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Gynäkologie

Kontrazeption

bei Patientinnen mit Grunderkrankungen – Update 2023

Prof. Dr. med. Thomas Römer

25.8.2023

Die passende Kontrazeption ist nicht allein von den Wünschen der Patientin abhängig – oft schränken Grunderkrankungen die Auswahl ein. Nicht zuletzt durch die Neuzulassungen der vergangenen Jahre lässt sich aber für jede Patientin trotzdem eine passende Kontrazeption finden.

In Deutschland stehen sehr viele Methoden zur Kontrazeption zur Verfügung. Überwiegend werden weiterhin hormonelle Kontrazeptionsmethoden, insbesondere kombinierte orale Kontrazeptiva (KOK), angewendet. Nach Daten der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung von 2018 nutzten etwa 47 % der Frauen im Alters-Score von 18 bis 49 Jahren orale Kontrazeptiva, wobei der Trend seit 2011 hier rückläufig ist [1].

Individuelle Entscheidung in der Praxis

Bei der Auswahl der Kontrazeptionsmethode, die ja doch viele Jahre angewendet wird, sollten die Wünsche der Patientin im Vordergrund stehen. Insbesondere die Länge der gewünschten Verhütung sollte erfragt werden, um zu entscheiden, ob Langzeitkontrazeptionsmethoden in Betracht gezogen werden können. Langzeitkontrazeptionsmethoden sind durchaus auch für jüngere Frauen geeignet. Diese Methoden, z. B. Implantate oder Spiralen, haben den Vorteil einer patientenunabhängigen Anwendung. Einnahmefehler, die bei oraler Kontrazeption relativ häufig sind, können nicht auftreten. Hinzu kommt, dass sich das Durchschnittsalter der Frauen bei der ersten Schwangerschaft heute noch weiter nach hinten verschoben hat. Auch gibt es die Situation, dass Patientinnen nach langjähriger Pillenanwendung – oft beginnend mit dem 15./16. Lebensjahr – irgendwann pillenmüde sind und nach alternativen Methoden fragen.

Neben diesen Aspekten ist natürlich entscheidend, welche Risikokonstellationen bei der Patientin vorliegen. Die medizinischen Aspekte müssen unabhängig vom Patientinnenwunsch unbedingt berücksichtigt werden. Auf die Patientinnen, bei denen absolute und relative Kontraindikationen für die Anwendung kombinierter hormoneller Kontrazeptionsmethoden (KHK), aber auch anderer Kontrazeptionsmethoden bestehen, ist ein besonderes Augenmerk zu richten. Zur Methodenauswahl in der Praxis kann ein Algorithmus hilfreich sein (Abb. 1). Auch bei der Auswahl des Estrogens oder der Ethinylestradioldosis (20 oder 30 µg) sind spezielle Faktoren zu beachten. Wie schwierig die praktische Entscheidung sein kann, zeigt sich am Beispiel einer adipösen Patientin, die einerseits aufgrund des erhöhten thromboembolischen Risikos eine niedrigere Ethinylestradioldosierung anwenden sollte, andererseits aufgrund der zu erwartenden erhöhten Rate an Blutungsstörungen eine höhere Ethinylestradioldosierung benötigt [2,3]. Insofern sind in Risikosituationen zunächst eine sehr sorgfältige Anamnese und dann eine klinische Entscheidungsfindung unter Berücksichtigung aller Faktoren erforderlich. Neben dem kontrazeptiven Effekt, der natürlich im Vordergrund steht, sind auch Nebeneffekte zu beachten, wie die Reduktion von möglichen Blutungsstörungen, Dysmenorrhoen sowie positive Effekte auf Androgenisierungserscheinungen. Das Spektrum reicht bis hin zum therapeutischen Einsatz von KOK im Langzyklus oder als Langzeiteinnahme, z. B. bei Endometriose oder dem PCO-Syndrom [4-6].

