Prof. Dr. med. Selma Ugurel vom Universitätsklinikum Essen, Autorin dieses Beitrags und Mitautorin der S2k-Leitlinie Merkelzellkarzinom, stellt die aktuellen Erkenntnisse rund um Diagnostik und Therapie dieses seltenen Hauttumors dar – mit Ausblick auf ihren Eingang in die für Anfang 2022 erwartete neue Leitlinie.
Das Merkelzellkarzinom ist ein seltener, neuroendokriner Tumor der Haut, der erstmals 1972 von Cyril Toker als „Trabekuläres Karzinom der Haut“ beschrieben wurde. Ursprünglich ging man davon aus, dass der zelluläre Ursprung dieses Tumors in den Merkelzellen zu finden ist, die vorwiegend im Stratum basale der Haut und im Epithel der Haarfollikel liegen und als Mechanorezeptoren für die taktile Wahrnehmung von Druck und Berührung fungieren. Mittlerweile wird jedoch auf Grundlage der Histomorphologie, des Genexpressionsmusters sowie weiterer molekularer Analysen vermutet, dass das Merkelzellkarzinom von Merkelzell-Vorläufern (möglicherweise abgeleitet von epidermalen Stammzellen oder Haarfollikel-Stammzellen), Prä-B-Zellen, Pro-B-Zellen oder dermalen Fibroblasten ausgeht. Als unwahrscheinlich gilt hingegen inzwischen die Annahme, dass das Merkelzellkarzinom aus ausgereiften Merkelzellen hervorgeht, da diese terminal ausdifferenziert sind und sich keiner weiteren Zellteilung mehr unterziehen. Es muss somit als interessanter Punkt festgehalten werden, dass trotz wesentlicher Fortschritte im Verständnis der Karzinogenese des Merkelzellkarzinoms der exakte zelluläre Ursprung dieses Tumors weiterhin nicht vollständig geklärt ist.
In der Karzinogenese des Merkelzellkarzinoms spielt die kumulative UV-Exposition der Haut eine entscheidende Rolle. So tritt es gehäuft an den chronisch sonnenexponierten Arealen der Haut auf. Zudem wurde beobachtet, dass betroffene Patienten in der Vorgeschichte bereits andere UV-assoziierte Hauttumoren aufwiesen. Das Vorkommen eines Melanoms in der Anamnese ist mit einem dreifach höheren Risiko für die Entwicklung eines Merkelzellkarzinoms assoziiert.
Als zweiter prädisponierender Faktor spielt die Immunsuppression eine entscheidende ätiopathogenetische Rolle für die Entstehung eines Merkelzellkarzinoms. So treten diese Tumoren häufiger bei Patienten mit hämatopoetischen Neoplasien (Leukämien, Lymphome), bei Patienten mit HIV-Infektion oder bei iatrogen immunsupprimierten Patienten nach erfolgter Organtransplantation auf. Es gilt zu beachten, dass in diesen Fällen das mediane Erkrankungsalter niedriger und die Mortalität höher sind als bei immunkompetenten Patienten. Das Vorliegen chronisch-entzündlicher Erkrankungen, beispielweise einer rheumatoiden Arthritis, ist ebenfalls mit einem erhöhten Risiko für ein Merkelzellkarzinom assoziiert.
Angesichts des deutlich erhöhten Risikos für die Ausbildung eines Merkelzellkarzinoms bei älteren und immungeschwächten Patienten wurde schon früh an das Vorhandensein spezifischer auslösender Pathogene gedacht. Durch den Einsatz moderner molekularbiologischer Techniken konnte 2008 erstmals das Merkelzellpolyomavirus (MCPyV) dargestellt und isoliert werden. Die Untersuchungen zeigten, dass die virale DNA dieses Polyomavirus klonal in das Genom der Tumorzellen integriert vorlag und bei circa 80 % aller Merkelzellkarzinome nachweisbar war. Bei einer Korrelation von hoher Seroprävalenz für das MCPyV mit niedriger Inzidenz des Merkelzellkarzinoms in der Bevölkerung muss jedoch davon ausgegangen werden, dass noch andere Faktoren wie eine UV-Exposition oder Immunsuppression von zusätzlicher ätiopathogenetischer Bedeutung sind, sodass aktuell die Hypothese einer viralen und einer nicht viralen Ätiologie vertreten wird.
