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Dermatologie

Malignes Melanom

Paradigmenwechsel und Neuzulassung – Neues vom ASCO 2022

Dr. med. Christine Adderson-Kisser

18.8.2022

Prof. Dr. med. Axel Hauschild (Kiel) berichtet von der aktuellen Neuzulassung von Pembrolizumab im Stadium II und den in der deutschen Melanom-Leitlinie zu erwartenden Änderungen bei den Therapieempfehlungen – denn die auf dem ASCO 2022 berichteten Studienergebnisse zeigen eine deutliche Zweiteilung im Therapieansprechen.

Was hat der ASCO 2022 an neuen Erkenntnissen gebracht?

Es gab interessante Updates zu bereits bekannten Zulassungsstudien, z. B. die COMBI-AD-Studie für die adjuvante Situation im Stadium III mit Dabrafenib und Trametinib bei BRAF-mutierten Patienten. Dort haben wir ein weiteres Ergebnis zum fernmetastasenfreien Überleben gesehen, das wirklich sehr gut aussieht. Wir gehen davon aus, dass alle Endpunkte, also rezidivfreies, fernmetastasenfreies und Gesamtüberleben, auch am Ende der Studie in ein bis zwei Jahren wirklich positiv sind und bleiben. Das heißt, wir hätten in „the long run“ mit über fünf ­Jahren Nachbeobachtungszeit gezeigt, dass wir mit Dabrafenib und Trametinib die Heilung in der adjuvanten Situation wirklich beeinflussen können!

Wie sehen die Ergebnisse für Stadium III in vergleichbaren Studien aus?

Es gibt eine interessante Versorgungsforschungsstudie aus Deutschland, die von der Erstautorin ­Elisabeth Livingstone (Essen) als Poster vorgestellt wurde. In diese retrospektive Analyse wurden 814 Patienten im Tumorstadium III inkludiert, von denen 309 eine BRAF-Mutation aufwiesen. 66 % aller Patienten erhielten eine Immuncheckpoint-Inhibition mit einem PD-1-Antikörper, 14 % Dabrafenib und Trametinib sowie 21 % gar keine adjuvante Therapie nach Aufklärung. Etwas überraschend zeigte sich eine ungewöhnlich hohe Zahl (62 %) an Tumorrezidiven bereits während der Therapie mit PD-1-Antikörpern und für die „targeted therapies“ nur eine 20%ige Rezidivrate. Therapiebedingte Abbrüche waren dagegen deutlich häufiger bei den „targeted therapies“ zu vermerken. Auch wenn die Ergebnisse noch einer weiteren Präzi­sierung bedürfen, kann jetzt schon festgehalten werden, dass die BRAF-gerichtete Therapie in Bezug auf das rezidivfreie Überleben deutlich besser war als PD-1-Antikörper (Abb.).

Wurden zur adjuvanten Therapie im Stadium IV auch Daten vorgestellt?

Ja, und da ist genau das Gegenteil der Fall. Lars Bastholt aus Odense (Dänemark) hat die Ergebnisse einer Metaanalyse mit mehr als 1 000 Patienten aus dem europäischen Melanom-Register EUMelaReg vorgestellt, die zeigen, dass im Stadium IV, also beim fernmetastasierten Melanom, die Immuncheckpoint-Blockade den BRAF-assoziierten Therapien eindeutig überlegen ist. Und es gibt eine weitere Studie, die diese Erkenntnisse stützt, die DREAM SEQUENCE von ­Michael Atkins aus Boston (USA). Das Update dieser einzigen rando­misierten Studie zum Vergleich von Ipilimumab/Nivolumab mit Dabrafenib/Trametinib wurde jetzt auch auf dem ASCO vorgestellt. Und da hat sich gezeigt, dass für die Immuncheckpoint-Blockade im Vergleich zu Dabrafenib und Trametinib ein 20%iger Benefit im Gesamtüberleben nach zwei und auch nach drei Jahren besteht. Damit ist eigentlich alles vorhanden, um zu sagen: im Stadium IV haben in der Erstlinienbehandlung die BRAF-assoziierten Therapien nur ausnahmsweise noch etwas verloren.

Und wie sieht es im neoadjuvanten Bereich aus?

Auch in der neoadjuvanten Therapie zeigen die neu vorliegenden Ergebnisse ganz klar eine massive Überlegenheit für die kombinierte Immuntherapie mit Ipilimumab und Nivolumab im Vergleich zu BRAF-assoziierten Therapien mit Dabrafenib und Trametinib. Und deswegen wird dort eigentlich nur mit den Immuntherapien fortgefahren.

