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Fokus Naturmedizin

Mikrobiom

Effekte von Probiotika auf Infektionskrankheiten

Dr. phil. nat. Miriam Neuenfeldt

24.3.2023

Sind Probiotika zur Prophylaxe oder zur Therapie von Infektionskrankheiten sinnvoll? Eine eindeutige evidenzbasierte Empfehlung existiert bisher nicht, weil die Auswahl an probiotischen Produkten sehr groß ist. Zu einigen Erkrankungen gibt es aktuelle Daten, die für eine Anwendung von Probiotika sprechen.

Probiotika werden als lebende Mikroorganismen beschrieben, die eine positive Wirkung auf den Körper haben, wenn sie in ausreichender Menge aufgenommen werden. Meistens handelt es sich um Milchsäure- und Bifidobakterien, die in fermentierten Lebensmitteln wie Joghurt und Sojajoghurt oder in Nahrungsergänzungsmitteln enthalten sind [1]. Teilweise sind probiotische Präparate über spezielle orale Formulierungen vor Magen- und Gallensäure geschützt. Andernfalls sollten Probiotika vor oder zu den Mahlzeiten eingenommen werden, denn bei oraler Anwendung nach den Mahlzeiten reduziert sich der Anteil lebensfähiger Mikroorganismen.

Gastrointestinale Infektionen

Zur Eradikationstherapie bei Helicobacter-pylori-Infektionen werden Antibiotika eingesetzt, doch zahlreiche Studien zeigten die sinkende Wirksamkeit der Antibiotikatherapie aufgrund von Resistenzentwicklung und Nebenwirkungen, die häufig mit einer Dysbiose assoziiert sind. Die zusätzliche Behandlung von H.-pylori-Infektionen mit probiotischen Bakterienstämmen wie Lactobacillus, Bifidobacterium und Saccharomyces spp. verbessert die Verträglichkeit und Wirksamkeit der Eradikationstherapie, denn Probiotika steigern die Diversität der Mikrobiota [2,3].

Darüber hinaus gibt es zunehmend Evidenz für die Primärprävention von Clostridioides-difficile-Infektionen (CDI) mittels Probiotika wie Saccharomyces boulardii, Lactobacillus rhamnosus GG sowie Lactobacillus-Kombinationen [4]. Weitere Daten zeigten zudem die Fähigkeit von Probiotika, die Verbreitung von Pilzinfektionen im Darm einzudämmen oder zu verhindern. So können Milchsäurebakterien wie Lactobacillus rhamnosus die Infektiosität des Hefepilzes Candida albicans reduzieren [5].

Prophylaxe von Infektionen der oberen Atemwege

Eine 2022 veröffentlichte Übersichtsarbeit der Cochrane Collaboration untersuchte, ob Probiotika akuten Infektionen der oberen Atemwege bei Menschen ­jeden Alters mit einem gesunden Immunsystem vorbeugen. In den berücksichtigten 24 Studien mit Daten von 6 950 Personen wurden Probiotika bei Kindern eher mit Milchprodukten, bei Erwachsenen in Pulverform und bei älteren Menschen eher mit Milch­produkten oder Kapseln verabreicht. In den meisten Studien wurden ein oder zwei ­Lacto­bacillus-Stämme und 109 oder 1011 kolonienbildende Einheiten pro Tag verwendet. Den Studienauswertungen zufolge senkten Probiotika die Inzidenzrate akuter Infektionen der oberen Atemwege um etwa 18 % und die durchschnittliche Dauer einer Episode um 1,22 Tage. Probiotika können die Zahl der Personen, die Antibiotika einnehmen, um etwa 42 % reduzieren. Die Übersichtsarbeit kam zu dem Ergebnis, dass Probiotika möglicherweise mindestens einer Episode einer akuten Infektion der oberen Atemwege vorbeugen können [1].

