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Kongress-Ticker

Virtuell – Juni 2021

Deutsche Gesellschaft für Senologie 2021

Dr. Reinhard Merz

30.8.2021

Dieses Jahr fand die 40. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Senologie vom 17. bis 19. Juni 2021 mit vielen spannenden Themen statt.

Neues aus der Welt der Künstlichen Intelligenz

Die Anzahl der Publikationen zu den Themen Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen ist in den vergangenen Jahren explodiert (> eHealth). Auch in der Medizin, obwohl die Digitalisierung hier hinter der Gesamtentwicklung hinterherhinkt. Es gibt vor allem Insellösungen wie den hybriden Operationssaal, von holistischen Lösungen ist man aber noch weit entfernt. Daten kommen z.B. aus implantierten oder äußerlich getragenen Systemen, den Wearables. Diese Daten können etwa mit Daten aus der Genomik oder der Blutanalyse kombiniert werden, aber auch mit Daten über Schlaf- oder Ernährungsqualität.
Wie werden diese Daten verknüpft? Prof. Dr. Björn Eskofier (Erlangen) erklärt das am Beispiel des Kaufs eines roten Fahrrads im Internet: Amazon schlägt bei Eingabe des Suchbegriffs voraussichtlich schon passende Räder vor. Denn die Plattform weiß aufgrund der Adresse und vorausgegangenen Bestellungen, wie viel Geld ausgegeben werden kann, und vergleicht den Besteller mit ähnlichen Kunden, die auch ein Rad bestellt und nicht zurückgeschickt haben.
In der Medizin kann das „optimale rote Fahrrad“, also die optimale Therapie, nicht angeboten werden, da die Möglichkeit der individuellen Datenverknüpfung fehlt. Wäre das möglich, könnte statt der heutigen „Mittelwertmedizin“ eine individualisierte Präzisionsmedizin angeboten werden. Dazu wäre ein „digitaler Zwilling“ notwendig.
Die Basis dafür könnten Wearables liefern, wie Fitnesstracker oder ein digitaler Beckenbodentrainer. Diese Daten aus den verschiedenen Insellösungen könnten verknüpft und per Cloud zur Verfügung gestellt und maschinell interpretiert werden. So wäre es beispielsweise möglich, die Überwachung der Schwangeren mehr in den häuslichen Bereich zu verlegen. Mit Wearables ließe sich die Aktivität, der Urinstatus, der Blutdruck, die Schlafqualität, der Herzschlag des Ungeborenen usw. messen, die Daten würden verknüpft und in einer App für die Schwangere präsentiert.
Im bis 2024 laufenden Forschungsprojekt „DigiOnko“ geht es um Brustkrebsvorsorge. Dabei werden über Wearables EKG, Schlafqualität, 3D-Brustscans, Blutzuckerspiegel und Sauerstoffsättigung usw. erfasst und mit bestehenden Daten aus Genomanalysen und Laborwerten verknüpft. Die Daten sollen vor allem der Vorsorge dienen, Blindzeiten, in denen der Arzt die Patientin nicht sieht, wären somit sichtbar und die Therapie kann optimal an den Verlauf angepasst werden. Ein ähnliches System ist zur Parkinson-Vorsorge bereits im Einsatz.

Vortrag Prof. Dr. Björn Eskofier (Erlangen)

Kinderwunsch bei BRCA-Patientinnen

Bekomme ich durch Hormonstimulation früher Brustkrebs? Diese Frage stellen sich junge BRCA-Patientinnen bei Kinderwunschbehandlungen häufig. „Kinderwunsch ist kein unerfüllbarer Traum“, so Prof. Dr. med. Nicole Sänger (Bonn). Schwangerschaften werden häufig erst nach abgeschlossener Ausbildung jenseits des 30. Lebensjahres geplant, bei BRCA1-Trägerinnen beträgt das Brustkrebsrisiko da bereits 24%, so PD Dr. med. Karin Kast (Köln).
In der Kinderwunschbehandlung werden Estrogen- und Progesteronspiegel gezielt verändert. In der Allgemeinbevölkerung geht eine IVF-Behandlung nicht mit erhöhtem Brustkrebsrisiko einher. Nach Studienlage ist das auch bei BRCA-Anlageträgerinnen so. Die Schwangerschaft selbst kann aber für das Mammakarzinom einen Risikofaktor darstellen. Auch in der Allgemeinbevölkerung ist das Risiko bei einer späten Schwangerschaft in den ersten 15 Jahren nach der Entbindung etwas erhöht. Bei BRCA1-Trägerinnen steigt mit dem ersten Kind das Risiko etwas mehr, sinkt aber mit jedem weiteren und ist beim vierten Kind unter dem Risiko der Patientin, die nie schwanger war.
Bei BRCA2 ist der Zusammenhang weniger deutlich. Bei einer Schwangerschaft nach einer Brustkrebserkrankung zeigt die Studienlage, dass die Rezidivwahrscheinlichkeit in allen Gruppen gleich hoch ist. Bei Hormonrezeptor-negativen Patientinnen scheint sich die Prognose durch eine Schwangerschaft sogar zu verbessern.

