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Recht

Ehegattennotvertretungsrecht

Patientenbehandlung – darf der Ehegatte entscheiden?

Dr. jur. Christian Bichler

16.2.2024

Seit vergangenem Jahr existiert das Ehegattennotvertretungsrecht, wodurch Ehegatten vorübergehend medizinische Entscheidungen für ihren Partner treffen können. Welche Kriterien hierbei zu beachten sind und welche bedeutsame Rolle die behandelnde Ärzteschaft hierbei einnimmt, wird im nachfolgenden Beitrag erläutert.

Bis vor einem Jahr wäre die Antwort auf die Frage, ob im Falle der Einwilligungsunfähigkeit (z. B. ­Bewusstlosigkeit) der Ehegatte über Behandlungsmaßnahmen entscheiden darf, eindeutig gewesen: Nein! Es sei denn, der Ehegatte verfügt über eine Vorsorgevollmacht oder ist gerichtlich bestellter ­Betreuer. Seit 01.01.2023 existiert nun jedoch das Ehegattennotvertretungsrecht (neu: § 1358 BGB).

Wer kann sich darauf berufen?

Das Ehegattennotvertretungsrecht (kurz: ENV) gilt sowohl für verheiratete Personen als auch für eingetragene Lebenspartner, nicht jedoch für Lebens­ge­fährten, Kinder oder sonstige Angehörige. Das Recht greift als „Auffangrecht“ nur subsidiär, d. h. nur für den Fall, dass weder eine Vorsorgevollmacht in Angelegenheiten der Gesundheitsvorsorge noch ein (gerichtlich bestellter) Betreuer vorhanden ist. Sollte eine Vorsorgevollmacht oder eine Betreuung zwar vorhanden sein, die Vorsorgevollmacht oder der Aufgabenkreis des Betreuers jedoch nur einen Teil der Angelegenheiten der Gesundheitsvorsorge umfassen, kann der Ehegatte für die übrigen Angelegenheiten das ENV ausüben.

Der sich auf das ENV berufende Ehegatte darf vom zu vertretenden Ehegatten allerdings nicht getrennt leben, d. h., es muss eine häusliche Gemeinschaft bestehen. Ein bloßer – bspw. beruflich bedingter – Zweitwohnsitz ist jedoch irrelevant. Außerdem greift das ENV nicht, wenn dem vertretenden Ehegatten oder dem behandelnden Arzt oder der behandelnden Ärztin bekannt ist, dass der vertretene Ehegatte die Vertretung oder die Behandlung ablehnt. Hierbei spielt auch der ggf. in einer Patientenverfügung nieder­gelegte Wille eine Rolle. Für Ehegatten besteht keine Pflicht, das ENV wahrzunehmen. Sollte der Ehegatte die Entscheidungen, bspw. aufgrund von Überforderung, nicht treffen wollen, müsste beim Betreuungsgericht eine Betreuung angeregt werden, um Entscheidungen herbeiführen zu können.

Wann und worüber darf der Ehegatte entscheiden?

Der Regelfall ist, dass ein Patient die natürliche Einsichts- und Steuerungsfähigkeit besitzt und Art, Bedeutung, Tragweite und Risiken einer medizinischen Maßnahme erfassen und seinen Willen hiernach ausrichten kann. Vereinfacht gesagt: der Patient ist in der Regel einwilligungsfähig und kann somit selbst entscheiden, welche Behandlungsmaßnahmen (nicht) durchgeführt werden dürfen. Schwierig wird es, wenn ein volljähriger Patient (bei minderjährigen Patienten sind die Sorgeberechtigten hinzuzuziehen) selbst nicht einwilligungsfähig ist, also beispielsweise aufgrund von Bewusstlosigkeit oder Krankheit nicht in der Lage ist, Entscheidungen selbst zu treffen.

Sollte es an dieser Einwilligungsfähigkeit aufgrund einer akut eingetretenen gesundheitlichen Beeinträchtigung des Patienten, beispielsweise infolge eines Unfalls oder einer Erkrankung fehlen, stellt sich die Frage, wer anstelle des Patienten Entscheidungen treffen darf. Vorrangig dürfen das vorsorgebevollmächtigte Personen oder Betreuer. Sollten diese jedoch nicht existieren, kommt das ENV zum Tragen. Die behandelnde Ärzteschaft muss sich bei einer erforderlichen Akutversorgung dann fragen, ob der Patient verheiratet ist, und klären, ob der Ehegatte das ENV in Anspruch nehmen möchte.  

Klarzustellen ist, dass es sich bei dem ENV nicht um ein allumfassendes General-Vertretungsrecht handelt. Der Vertreter-Ehegatte darf auf Basis des ENV nicht über das Vermögen des Patienten verfügen, sondern lediglich in Untersuchungen des Gesundheitszustandes, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligen oder diese untersagen sowie ärztliche Aufklärungen entgegennehmen. Hierbei kann der vertretende Ehegatte auch über solche erforderlichen ärztlichen Maßnahmen entscheiden, die nicht in einem direkten Zusammenhang mit der Akut-Beeinträchtigung des ­Ehegatten stehen (also z. B. nicht nur akute ­Verletzungen infolge des die Bewusstlosigkeit auslösenden Unfalls). Sollten ­weitere behandlungsbedürftige Erkrankungen diagnostiziert werden, die eine ärztliche Behandlung erfordern, darf der Ehegatte auch hierüber entscheiden. Selbstverständlich sind nicht medizinisch indizierte Maßnahmen, insbesondere Schönheitsoperationen, vom ENV nicht gedeckt.