Die Bedeutung der Darm-Lungen-Achse

Das Ziel bei der Gabe von Probiotika ist die Unterstützung eines eubiotischen Mikrobioms, das an zahlreichen physiologischen Funktionen beteiligt ist. So sind Darmmikrobiota u. a. wichtig für die Verdauung, die Produktion von Vitaminen, die bakterielle Abwehr, die Verbesserung der Darmbarriere, den Wettbewerb um Bindungsstellen sowie für die Modulation der Inflammation und Immunantwort.

Darüber hinaus wurde die Interaktion zwischen Darmmikrobiota und verschiedenen extraintestinalen Organen beobachtet. Bidirektionale Interaktionen bestehen zwischen Darm-Organ-Achsen wie der Darm-Hirn-, Darm-Leber-, Darm-Haut- oder der Darm-Lungen-Achse. Die Störung einer oder mehrerer dieser Achsen kann zu Erkrankungen außerhalb des Darms führen.

Bei verschiedenen viralen Infektionen konnte über die Darm-Lungen-Achse gezeigt werden, dass die Störung der Darmmikrobiota mit einer verstärkten Entzündung in der Lunge einherging. Auf der anderen Seite können bakterielle Superinfektionen in der Lunge Darmdysbiosen verstärken [6].

SARS-CoV-2- und RSV-Infektionen

Bei COVID-19 führt die SARS-CoV-2-Infektion außerhalb der Lunge und vor allem im Gastrointestinaltrakt zu verschiedenen Komplikationen. Zudem kann eine SARS-CoV-2-Infektion zur Dysregulation verschiedener Mikrobiota-Achsen führen, u. a. der Darm-Hirn-Achse. Diese Beobachtung bietet einen möglichen Erklärungsansatz für die neurologischen und psychiatrischen Symptome einiger COVID-19- und Long-COVID-Patienten.

Über die Aktivierung der Darm-Lungen-Achse kann eine SARS-CoV-2-Infektion zu einer Darmdysbiose führen, die auch nach einem negativen PCR-Test persistiert. Zudem wurde eine Assoziation zwischen dem Schweregrad von COVID-19 mit der intestinalen Mikrobiota festgestellt. Eine Dysbiose könnte somit einen Zytokinsturm begünstigen. Daher wird der Einfluss von Präbiotika, Probiotika oder Diäten auf den Krankheitsverlauf und auf die Regeneration der Darmmikrobiota untersucht. Probiotische Stämme zeigen antientzündliche und immunmodulierende Effekte. Von besonderem Interesse sind die antiviralen Effekte von Probiotika. Dazu gehören u. a. die direkte Interaktion mit Coronaviren, die Blockade der viralen ACE-Rezeptoren sowie die Stimulation antimikrobieller Peptide und IgA-Antikörper. Zudem gibt es zunehmende Hinweise dafür, dass Probiotika die Barrierefunktion des Darms stärken. Folglich können weniger schädliche Sub­stanzen oder gefährliche Bakterien bzw. Viren vom Darm ins Blut gelangen.

Basierend auf diesen Ergebnissen wurde postuliert, dass Probiotika durch entzündungshemmende Reaktionen eine wichtige Rolle in der Prävention des Zytokinsturms bei COVID-19 ausüben und die negativen Folgen der SARS-CoV-2-bedingten Dysbiose reduzieren könnten (Abb.) [6].

Die Effekte von Probiotika bei respiratorischen Synzytial-Virus-Infektionen (RSV) wurden ebenfalls untersucht. Die beobachteten protektiven Effekte von Probiotika resultieren aus der Modulation der Darm-Lungen-Achse. Mikrobiota beeinflussen die Alveolarmakrophagen und auch bei RSV-Infektionen konnte der enge Zusammenhang zwischen dem Darmmikrobiom und der antiviralen Immunität der Lunge beobachtet werden. Aktuelle Evidenz bestätigt zudem die Beteiligung der Darmdysbiose an der Pathogenese von RSV-Infektionen [7].