Vorträge Prof. Dr. med. Nicole Sänger (Bonn) und PD Dr. med. Karin Kast (Köln)

Nebenwirkungsmanagement bei Osteoporose

Sechs Millionen Menschen in Deutschland sind von Osteoporose betroffen, davon sind 5,2 Millionen Frauen ‒ vor allem nach der Menopause. Ein Mammakarzinom und der Rückgang der Estrogene unter antihormoneller Therapie erhöhen das Risiko einer Osteoporose deutlich, und es kann zu gravierenden Knochenbrüchen kommen. Eine Knochendichtemessung zu Beginn der Therapie wird daher empfohlen.
Bisphosphonate und Denosumab reduzieren das Frakturrisiko, deshalb sollte eine antiresorptive Therapie so lange wie die endokrine Therapie erfolgen. Etwa 75% der Bevölkerung ist unterversorgt mit Vitamin D, und Frauen mit Mammakarzinom sind besonders betroffen. Eine gute Vitamin-D-Supplementierung wird dringend empfohlen und senkt nach Studienlage das Sterberisiko. Die Höhe des Vitamin-D-Spiegels korreliert sowohl mit dem Rezidivrisiko als auch mit dem Überleben. Die empfohlene Supplementationsmenge beträgt 20.000 Einheiten einmal wöchentlich mit einer Mahlzeit.

Vortrag Prof. Dr. med. Peyman Hadji (Frankfurt/Main)


Einfluss der Über- und Fehlernährung auf die Prognose

Die AGO empfiehlt das Anstreben eines normalen Body-Mass-Index (BMI) mit dem höchsten Empfehlungsgrad ++, unabhängig vom Hormonrezeptorstatus. Diese Empfehlungen werden in Arztbriefen allerdings zu selten genannt, wie PD Dr. med. Daniela Paepke (München) berichtete: „Das sollte genauso empfohlen werden wie die Durchführung einer Chemotherapie.“ Vor allem postmenopausal ist die Empfehlung wichtig. Ebenso ist die Vermeidung bzw. Erkennung eines Diabetes mellitus Typ 2 entscheidend für die Senkung der Inzidenz und der Brustkrebsmortalität. Auf der Wunschliste der Patientinnen steht Ernährungsberatung noch vor Sport. „Da ist in der ärztlichen Praxis noch Luft nach oben“, so Paepke.
Allerdings: Die Krebsdiagnose sei kein „teachable moment“. Soll heißen: Viele Patientinnen sind weiter übergewichtig, treiben kaum Sport und rauchen. Dabei hat das Gewicht einen signifikanten Einfluss auf Rezidive. In einer Studie mit 33.000 Frauen hatten die Teilnehmerinnen mit einem BMI über 30 ein deutlich erhöhtes Risiko für Metastasen und die Mortalität war erhöht. Mit 30 Minuten Bewegung pro Tag plus fünf Portionen Obst oder Gemüse sinkt die Mortalität um 50%. „Das schaffen wir mit keiner Chemo“, so Paepke.  
Eine Hilfe für die Patientin kann die Energiedichte-Regel sein. Es werden 400‒500g Nahrung für ein Sättigungsgefühl benötigt. Das entspricht zwei Leberkäsesemmeln, die aber kalorisch so viel einbringen wie 3,5kg Obst oder Gemüse. Empfehlung für Brustkrebspatientinnen: Keine Softgetränke oder Säfte, 14 Stunden Nahrungskarenz, zwei bis drei Mahlzeiten am Tag, aber keine Zwischenmahlzeiten. Bei weniger als 13 Stunden Nahrungskarenz steigt das Rezidivrisiko um 36%.
Auch Übergewichtige können mangelernährt sein (> Adipositas). Vor allem Vitamin D und Selen sollten kontrolliert werden. Ausreichende Versorgung mit Selen führt zu weniger Nebenwirkungen unter Strahlentherapie. Ein Vitamin-B12-Mangel entsteht zum Beispiel bei der Einnahme von Pantoprazol und führt zu Müdigkeit. „Die Ernährung muss in das Versorgungskonzept in Klinik und Praxis übernommen werden“, forderte Paepke daher.