Wahl der Applikationsform von KHK

Neben der oralen Kontrazeption stehen auch KHK zur vaginalen oder transdermalen Applikation zur Verfügung. Der Vaginalring bietet in einigen Situationen durch die Applikationsform und relativ gleichmäßige Hormonspiegel mit einer noch niedrigeren täglichen Estrogendosierung von 15 µg Ethinylestradiol den Vorteil einer günstigeren Zyklusstabilität. Beim Vaginalring und transdermalen kontrazeptivem Pflaster bestehen allerdings die gleichen Kontraindikationen bezüglich des thromboembolischen Risikos wie bei KOK [4,7,8]. Die unterschiedlichen Applikationsformen von KHK haben verschiedene Vor- und Nachteile (Tab. 1).

Empfehlungen und Leitlinien für die Auswahl

Seit 2019 gibt es in Deutschland eine S3-Leitlinie zur hormonellen Empfängnisverhütung, die für die wichtigsten Situationen eine Empfehlung zur Anwendung verschiedener Kontrazeptionsmethoden gibt [4]. Ein Hauptfokus ist hier auf das thromboembolische Risiko gerichtet. 2015 erschien die letzte WHO-Empfehlung für die Anwendung verschiedener Kontrazeptionsmethoden in bestimmten Situationen, wobei hier in vier Kategorien unterschieden wird [8]. Dies stellt eine sinnvolle und forensisch sichere Dokumentationsgrundlage in der Praxis dar. Bei speziellen Risikosituationen, die nicht eindeutig in den WHO-Empfehlungen abgebildet und auch in der Leitlinie nicht dargestellt werden, bedarf es einer individuellen Entscheidung. Hier sind ggf. auch interdisziplinäre Konsile erforderlich. Umfangreiche Übersichten zur Kontrazeption bei speziellen Erkrankungen finden sich in Lehrbüchern [2,9]. Bei ausgewählten speziellen Erkrankungen, die nachfolgend dargestellt werden, sind medizinische Besonderheiten bei der Auswahl der Kontrazeptionsmethoden zu beachten.

Internistische Erkrankungen
Hypertonus

Ein Hypertonus stellt eine relative bzw. absolute Kontraindikation für KOK dar [3,4,8]. Selbst bei einem adäquat behandelten Hypertonus besteht eine relative Kontraindikation (WHO 3) [8]. Für Gestagene bestehen keine Einschränkungen. Liegt ein Hypertonus mit Werten von 160/100 mmHg vor, besteht für KHK eine Kontraindikation. Die Messung des Blutdrucks gehört zum Standard bei jeder Konsultation und sollte regelmäßig durchgeführt werden. Bei ­Risikopatientinnen ist dies auch nach der Ersteinstellung einer Kontrolle nach 3 Monaten und dann im weiteren Verlauf alle 6 Monate zu empfehlen. Sollte bei einem medikamentös gut eingestellten Hypertonus die Entscheidung zur Anwendung von KOK gestellt werden, sind möglichst niedrig dosierte Ethinylestradioldosen oder auch KOK mit Estradiol zu bevorzugen, wenn keine Gestagenmono-Therapie angewendet werden kann. Bestehen neben dem Hypertonus noch weitere Risikofaktoren, wie Adipositas oder Rauchen, sollte auf KOK gänzlich verzichtet werden. Bei einem leichten Hypertonus zeigte die Drospirenonmono-Pille günstige Effekte [10].  

Diabetes mellitus

Ein Diabetes mellitus ist prinzipiell keine Kontraindikation für die Anwendung von KOK, solange keine vaskulären Folgeschäden vorliegen [2,11,12]. Allerdings sollten KOK mit androgener Restwirkung oder Depotgestagenen möglichst zurückhaltend angewendet werden [2]. Wenn vaskuläre Folgeerkrankungen, wie Retino-, Neuro- oder Nephropathie vorliegen, besteht eine Kontraindikation für KOK [4,8]. Auch wenn ein Diabetes mellitus länger als 20 Jahre besteht, muss von mikrovaskulären Schäden ausgegangen werden. KOK sind dann kontraindiziert [8]. Keine Einschränkungen bestehen bei den Anwendungen von Gestagenen, ausgenommen von Depot-MPA, oder intrauterinen Kontrazeptionsmethoden.