Das Merkelzellkarzinom präsentiert sich als schnell wachsender, solitärer, kutaner oder subkutaner Tumor, der meist in UV-exponierten Arealen, insbesondere der Kopf-Hals-Region, seltener an den Extremitäten oder am Stamm, lokalisiert ist (Tab. 1). Die typische Hautläsion ist ein roter bis bläulich-violetter Nodus, der asymptomatisch ist und häufig als benigne Läsion klinisch missgedeutet wird (Abb. 1).
Die Wächterlymphknotenbiopsie ist ein essenzieller Bestandteil des Stagings
Aufgrund der klinisch unspezifisch imponierenden Primärläsion wird die klinische Diagnose des Merkelzellkarzinoms häufig erst spät gestellt. Das Akronym AEIOU wurde erarbeitet, um Hilfestellung bei der Diagnosefindung zu geben (Tab. 2). Lokoregionäre Metastasen an Haut und Lymphknoten sind häufig. Des Weiteren findet man Fernmetastasen ebenfalls oft in Haut und Lymphknoten, aber auch in Lunge, Leber, Knochen, Nebennieren und ZNS.
Die Differenzialdiagnosen des Merkelzellkarzinoms sind zahlreich – sowohl die klinischen als auch die histologischen. Die histopathologische und immunhistochemische Diagnostik einer Probebiopsie sind daher essenziell für die exakte Sicherung der Diagnose. Zusätzlich zur konventionellen Histologie sollte zur Diagnosesicherung eines Merkelzellkarzinoms eine Immunhistochemie erfolgen. Zur Abgrenzung gegen andere Tumorentitäten sollte die Färbung des thyroidalen Transkriptionsfaktors 1 (TTF-1; Abgrenzung zum kleinzelligen Bronchialkarzinom) negativ sein. Der wichtigste immunhistochemische Marker ist das Cytokeratin 20 (CK20). Nach erfolgter histopathologischer Diagnosestellung sollte eine Ausbreitungsdiagnostik erfolgen. Dazu gehören eine Sonographie der Lymphknoten, ein CT von Thorax und Abdomen sowie ein Schädel-MRT. An vielen Zentren kommt aktuell stattdessen die PET-CT-Bildgebung zum Einsatz. Da das Merkelzellkarzinom frühzeitig lymphogen metastasiert, stellt die Wächterlymphknotenbiopsie (Sentinel lymph node biopsy, SLNB) einen wichtigen Bestandteil des Tumorstagings dar. Ein Tumorbefall in den Wächterlymphknoten geht für den betroffenen Patienten mit einer deutlich schlechteren Prognose einher.
Die vollständige chirurgische Exzision sollte aufgrund der hohen Lokalrezidivrate mit einem Sicherheitsabstand von 1–2 cm zu allen Seiten erfolgen. Da jedoch 40–50 % der Merkelzellkarzinome im Kopf-Hals-Bereich auftreten, ist je nach Lokalisation und nach Abwägung funktioneller Einschränkungen auch ein anatomisch angepasster Sicherheitsabstand mit chirurgischer Schnittrandkontrolle vertretbar. Bei klinisch unauffälligen lokoregionären Lymphknoten sollte im Rahmen der operativen Nachexzision eine Wächterlymphknotenbiopsie (SLNB) erfolgen, da in circa 30 % der Fälle bereits Mikrometastasen der Lymphknoten vorhanden sind. Der Umgang mit Patienten mit histopathologisch positivem Wächterlymphknoten ist bislang nicht einheitlich. Die Therapieoptionen beinhalten eine radikale komplettierende Lymphadenektomie und/oder eine Strahlentherapie der betroffenen Lymphknotenregion. Beide Therapiemaßnahmen führten zu ähnlichen Verbesserungen der lokalen Tumorkontrolle, jedoch nicht zu einer Verlängerung des Gesamtüberlebens. Unabhängig vom SLNB-Ergebnis wird eine adjuvante Bestrahlung des Primärtumorbetts für alle Patienten empfohlen, da sich durch diese Maßnahme eine Verlängerung des Patientenüberlebens erzielen ließ. Isolierte Satelliten- oder In-Transit-Metastasen sollten nach Möglichkeit vollständig chirurgisch entfernt werden.