Diesbezüglich waren auch die von Christian Blank aus Holland vorgestellten Ergebnisse der multizentrischen PRADO-Studie ein Highlight des ASCO-Kongresses. Denn die haben gezeigt, dass die neoadjuvante Therapie mit Ipilimumab und Nivolumab unter Umständen die klassische chirurgische Maßnahme einer kompletten Lymphadenektomie bei vorhandenen Lymphknotenmetastasen ersetzen kann. In jeder Leitlinie der Welt steht, dass wir immer eine komplettierende Lymphadenektomie durchführen müssen, wenn wir eine Makrometastase haben. Aber das kann man kritisch hinterfragen, wenn man ­vorher neoadjuvant Ipilimumab/Nivolumab gibt und damit bei 60 % der Patienten eine komplette Remission erzeugen kann. Und das wäre natürlich ein Paradigmenwechsel: Die chirurgische Maßnahme wird unter Umständen entbehrlich. Christian Blank sagt weiter, dass aufgrund der sehr guten Ergebnisse im weiteren Follow-up auch die adjuvante Therapie für diejenigen mit kompletter Remission entbehrlich werden könnte. Es würden also nur die Patienten eine adjuvante Therapie erhalten, die eine partielle Remission oder gar kein Ansprechen gezeigt haben.

Würde man bei diesen Patienten dann adjuvant einen Therapiewechsel vornehmen?

Ja, genau, man würde, wenn man vorher Checkpoint-Inhibitoren gegeben hat, für diejenigen, die keine Remission erreicht haben, zu Dabrafenib und Trametinib tendieren. Für diejenigen mit partieller Remmission ist im Protokoll vorgesehen, auch Nivo­lumab oder Pembrolizumab zu geben, weil sie ja zumindest partiell angesprochen haben.

Und wie sieht es im Stadium II aus?

Im Stadium II gibt es bisher keine Daten zum Vergleich von BRAF-assoziierten Therapien mit Immuntherapien. Aktuell läuft aber eine neue Studie zu Encorafenib und Binimetinib an, die COLUMBUS AD, die kürzlich den ersten Patienten in Australien eingeschlossen hat.

Aber zum Stadium II gibt es trotzdem wirkliche News: Es wurde ein Update zur Zulassungsstudie KEY­NOTE-716 für Pembrolizumab in der adjuvanten Situation im Stadium II gefahren – Pembrolizumab ist bis dato nur durch die FDA in den USA zugelassen – und da haben wir erstmals die Daten zum fernmetastasenfreien Überleben gesehen, die statistisch signifikant sind. Ebenso verhält es sich auch beim rezidivfreien und fernmetastasenfreien Überleben, das ja ein guter Surrogatmarker für das ­Gesamtüberleben ist. Von daher sind das sehr gute Daten, die nicht ohne Grund als Late-Breaking-­Abstract beim Melanom ausgezeichnet wurden. Ende Juni 2022 war es dann auch soweit: Pembrolizumab wurde für das Tumorstadium IIB/C, das heißt für alle Patienten mit einer Tumordicke von mehr als 2 mm und einer Ulzeration sowie alle Patienten mit mehr als 4 mm Tumordicke auch ohne Ulzeration, auch bei negativem Schildwächterlymphknoten ­zugelassen. Und da das Präparat an sich ja schon auf dem Markt ist, können wir von jetzt auf gleich in Deutschland Pembrolizumab auch im Stadium II einsetzen – ohne einen Antrag bei den Krankenkassen stellen zu müssen. Und das mit Daten zum rezidivfreien und fernmetastasenfreien Überleben! Finde ich persönlich eine tolle Sache.

Heißt das dann, die Interferontherapie wird komplett ersetzt?

Ja genau, das löst die Interferontherapie im Stadium II komplett ab. Sie steht zwar in der deutschen Leitlinie noch drin, aber nur, weil die Leitlinie so langsam in der Umsetzung von Neuigkeiten ist. Aber streng genommen sind die Interferone tot, sie werden in Deutschland auch gar nicht mehr hergestellt. „Goodbye interferons“ haben wir schon vor zwei Jahren gesagt, und das trifft jetzt wirklich zu. Aber jetzt haben wir auch wirklich etwas, das wir einsetzen können.

Ist Pembrolizumab jetzt also für alle Patienten in den Stadien IIB und IIC die Lösung?