Thromboembolierisiko

Der Hauptfokus in den vergangenen Jahren richtet sich insbesondere auf das venöse thromboembolische Risiko (VTE). Hier ergeben sich aus dem Rote-Hand-Brief seit 2014 neue Ergänzungen im Jahre 2018 und 2021 [7,13]. Unterschiedliche Risiken bestehen bei der Anwendung von Ethinylestradiol-haltigen Präparaten in Abhängigkeit vom Gestagen [14]. Als Goldstandard, allerdings auch mit einer Risikoerhöhung gegenüber nicht schwangeren Nichtanwenderinnen einhergehend, gelten hier die KOK mit Ethinylestradiol/Levonorgestrel. Für die beiden verfügbaren Estradiol-Präparate wurden in zwei Studien in den vergangenen Jahren gezeigt [15,16], dass hier das venöse thromboembolische Risiko in etwa so hoch ist wie bei den Ethinylestradiol/Levonorgestrel-Präparaten (aktuelle Mitteilung des BfArM 2022) [7].

Es ist daher eine sorgfältige Erfassung aller Risikofaktoren mithilfe der Checklisten erforderlich. Im Falle einer auffälligen Familien- oder Eigenanamnese kann eine relative oder absolute Kontraindikation bestehen. Ist jedoch eine Indikation zur Anwendung von KOK gegeben, sollte hier eine entsprechende Gerinnungsuntersuchung veranlasst werden. Ein generelles Gerinnungsscreening vor einer KOK-Verordnung ist in Deutschland nicht üblich und erforderlich. Das Risiko für thromboembolische Ereignisse ist am höchsten im 1. Jahr der Anwendung, verschwindet aber nicht komplett [4,13].

Die häufigsten Risikofaktoren in der Praxis sind neben dem Nikotinabusus nicht selten eine Faktor-V-Leiden-Mutation. Hier ist es sehr wichtig, ob es sich um eine heterozygote oder homozygote Mutation handelt, da sich daraus ein sehr unterschied­liches VTE-Risiko ergibt [2,17]. Auch bei einem auffälligen Thrombophilie-Screening ist die Anwendung von oralen Gestagenmono-Präparaten und intrauterinen Kontrazeptionsmethoden entsprechend der Leitlinien- und WHO-Empfehlungen möglich [2,4,8,10].

Wird bei den Patientinnen noch eine Antikoagulanzien-Dauertherapie nach einer durchgemachten Thromboembolie angewendet, ist die Anwendung von KOK zwar möglich, da insbesondere bei der Anwendung von Cumarinen eine sichere Kontrazeption ­unbedingt notwendig ist [4,19]. Allerdings ist nach Beendigung der Antikoagulation bei diesen Patientinnen mit Risikofaktoren eine Umstellung auf ein Gestagenmono-Präparat oder eine intrauterine Kontrazeption notwendig [4]. Insofern ist stets zu prüfen, ob nicht primär eine Gestagenmono-Therapie (CAVE: häufiger Blutungsstörungen) oder ein Intrauterinsystem zur Kontrazeption in dieser Situation angewendet werden sollte [4,19].

Asthma bronchiale

Vom Asthma bronchiale sind etwa 5 % der Bevölkerung betroffen [35]. Zusammenhänge zwischen der Einnahme von KOK wurden in den meisten Studien nicht gefunden. Es wurde allerdings gezeigt, dass unabhängig von der Parität durch die Anwendung von KOK das Risiko von Asthmaanfällen sogar um 7 % pro Jahr sank [20]. Somit stellt das Asthma bronchiale keine Einschränkungen für die Anwendung von KOK oder anderen Kontrazeptionsmethoden dar [2]. Eine aktuelle Kohortenstudie bestätigt den günstigen Effekt für KOK, allerdings nicht für POP [21].

