich sein und erforderlich der verschlüsselte Dokumentenaustausch.

Für eine höhere Patientinnenorientierung sollte der zertifizierte Anbieter der Videosprechstunde darüber hinaus anbieten, dass die Patientinnen die Termine selbstständig buchen können, es einen Dolmetscherservice gibt, der Bildschirm geteilt werden kann und Gruppengespräche stattfinden können. Insbesondere Gruppengespräche lassen so zu, dass der Partner auch an den Gesprächen teilnehmen kann, obwohl er oder sie sich an einem andere Ort befindet.


Grenzen der Videosprechstunde

Die Formalitäten zur Abrechnung und Zulässigkeit von Videosprechstunden unterscheiden sich je nach Bundesland. In den vergangenen 24 Monaten haben sich die Rahmenbedingungen häufiger geändert, weshalb der Hinweis der unterschiedlichen Beurteilung zur Fernbehandlung bitte zu beachten ist. Wer für sich die Videosprechstunde anbieten möchte, um so die Praxis zukunftsfähig aufzustellen, sollte bei seiner jeweiligen Länderkammer anfragen.

Werbung für rein digitalen Arztbesuch ist unzulässig. Das bis vor Kurzem strenge Werbeverbot für Fernbehandlungen ist mit Einführung des Digitale-Versorgung-Gesetzes (DVG) vom 9. Dezember 2019 gelockert worden, nachdem die Telemedizin zunehmend Einzug in die Patientenversorgung gefunden hatte. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in seiner jüngsten Entscheidung vom Dezember 2021 entschieden, dass die Werbung für eine umfassende, nicht auf bestimmte Krankheiten oder Beschwerden beschränkte ärztliche Primärversorgung (Diagnose, Therapieempfehlung, Krankschreibung) im Wege der Fernbehandlung gegen das Werbeverbot des § 9 HWG verstößt.


Er betont in diesem Urteil, dass mit den allgemein anerkannten fachlichen Standards nicht die Regelungen des für den behandelnden Arzt geltenden Berufsrechts gemeint seien. Der Begriff der allgemein anerkannten fachlichen Standards sei unter Rückgriff auf den entsprechenden Begriff in § 630a Abs. 2 BGB, der die Pflichten aus einem medizinischen Behandlungsvertrag regelt, und die dazu von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze auszulegen. Danach könnten sich solche Standards auch erst im Lauf der Zeit entwickeln und etwa aus den Leitlinien medizinischer Fachgesellschaften oder den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) gemäß §§ 92, 136 SGB V ergeben.

Damit hat der BGH auch die Tür für die Fernbehandlungswerbung geöffnet. Es ist nun an der Zeit, dass Fachgesellschaften und/oder der G-BA hier aktiv werden, um vor diesem Hintergrund neue objektive fachliche Standards zu setzen. Somit wären dann neben der Zulässigkeit der Videosprechstunde als solches auch deren Werbung möglich.


Tipps im Umgang

Es ist wichtig zu verstehen, auf welche Weise Telemedizin die Praxis effizienter macht. Ärzte können in ihrer Praxis analysieren, wie Zeit gespart werden kann, ob z. B. die Anzahl nicht eingehaltener Termine reduziert werden kann oder mehr Patienten erreicht werden können (> Praxismanagement).

Die Praxis sollte feste Zeiten für diese Art der Kommunikation einplanen, z. B. vor der Mittagspause oder vor Feierabend. Die Patientinnen sollten über das Angebot der Praxis informiert werden. Dies kann in der Praxis erfolgen oder auch durch Hinweise auf der Homepage. Nicht medizinische Anfragen, z. B. für Rezepte oder die Übermittlung von Befunden, könnten an die Mitarbeiterinnen delegiert werden. Allen, die bisher mit der Videosprechstunde wenig Berührung hatten, ist zu empfehlen, dass sie teils kostenfreie Webinare besuchen, um sich so Sicherheit im Umgang mit der neuen Sprechstundenmöglichkeit anzueignen. Hier können sich die Ärzte über die Möglichkeiten informieren und sich dabei auch zeigen lassen, wie digitale Werkzeuge die Arbeit in der Praxis unterstützen.


Nutzen erkennen und innovative Wege gehen

Die ehemalige Hewlett Packard Chefin Carly Fiorina prägte im Jahr 2009 den Satz „Alles, was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert“. Wir sind davon überzeugt, dass die Digitalisierung vor allem auch die Gesundheitsbranche nachhaltig prägen und verändern wird (> eHealth). Selbstverständlich ist in vielen Situationen ein persönlicher, physischer Arzt-Patienten-Kontakt unbedingt erforderlich. Allerdings existieren eben auch viele Möglichkeiten, die Telemedizin in das Behandlungsspektrum sinnvoll zu integrieren.


Hier finden Sie den  www.medizinrecht-blog.de.

Die Autorin

Katri Helena Lyck
Lyck+Pätzold
healthcare.recht
Im Atzelnest 5
61352 Bad Homburg

lyck@medizinanwaelte.de

Literatur bei der Autorin

Bildnachweis: privat

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