Harnwegs- und vaginale Infektionen

Die Mikrobiota des Urogenitaltrakts sind ebenfalls Gegenstand aktueller Forschung. Es gibt Evidenz mit Hinweis auf protektive Effekte kommensaler Bakterien vor Harnwegsinfektionen. So kann Lactobacillus crispatus möglicherweise die Kolonisation von Pathogenen im Urogenitaltrakt hemmen [8]. Auch zum Erhalt eines eubiotischen vaginalen Mikrobioms werden Probiotika diskutiert. Lactobacillus-Stämme, als vorherrschender Bestandteil der vaginalen Mikrobiota, werden bei gynäkologischen Erkrankungen wie Infektionen mit humanen Papillomaviren oder bei bakterieller Vaginose untersucht [9].

Probiotika bei immunsupprimierten Menschen

Generell werden probiotische Bakterien als sicher eingeschätzt, doch gibt es einzelne Berichte zu Nebenwirkungen. Probiotische Mikroorganismen können die bakterielle Translokation ermöglichen und somit systemische Infektionen verursachen [10]. Tritt zeitgleich zur Immunsuppression eine Dysbiose und erhöhte Darmpermeabilität auf, steigt die Wahrscheinlichkeit einer bakteriellen Translokation und Einschwemmung bakterieller Produkte in die Zirkulation. Auf der anderen Seite können Probiotika die Darmpermeabilität senken, eine Dysbiose ausgleichen und damit die Einschwemmung bakterieller Produkte verhindern. Die Verwendung von probiotischen Präparaten bei Immunsupprimierten ist nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Bewertung möglich. Die Antibiotikasensibilität der verwendeten Stämme sollte dann bekannt sein und bei unklaren Infektionen eine Infektion mit einem probiotischen Keim in den differenzialdiagnostischen Überlegungen berücksichtigt werden [11].

Das Expertenstatement

Prof. Dr. med. Peter C. Konturek
Chefarzt der Klinik für Innere Medizin II, Thüringen Klinik Saalfeld

www.thueringen-kliniken.de

Probiotika begleitend einsetzen

Häufig führen Infektionen zu Dysbiosen. Ein Para­de­­beispiel ist COVID-19: Bei einigen Patienten verursacht die Infektion mit SARS-CoV-2 gastrointestinale Symptome, die mit schwereren Ver­läufen einhergehen. Die Störung der Darm­mikro­biota ist bei diesen Patienten stärker ausgeprägt. Auch Infektionen des Gastrointestinal­trakts ­wer­­den mit Dysbiosen assoziiert. Ein klassisches Beispiel stellt eine Infektion mit ­toxinbildenden Clostridioides difficile dar. Entscheidend für die Rezidiv­prophy­laxe bei dieser Infektion ist daher, die Patienten Richtung ­Eubiose zu bringen, z. B. mithilfe von ­Probiotika. Auch die antibiotikagestützte ­Eradikationstherapie von Helicobacter pylori wird besser vertragen und zeigt stärkere Effekte, wenn begleitend Probiotika eingesetzt werden.

Probiotika können dazu beitragen, schwere Ver­läufe von Infektionen abzumildern und die Infektionszeit zu verkürzen. Bei COVID-19 zeigen Daten zu Probio­tika die Linderung gastrointestinaler Symptome und einen schützenden Effekt auf die Darm-Lungen-­Achse und hemmenden Einfluss auf die Freisetzung von proinflammatorischen Zyto­kinen (v. a. „Zytokinsturm“). Zur Abmilderung der nega­­tiven Effekte von Viren empfehle ich ­generell Probiotika. Die Studien zeigten, dass sie die Dauer der Infektion verkürzen. Allerdings ist deren Qualität entscheidend: Probiotika müssen sicher und resistent gegenüber Magen- und Gallensaft sein. Zudem müssen sie die Fähigkeit besitzen, die Schleimhaut zu kolonisieren und das Immunsystem positiv zu modulieren. Zwar wurden solche Effekte mit Einzelstämmen (z. B. Lacto­bacillus plantarum, Lp299v) beobachtet, dennoch sind Multispezies-Probiotika zu bevorzugen, solange wie die Bestimmung individueller Profile der Darmmikrobiota nicht zur klinischen Routine gehört. Weiterhin sind mit Kombinationen probiotischer Stämme stärkere immunmodulierende Effekte zu erwarten. Probiotika sollten auf nüchternen Magen eingenommen werden, nicht in Kombination mit heißen Getränken. Begleitend zur Antibiotikatherapie ist ein zeitlicher Abstand einzuhalten.