Cholelithiasis/Cholezystitis

Es konnte in zahlreichen Studien gezeigt werden, dass das Risiko für eine Cholelithiasis durch die KOK-Anwendung gering erhöht wird [2]. Der Effekt hängt im Wesentlichen von der Estrogendosierung ab. Mit der Reduktion der Estrogendosis wird das Risiko gesenkt [22]. Dies betrifft insbesondere ­Ethinylestradiol-Präparate. Weitere Risikofaktoren, wie Adipositas, spielen hier auch eine Rolle. Bei ­Frauen mit einer Cholelithiasis sind KOK relativ ­kontraindiziert [22]. Auch bei einer positiven Anamnese einer ­Cholelithiasis sind Gestagenmono-­Präparate oder Spiralen zu bevorzugen [2,22].

Lebertumoren

Bei Lebertumoren ist zwischen benignen Hämangiomen und Adenomen und einer fokal nodulären Hyperplasie (FNH) zu unterscheiden sowie zwischen malignen Tumoren [23,24]. Unter der Einnahme von KOK können Hämangiome bei Adoleszenten entstehen. Auch die FNH kann sich unter langjähriger Anwendung bilden. Dabei besteht eine positive Korrelation zu Ethinylestradioldosen. Allerdings zeigen neuere Studien, dass es bei Frauen mit einer FNH durch die Anwendung niedrig dosierter KOK zu keinen Veränderungen kommt [2,4,25]. Während bei allen anderen Tumoren KOK absolut kontraindiziert sind, können Frauen mit FNH niedrig dosierte KOK mit 20 µg Ethinylestradiol oder auch Estradiol-KOK anwenden [4,25]. Sollte allerdings die FNH unter der Anwendung eines KOK auftreten, wäre eine Gestagenmono-Therapie zu bevorzugen [2].

Neurologische Erkrankungen
Migräne

Die Prävalenz der Migräne ist bei Frauen mit 18 % dreimal so hoch wie bei Männern [2,26]. Während einerseits bei zyklusabhängigen Kopfschmerzen ein Langzyklus oder eine Langzeiteinnahme eines KOK oder eine Gestagenmono-Therapie zu einer Verbesserung der Situation führen [27], stellt eine Migräne mit Aura eine absolute Kontraindikation für KHK dar [4]. Sollten unter der Einnahme von KHK Kopfschmerzen oder Migräne neu auftreten, sind die Ursachen immer abzuklären [2,4]. Bei der Migräne ist es sehr wichtig zu unterscheiden, ob eine Migräne mit oder ohne Aura vorliegt [28]. Hier ist ggf. ein neurologisches Konsil erforderlich. Bei Migräne mit Aura sind alle KHK absolut kontraindiziert, da das Apoplexrisiko durch die Anwendung von KOK die Migräne stark ansteigt [29]. Bei einer Migräne ohne Aura bei Patientinnen unter 35 Jahren ohne weitere Risikofaktoren sind KOK anwendbar [4,8]. Hier ist auch eine kontinuierliche Anwendung sinnvoll, wenn die Migräneschübe menstruationsgetriggert sind [2,27].

Epilepsie

Prinzipiell stellt eine Epilepsie keine Kontraindikation für die Anwendung von oralen Kontrazeptiva dar (WHO-Kategorie 1). Die Anwendung von KOK zeigte keinen Einfluss auf die Häufigkeit der Epilepsie oder auf die Anfallsfrequenz [7,31,32]. Problematisch sind eher die Interaktionen mit Antiepileptika. Die Einflüsse von Antiepileptika auf die Enzyminduktion sind zu beachten (Tab. 2). Auch eine Langzeiteinnahme von KOK kann die Epilepsieanfälle reduzieren [33]. Bestehen ausgeprägte Interaktionen der Antiepileptika, wird die Anwendung von intrauterinen Kontrazeptionsmethoden in den Leitlinien empfohlen [4]. Um mögliche Interaktionen zu vermeiden, ist generell eine zeitlich versetzte Einnahme von Antiepileptika und KOK empfehlenswert, wobei dies nicht immer die kontrazeptive Sicherheit garantiert [2,32]. Die in den Fachinformationen sowohl von Antiepileptika als auch Kontrazeptiva angegebenen Interaktionen sollten unbedingt beachtet werden [2,4].