Zudem darf der Vertreter Behandlungsverträge, Krankenhausverträge oder Verträge über eilige Maßnahmen der Rehabilitation und der Pflege abschließen und Ansprüche, die aus Anlass der Erkrankung gegenüber Dritten (z. B. Kostenträgern) entstehen, geltend machen. Unter Einbindung des Betreuungsgerichts darf er auch über temporäre freiheitsentziehende Maßnahmen (z. B. durch mechanische Vorrichtungen, Medikamente) entscheiden.

Wie lange gilt das ENV?

Als behandelnder Arzt muss man immer ein Auge darauf haben, ob das vom Gegenüber in Anspruch genommene ENV überhaupt noch gültig ist. Sobald der Patient wieder den Zustand der Einwilligungsfähigkeit erreicht, verliert das ENV seine Grundlage und der Patient ist selbst wieder der (alleinige) Ansprechpartner. Doch auch wenn der Patient weiterhin einwilligungsunfähig bleibt, ist das ENV zeitlich begrenzt, und zwar auf höchstens 6 Monate. Diese Frist beginnt, sobald durch einen Arzt oder eine Ärztin die Voraussetzungen des ENV erstmals festgestellt wurden. Nach den 6 Monaten wäre beim Betreuungsgericht eine Betreuung anzuregen.

Worauf muss die Ärzteschaft achten?

Damit ein Ehegatte das ENV ausüben kann, und zwar auch gegenüber unterschiedlichen Ärzten, benötigt er einen schriftlichen Nachweis. Diesen erhält er von dem erstbehandelnden Arzt, der zum einen die akut eingetretene Beeinträchtigung des Patienten aufgrund von Bewusstlosigkeit oder Krankheit und zum anderen den Zeitpunkt von deren Eintritt schriftlich bestätigen muss. Hierfür können Ärzte das von der Bundesärztekammer, dem Bundesministerium der Justiz (BMJ) und der Deutschen Krankenhausgesellschaft entwickelte Formular verwenden (https://www.bundesaerztekammer.de/service/muster-­formulare). Dieses Formular hat der Arzt auch dem Ehegatten, der die Vertretung übernehmen möchte, zum Ausfüllen und unterzeichnen vorzulegen. Das Original ist dem vertretenden Ehegatten auszuhändigen und in Kopie zur Patientenakte zu nehmen. Der vertretende Ehegatte muss mit diesem Dokument schriftlich bestätigen, dass das Ehegattennotvertretungsrecht nicht – z. B. gegenüber einem anderen Arzt – ausgeübt wurde und keine Gründe vorliegen, die gegen das Notvertretungsrecht sprechen. Beruhigend ist hierbei, dass für den behandelnden Arzt keine Nachforschungspflichten bestehen, ob ein Ausschlussgrund vorliegt, beispielsweise ob die Ehegatten getrennt leben, ob der Patient eine Vertretung durch seinen Ehegatten ablehnt oder ob ein Betreuer bestellt ist bzw. eine Vorsorgevollmacht vorliegt. Sobald der Arzt jedoch von einem Ausschlussgrund erfahren sollte, muss er die Notvertretung ablehnen.

Das ENV bürdet dem erstbehandelnden Arzt zwar die Aufgabe auf, eine schriftliche Erklärung vom Vertreter einzuholen. Damit gehen – wieder einmal! – neue Dokumentationspflichten einher, die die ärztlichen Verwaltungsaufgaben erweitern. Dennoch ist das ENV als Gewinn anzusehen, da es in Konstellationen, in denen weder eine Vorsorgevollmacht existiert noch eine Betreuung eingerichtet wurde, durchaus ein geeignetes Instru­ment darstellt, um in kurzer Zeit wichtige und rechts­sichere Entscheidungen treffen zu lassen.

Dennoch ist jedem Patienten weiterhin anzuraten, frühzeitig vorzusorgen und eine Vorsorgevollmacht zu erstellen, gegebenenfalls gepaart mit einer ­Patientenverfügung. Dies hat zum einen den Vorteil, dass der Patient jede in seinen Augen geeignete Person als Vorsorgebevollmächtigten einsetzen (also nicht nur den Ehegatten) und ­konkrete Vorgaben zum Umfang der Vertretung machen kann. Zum anderen ist eine Vorsorgevollmacht – im Gegensatz zum ENV – nicht zeitlich befristet, was im Falle länger andauernder Einwilligungs­unfähigkeit von Vorteil ist. Außerdem können in Vorsorgevollmachten auch weitere ­Aspekte, wie finanzielle Verfügungsmög­lichkeiten, geregelt werden.

Der Autor

Dr. jur. Christian Bichler
Rechtsanwalt und Wirtschaftsmediator
Fachanwalt für Medizinrecht
85609 Aschheim

cb@jurmed.de

Bildnachweis: privat

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