Bis 2016 stellte die Chemotherapie die empfohlene Erstlinientherapie des inoperabel metastasierten Merkelzellkarzinoms dar. Die Ansprechraten beim Merkelzellkarzinom waren mit 20–60 % je nach Therapielinie vergleichsweise hoch, jedoch waren diese von sehr kurzer Dauer und führten daher zu stark eingeschränkten medianen Überlebenszeiten von nur 5–10 Monaten. Mit der Einführung der Immuncheckpoint-Inhibitoren, insbesondere der gegen die PD-1/PD-L1-Achse gerichteten Antikörper, hat sich die Systemtherapie des Merkelzellkarzinoms grundlegend gewandelt (Abb. 3). So wurde 2017 der gegen PD-L1 gerichtete Antikörper Avelumab zur Therapie des metastasierten Merkelzellkarzinoms von der EMA zugelassen. Avelumab ist ein humanisierter IgG1-Antikörper gegen PD-L1 und wirkt über eine Verstärkung und Aufrechterhaltung der körpereigenen T-Zell-vermittelten antitumoralen Immunantwort. Andere PD-1/PD-L1-Checkpoint-Inhibitoren (Nivolumab, Pembrolizumab) zeigten in klinischen Studien ebenfalls eine gute Wirksamkeit, sind aber in Europa bislang nicht für die Indikation Merkelzellkarzinom zugelassen. Für die adjuvante Situation des Merkelzellkarzinoms gibt es aktuell keine empfohlene Systemtherapie. Die Ergebnisse einer ersten deutschlandweiten klinischen Studie (ADMEC-O) zur adjuvanten Therapie mit Nivolumab werden mit Spannung erwartet.
Die Überlebensrate eines Patienten mit Merkelzellkarzinom hängt vom Stadium bei Erstdiagnose ab. Prognostisch ungünstige Parameter sind ein horizontaler Tumordurchmesser > 2 cm sowie eine Lokalisation des Primarius im Kopf-Hals-Bereich und am Rumpf. Weitere mit einer schlechteren Prognose assoziierten Merkmale sind männliches Geschlecht, fortgeschrittenes Alter und Immunsuppression.
Hohe Rezidivrate – daher Nachsorge alle drei Monate
Zur Nachsorge von Patienten mit Merkelzellkarzinom wird aufgrund der hohen Rate lokoregionärer Rezidive im ersten Jahr nach Diagnosestellung eine engmaschige klinische Nachsorge mit Untersuchung der Haut und Lymphknotensonographie alle drei Monate empfohlen.
Zur besseren Erfassung der klinischen Versorgung von Merkelzellkarzinompatienten in Deutschland wurde von der Arbeitsgemeinschaft Dermatologische Onkologie (ADO) die nicht interventionelle Registerstudie MCC-TRIM konzipiert. In dieser translationalen Studie werden molekulare Daten aus dem Tumorgewebe erfasst und mit klinischen Verlaufsdaten korreliert. Auf diesem Weg sollen klinische und molekulare prognostische und prädiktive Biomarker identifiziert werden. Es ist das Ziel, über diese Langzeitstudie neues Wissen über den Verlauf und die Behandlung der Merkelzellkarzinomerkrankung in Deutschland zu gewinnen.
Literatur bei den Autoren
Bildnachweis: Bichakjian CK et al., Cancer 2007; 110: 1–12; saemilee (gettyImages)