Depressionen

Stimmungsveränderungen und Depressionen sind allgemein bekannte Nebenwirkungen bei der Anwendung von KOK [4]. Dies ist seit Langem bekannt und wurde noch einmal untermauert durch einen Rote-Hand-Brief 2019 [34]. Dieser wurde aufgrund der dänischen Registerstudien erforderlich, in denen sowohl zunächst eine häufige Anwendung von Antidepressiva bei jungen KOK-Anwenderinnen gefunden wurde [35], als auch ein gering erhöhtes Risiko für Suizidversuche bei Beginn mit hormonellen Kontrazeptiva in der Altersgruppe zwischen 15 und 19 Jahren [36]. Hierfür gibt es natürlich eine Vielzahl von anderen Gründen in dieser speziellen Altersgruppe. Somit kommen auch der Rote-Hand-Brief und die Europäische Arzneimittel-Agentur zu der Schlussfolgerung, dass kein eindeutiger kausaler Zusammenhang zwischen KOK-Anwendung und Suizidrisiken besteht [37].

Diese Nebenwirkungen sind allerdings seit Langem bekannt, sodass auch in der zum gleichen Zeitpunkt erschienenen S3-Leitlinie „Hormonelle Empfängnisverhütung“ bezüglich dieser Thematik nichts geändert wurde [4]. Hier wird darauf hingewiesen, dass Patientinnen, die hormonelle Kontrazeptiva einnehmen, über das mögliche Auftreten von Stimmungsschwankungen aufgeklärt werden müssen [4]. Eine KOK-Anwendung führt auch nicht zu einer Verschlechterung präexistenter Depressionen [4]. Einige Studien, gerade auch bei Adoleszenten, weisen sogar auf eine Besserung der Depressionen hin, insbesondere wenn die KOK kontinuierlich bei einer menstruationsgetriggerten Symptomatik angewendet wird [13,18]. Eine aktuell erschienene Studie zeigt jedoch nochmal das potenziell erhöhte Risiko für die Entwicklung einer Depression, insbesondere zu Beginn der KOK-Anwendung. Auch wenn die Studie einige methodische Schwächen hat, sind diese Daten insbesondere aus einer Subgruppe der Geschwisterstudie interessant und fokussieren das Augenmerk auf die Problematik [38]. Ein Zusammenhang besteht auch bei Gestagenmono-Therapien und in sehr seltenen Fällen auch bei der Anwendung einer Gestagenspirale [4,39].

Multiple Sklerose

Die Multiple Sklerose ist eine der häufigsten autoimmunentzündlichen Erkrankungen des ZNS. Bei Frauen ist die Erkrankung doppelt so häufig [2]. Auch die Exazerbation wird hormonell gesteuert und es kann abhängig von der Menstruation sein [40]. In allen Studien konnte einheitlich gezeigt werden, dass Anwenderinnen von KOK ein deutlich niedrigeres Erkrankungsrisiko haben [41,42]. Die Inzidenz sinkt somit um 40 % [41]. Dabei wird diskutiert, dass die Risikoverminderung auch mit einer Verlegung der ersten Symptome in ein höheres Lebensalter verbunden ist [44]. Es konnte auch bei Risikopatientinnen für eine Multiple Sklerose durch KOK-Anwendung eine Verzögerung des Auftretens der ersten Symptome erreicht werden [44]. Wenn die Schübe menstruationsgetriggert sind, ist auch die Langzeiteinnahme von KOK oder Gestagenen zu bevorzugen, um zyklische Hormonschwankungen zu vermeiden [2,40]. Bei Frauen mit Multipler Sklerose, die krankheitsbedingt mit einer längeren Immobilisation einhergeht, sollten KOK vermieden werden [2].