Tja, damit kommen wir neben den Pros auch zu den Kontras bezüglich der Therapie in den Stadien IIB und IIC, also den beiden prognostisch ungünstigen Gruppen. Denn die Nebenwirkungsrate ist nicht ganz trivial. Jetzt beim Update lag die Abbruchrate bei 16 % – unter Placebo waren es 2 %. Man könnte zwar denken, dass es ja trotz Abbruchrate zu einem guten Ergebnis kam, aber es gibt eben auch eine Gruppe von Patienten, etwa 20 %, die nach der ­Therapie ihr Leben lang eine Hormonsubstitution benötigt. Denn die Nebenwirkungen, die auftreten, sind überwiegend autoimmuner Natur, wie man es auch bei den anderen Immuncheckpoint-Inhibitoren gesehen hat. Am häufigsten treten Autoimmunthyreoiditiden auf, die mit L-Thyroxin behandelt werden können. Dann kommt mit etwa 2 % die Autoimmunhypophysitis, die schon nicht mehr so trivial ist, denn hier müssen alle Hormone substituiert werden. ­Weitere 2 % entfallen auf den Autoimmundiabetes mit lebenslanger Insulinsubstitution, gefolgt von seltenen kardiologischen Nebenwirkungen, überwiegend Myokarditiden, und seltenen neurologischen Nebenwirkungen, unter anderem dem ­Guillain-Barré-Syndrom, die alles andere als harmlos und vor allem nicht vorhersagbar sind. Das heißt, wir haben 1–2 % aller mit Pembrolizumab behandelten Patienten, die eine seltene Autoimmunnebenwirkung erleiden, ohne dass wir vorher wissen, wen es treffen wird. Und das bei einer Übertherapie in diesem Stadium der Erkrankung, denn das Rezidivrisiko liegt hier bei nur etwa 20–25 % (> Dermatoonkologie).

Gibt es eine Möglichkeit, die Patienten herauszufiltern, für die eine Therapie mit Pembrolizumab klinisch relevant ist?

Aus meiner Sicht sollten wir hier die Strategie des Gene Expression Profilings, kurz GEP, fahren. Es gibt bereits drei Firmen, eine deutsche, eine holländische und eine US-Firma, die Marker entwickelt haben, die man am Paraffinschnitt untersuchen kann. Denn wenn wir mit einer höheren Präzision sagen können, wer denn nun ein erhöhtes Rezidivrisiko hat, können wir die Übertherapie von derzeit bis zu 80 % der Patienten vermeiden. Hier hilft der Score des GEP-Tests, der so eingestellt ist, dass er die Patienten anzeigt, die eine mindestens 20%ige Wahrscheinlichkeit haben, am Melanom zu versterben. Und da sagt jeder, auch die europäische Leitlinie, dass das klinisch relevant ist. Und wenn es klinisch relevant ist, sollten die ­Patienten auch behandelt werden. Und alle, die einen „negativen Score“ haben, werden nicht behandelt.

Das heißt nicht, dass keiner ein Rezidiv kriegt, aber die Wahrscheinlichkeit, daran zu versterben, ist offensichtlich gering.

Hat die Bestimmung des Scores schon Eingang in Studien gefunden?

Ja, in Deutschland gibt es die NivoMela-Studie von Professor Schadendorf, für die noch bis Ende ­September rekrutiert wird. In der wird nach Score behandelt und nicht nur nach Tumordicke. Das ist eine hochinnovative Studie, von der ich persönlich überzeugt bin, dass sie vielleicht des Rätsels ­Lösung sein könnte. Und wenn es das ist, dann werden wir damit auch international ins Gespräch kommen, denn es ist die einzige Studie, die einen Genexpressionstest als Screening-Parameter eingeführt hat. Es bleibt also spannend!

HINWEIS: Eine Zusammenfassung der aktuell im Lancet ­­­er­­schienenen Publikation „Pembrolizumab versus placebo as adjuvant therapy in completely resected stage IIB or IIC melanoma (KEYNOTE-716): a ran­do­mised, double-blind, phase 3 trial” finden Sie auf S. 54 in dieser Ausgabe oder hier: "Malignes Melanom - Adjuvantes Pembrolizumab auch im Stadium II".

Der Experte

Prof. Dr. med. Axel Hauschild
Leiter der dermato­onkologischen Arbeitsgruppe und Professor der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel
24105 Kiel

ahauschild@dermatology.uni-kiel.de

Bildnachweis: privat

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