Vortrag PD Dr. med. Daniela Paepke (München)

Auswirkung von Sport auf gynäkologische Krebspatientinnen

Sport hat für Brustkrebspatientinnen einen hohen Nutzen. Gezieltes Training verlängert das Gesamtüberleben um 40% nach zehn Jahren. Sport steigert die Lebensqualität, gibt der Patientin Kontrolle über ihren Körper zurück, dient der Prophylaxe von Lymphödem, Polyneuropathie und Depression und stärkt das Immunsystem (> Sportmedizin).
Daher empfiehlt die AGO sportliche Aktivitäten für Brustkrebspatientinnen mit der höchsten Empfehlungsstufe ++. Wichtig dabei: Jeder Schritt zählt, Patientinnen sollten nicht mit zu hohen Erwartungen abgeschreckt werden. Ein hilfreicher Satz, den man betroffenen Patientinnen mitgeben kann, lautet: „Jeder Schritt tötet eine Krebszelle.“
Bei Patientinnen mit einer Mutation im BRCA-Gen ist es entscheidend, ob sie in der Adoleszenz körperlich aktiv waren, so Prof. Dr. med. Marion Kiechle (München). Wer sich in der Jugend viel bewegt hat, reduziert sein Erkrankungsrisiko mit Anfang 50 um 20%. Für die genetische Beratung dieser Patientengruppe gilt deshalb: Die Adoleszenz ist eine sensible Phase, und potenzielle Mutationsträgerinnen sollten frühzeitig zu Sport angehalten werden.

Vortrag Dr. med. Cosima Zemlin (Homburg)


Der Einfluss des Mikrobioms auf das Mammakarzinom

Die Zellanzahl des Mikrobioms übertrifft mit über 100 Billionen bei Weitem die Anzahl der Zellen des Menschen (37 Billionen) – bei einem Gewicht bis 2,7kg. Je größer die Vielfalt des Mikrobioms, desto gesünder ist der Mensch. Das Mikrobiom bildet eine Abwehr gegen pathogene Mikroorganismen, fördert die Reifung des Immunsystems, unterstützt die Aufspaltung pflanzlicher Nahrungsbestandteile, beeinflusst den Energiestoffwechsel und synthetisiert Vitamine (B und K).
Vor allem die Ernährung beeinflusst die Zusammensetzung. Die westliche Ernährungsweise mit Fleisch, Fetten und Milchprodukten fördert vor allem Bacteroidetes, die über Glucuronidasen u.a. Estrogen resorbieren. Das ist ein Risikofaktor für postmenopausalen Brustkrebs. Zudem führen sie zu einer erhöhten entzündlichen Aktivität.
Bei einer ballaststoffreichen Vollwertkost werden vor allem Firmicutes gebildet, die dafür sorgen, dass die Schleimhäute intakt bleiben, weniger entzündliche Prozesse stattfinden und weniger Estrogen resorbiert wird. Das verringert das Brustkrebsrisiko. Das Mikrobiom hat Einfluss auf die Verträglichkeit von Chemotherapie und die Wirksamkeit von Checkpoint-Inhibitoren (> Onkologie). Werden mehr Ballaststoffe aufgenommen, sind diese bis zu 5-fach wirksamer.
Der Einsatz von Antibiotika sollte nur in strenger Indikationsstellung erfolgen. Der Einsatz von Probiotika ist unklar, Präbiotika, vor allem Flohsamenschalen, sind sinnvoll ‒ mindestens 25g Ballaststoffe pro Tag sollten zugeführt werden. Flohsamenschalen, die um das 40-Fache quellen, eignen sich zudem gut zur Behandlung der Diarrhoe unter der Therapie.

Vortrag Dr. med. Petra Voiß (Essen)

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