Dermatologische Erkrankungen
Androgenisierungserscheinungen

Bei Androgenisierungserscheinungen, wie Akne als auch der Hirsutismus, besteht bei den meist jungen Patientinnen oft ein hoher Leidensdruck. Es konnte in zahlreichen Studien gezeigt werden, dass neben einer lokalen Akne-Therapie KOK sowohl zyklisch als auch als kontinuierlich angewendet einen therapeutischen Effekt haben [4]. Dies konnte auch in einer Cochrane-Analyse belegt werden [42]. Hier sind KOK von Vorteil, da Ethinylestradiol die SHBG-Synthese induziert und dies zu einer verstärkten Bindung des freien Testosterons führt. Es sollen bevorzugt Gestagene mit antiandrogener Partialwirkung, wie CMA, Dienogest, Drospirenon oder Cyproteronacetat, eingesetzt werden. In diesen Situationen sind die KOK auch bevorzugt als Langzeiteinnahme anzuwenden. Sowohl in den Cochrane-Analysen als auch in den Leitlinien wird auf den positiven Effekt dieser Kombination hingewiesen [2,4,42]. Sollten Kontraindikationen für KOK bestehen, wäre bei der Anwendung von Gestagenmono-Präparaten Drospirenon mit seiner antiandrogenen Wirkung den Desogestrelmono-Präparaten vorzuziehen [18,45].

Chloasma

Die Entstehung eines Chloasmas mit den symmetrischen, oft scharf begrenzten, gelblich bräunlichen Flecken beruht auf einer verstärkten Melanozytenaktivität bei genetischer Disposition [46]. Das Chloasma gehört zu den häufigsten Hautveränderungen unter der Einnahme von KOK mit einer Prävalenz bis zu 25 % [35]. Das Risiko kann durch die Anwendung von KOK um das 8-Fache erhöht werden [46]. Das Chloasma entwickelt sich meist am Anfang der KOK-Einnahme und bildet sich erst nach Absetzen langsam zurück. Eine Estrogenanwendung sollte beim Chloasma möglichst vermieden werden [2,46,47]. Wenn jedoch eine Indikation besteht, sollte nur KOK mit Ethinylestradiol niedrig dosiert oder KOK mit Estradiol angewendet werden. KOK sollten dann bei intensiver Sonneneinstrahlung erst am Abend eingenommen werden, um möglichst in der Nacht die höchsten Steroidspiegel zu erreichen [47]. Estrogenfreie Kontrazeptionsmethoden sind in dieser Situation allerdings zu bevorzugen [2].

Psoriasis vulgaris

Die Psoriasis vulgaris ist eine der häufigsten Hauterkrankungen mit einer Prävalenz bis zu 3 % und einer erhöhten Inzidenz bei Raucherinnen. Es konnte gezeigt werden, dass KOK keinen Einfluss auf die Psoriasis hatten [2,48]. In Einzelfällen wurden sogar durch Gestagene eine Verbesserung der Erkrankung berichtet. Wenn die Psoriasisschübe zyklusabhängig auftreten, ist die Anwendung der KOK oder Gestagenmono kontinuierlich zu bevorzugen [2]. Oft wird die durch Psoriasistherapeutika mitverursachte Menorrhagie hiermit gut behandelt [48]. Eine sichere Kontrazeption ist bei der Anwendung von einigen Psoriasistherapien erforderlich [48].