Generell sind Probiotika sicher. Doch bei immunsupprimierten Patienten sind Probiotika nicht in jedem Fall geeignet, da das Sepsisrisiko erhöht ist. Nutzen und Risiko sollten daher individuell bewertet werden. Auch Patienten mit einer Pankreatitis weisen ein erhöhtes Sepsisrisiko auf, da die Durchlässigkeit der Darmbarriere verstärkt ist.

Fazt

Ein eubiotisches Mikrobiom trägt zur Infekt­abwehr bei. Probiotika können bei Dysbiosen und zur begleitenden Behandlung von gastrointestinalen Infektionen sowie zur Prävention von Infektionen der oberen Atemwege ein­gesetzt werden. Es gibt zahlreiche Studien, die die gegenseitige Beeinflussung des Darm­­mikrobioms und anderen Organen, z. B. über die Darm-Lungen-Achse, beschreiben. Da Zusammenhänge zwischen einer Dysbiose und COVID-19 bzw. bei RSV-Infektionen beobachtet wurden, werden Probiotika in der begleitenden Therapie untersucht. Bei weiteren Infektionskrankheiten, z. B. vaginalen oder Harnwegs­infektionen, finden ebenfalls Untersuchungen zu Probiotika statt.

Die Autorin

Dr. phil. nat. Miriam Neuenfeldt
Wissenschaftliche
Autorin & Referentin
18439 Stralsund

info@phar-med.de
www.phar-med.de

1 Zhao Y et al., Probiotics for preventing acute upper respiratory tract infections. Cochrane Database of Systematic Reviews 2022; 8: CD006895
2 Isaeva G, Isaeva R, Probiotics in the treatment of Helicobacter pylori infection: reality and perspective. Minerva Gastroenterol (Torino), 2022; 68: 277–288
3 Compare D et al., Probiotics in Gastrointestinal Diseases: All that Glitters Is Not Gold. Dig Dis 2022; 40: 123–132
4 Goldstein EJC et al., Probiotics and prevention of Clostridium difficile infection. Anaerobe 2017; 45: 114–119
5 Alonso-Roman R et al., Lactobacillus rhamnosus colonisation antagonizes Candida albicans by forcing metabolic adaptations that compromise pathogenicity. Nat Commun 2022; 13: 3192–3207
6 Konturek PC, Wie wirkt sich COVID-19 auf die intestinale Mikrobiota aus? MMW Fortschr Med 2021; 163: 17–20
7 Ji JJ et al., Probiotics protect against RSV infection by modulating the microbiota-alveolar-macrophage axis. Acta Pharmacol Sin 2021; 42: 1630–1641
8 Neugent ML et al., Advances in Understanding the Human Urinary Microbiome and Its Potential Role in Urinary Tract Infection. mBio 2020; 11: e00218-20
9 Mei Z, Li D, The role of probiotics in vaginal health. Front Cell Infect Microbiol 2022; 12: 963868
10 Zawistowska-Rojek A, Tyski S, Are Probiotic Really Safe for Humans? Pol J Microbiol 2018; 67: 251–258
11 Stadlbauer-Köllner V, Dürfen immunsupprimierte Patienten mit Probiotika behandelt werden? J Gastroenterol Hepatol Erkrank 2015; 13: 12–16

Bildnachweis: privat, Pikovit44, Arthit_Longwilai (gettyimages)

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