Morbus Behçet

Der Morbus Behçet ist eine chronisch rezidivierende Entzündung kleiner, besonders venöser Gefäße (Vaskulitis) unklarer Genese mit familiärer Häufung. Typische Erstsymptome sind Aphten im Mund, an der Vulva und in der Vagina. Es kann auch zu Augenveränderungen, Gelenkbeschwerden und Thrombophlebitiden kommen. Die Erkrankung tritt besonders häufig bei jungen Erwachsenen im Mittelmeerraum auf. Unter der Anwendung von KOK wurde in Einzelfällen eine Remission der klinischen Symptomatik beschrieben. Bei zyklisch auftretenden Erstsymptomen, insbesondere als unangenehm empfundenen Aphten, ist die Langzeiteinnahme von KOK zu empfehlen. Beim Auftreten von Begleiterkrankungen, wie Thrombophlebitis oder Augenerkrankungen, kann eine relative Kontraindikation bestehen. Bei ausgeprägten rezidivierenden Aphten im Mund oder im Vulvovaginalbereich verbietet sich eine orale oder vaginale hormonelle Kontrazeption. Dann sind parenterale Anwendungen, wie Implantate oder LNG-IUS, zu empfehlen. Bei ausschließlich oralem Auftreten der Aphten wäre auch eine kontinuierliche Anwendung des Vaginalrings eine gute Alternative.

Herpes genitalis

Der Herpes genitalis wird meist durch Sexualkontakte übertragen. Orale Kontrazeptiva sind prinzipiell ein Risikofaktor für die Ausbildung des Herpes simplex im Genitalbereich (Typ 2). Da der Herpes durch eine Menstruation getriggert werden kann, ist bei Patientinnen mit einer rezidivierenden Herpes-simplex-Infektion die Langzeiteinnahme von oralen Kontrazeptiva zu empfehlen. Prinzipiell sind orale Kontrazeptiva nicht kontraindiziert und sollten hier eher als Langzeiteinnahme angewendet werden. Auch alle Gestagenpräparate sind möglich.

Neurodermitis

Bei einer Neurodermitis finden sich meist chronische rezidivierende Ekzeme, meist bedingt durch immunologische Faktoren und eine polygen vererbbare Erkrankung. Die Inzidenz von photosensitiven Ekzemen kann durch die Anwendung von KOK um das 4-Fache erhöht werden, wobei Estrogene die dominierenden Induktoren sind. Auch nach höher dosierten Gestagenen wurden lokale Neurodermitiden häufiger gesehen. Es sind deshalb niedrig dosierte Gestagenmono-Präparate oder eine Hormonspirale bei photosensitiven Ekzemen zu empfehlen. Prinzipiell sind KOK bei atopischer Neurodermitis aber nicht kontraindiziert, allerdings bei photosensitiven Ekzemen zu vermeiden.

FAZIT:

Bei speziellen Erkrankungen ist eine besonders sorgfältige Erfassung von weiteren Risikofaktoren notwendig. Interdisziplinäre Konsultationen können insbesondere bei selteneren Erkrankungen die Entscheidungsfindung erleichtern. Es ist allerdings zu beachten, dass gerade bei vielen dieser speziellen Erkrankungen eine sichere Verhütung notwendig ist, da eine unerwünschte Schwangerschaft bei diesen Patientinnen auch mit anderen gesundheitlichen Risiken einhergehen kann. Eine sorgfältige Anamnese und Abfragen von weiteren Risikofaktoren und der Lebensumstände der Patientin sind wichtig.

Kontrazeptionsberatung sowohl bei internistischen, neurologischen und dermatologischen Erkrankungen ist eine anspruchsvolle Aufgabe und erfordert unser besonderes Augenmerk in der gynäkologischen Praxis. Durch die große Vielfalt an Optionen, die sich durch die Neuzulassungen der vergangenen Jahre noch erweitert hat, ist aber für jede Patientin letztlich eine zuverlässige und passende Kontrazeption möglich.

Der Autor

Prof. Dr. med. Thomas Römer
Chefarzt der Frauenklinik in Köln-Weyertal

Herausgeber des Journals DER PRIVATARZT GYNÄKOLOGIE

thomas.roemer@evk-koeln.de

Literatur­ beim Autor

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