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Allgemeinmedizin

Wenn nicht nur der Kopf brummt

Komorbiditäten bei Kopfschmerzen häufig - Zusammenhänge noch nicht geklärt

PD Dr. med. Gudrun Goßrau

14.10.2022

Primäre Kopfschmerzerkrankungen treten häufig auf und sind nicht selten mit erheblichen Einschränkungen im Alltag verbunden. Sie stehen in Zusammenhang mit mehreren Komorbiditäten wie kardiovaskulären oder psychiatrischen Erkrankungen, die ihrerseits zur Belastung durch Kopfschmerzen beitragen.

Die „Global Burden of Diseases Study“ 2019 ­zeigte, dass allein Kopfschmerzerkrankungen bei beiden Geschlechtern an dritter Stelle von 369 ­Erkrankungen stehen bzgl. der mit Behinderung gelebten Jahre, in der Altersgruppe der 15- bis 49-Jährigen sogar an erster Stelle. Zu den zusätzlich alltagseinschränkenden Begleiterkrankungen primärer Kopfschmerzen gehören neurologische, metabolische, kardiovaskuläre sowie zunehmend häufiger auch psychische ­Erkrankungen.

Nach wie vor sind die Mechanismen, aufgrund derer Begleiterkrankungen zustande kommen, nicht geklärt. Die Komorbidität kann Auslöser für Kopfschmerzen sein, eine Folge von Kopfschmerzattacken oder von Kopfschmerztherapien oder auf andere Kopfschmerz-assoziierte Faktoren zurückgeführt werden. Komorbiditäten gelten als Risikofaktor für die Chronifizierung von Kopfschmerzen.

Daten aus epidemiologischen Studien

Studien untersuchen meist nur spezifische Beziehungen, z. B. Zusammenhänge von Migräne und Hypertonie, Kopfschmerz vom Spannungstyp und Muskel-Skelett-Erkrankungen oder Clusterkopfschmerz und bipolare Störung. Eine umfassende Darstellung aller Komorbiditäten ist aber ebenso wichtig und klinisch relevant.

Eine aktuelle Metaanalyse mit Daten von > 4 Millionen Patienten zeigt die Prävalenz der wichtigsten Komorbiditäten primärer Kopfschmerzen, gepoolt aus bisherigen Studien. Darüber hinaus wurden sie mit den Zahlen der „Global Burden of Diseases Study“ 2019 verglichen. Die häufigsten Komorbiditäten sind demnach depressive Störungen, Bluthochdruck, Angststörungen und Diabetes, die Komorbiditäten mit dem höchsten gepoolten Anteil waren orale ­Störungen (undifferenziert, 67 % [40–89 %]), Schlafstörungen, Rückenschmerzen und Angstzustände. Deutlich häufiger als in der Allgemeinbevölkerung wurden bei Patienten mit primären Kopfschmerzen koronare Herzkrankheit, Schlaganfälle, Reizdarm-Syndrom (RDS), Arthritis, Rückenschmerz, Parkinson, idiopathische Epilepsie, Depressionen und Angststörungen nachgewiesen.

Psychiatrische Komorbiditäten

Die häufigsten psychiatrischen Komorbiditäten bei Patienten mit primären Kopfschmerzen sind Angststörungen mit 25 % (95%-Konfidenzintervall[KI]
22–28 %), Depressionen mit 23 % (95%-KI 20–26 %), gefolgt von posttraumatischer Belastungsstörung mit 15 % (95%-KI 6–28 %) der Patienten. Dabei zeigen Frauen mit Migräne signifikant höhere Angst- und Depressions-Scores als Männer.

Aktuelle Daten von 1.410 Patienten mit Depression wiesen darauf hin, dass die Komorbidität von schwerer Depression und Migräne zu einer signifikant höheren funktionellen Behinderung und einem schlechteren Ansprechen auf die antidepressive Pharmakotherapie führte.

Migränepatienten haben ein erhöhtes Risiko für eine generalisierte Angst­störung oder eine bipolare Störung.

Nach Daten von 468 Patienten mit Migräne korreliert die Anzahl der Kopfschmerztage pro Monat mit dem Risiko von Angstzuständen (r = 0,273;
p < 0,001) und Depression (r = 0,337; p < 0,001). Das Risiko von Angstzuständen ist höher bei Patienten mit ≥ 3 Kopfschmerztagen pro Monat, Patienten mit
≥ 19 Kopfschmerztagen pro Monat haben ein höheres Risiko für Depressionen.

Bei der Therapie beachten

Für die Migräneprophylaxe bei Patienten mit einer Depression eignet sich insbesondere Amitriptylin. Für die Anwendung von Flunarizin besteht bei Vorliegen einer Depression eine Kontraindikation, für Topiramat eine relative Kontraindikation.

Bei Patienten mit einer Angststörung können SSNRI (selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer) eingesetzt werden. Für Venlafaxin gibt es hier Hinweise für eine migräneprophylaktische ­Wirkung. Eine aktuelle Studie an 80 Patienten mit episodischer Migräne, aber ohne Depressionen, konnte im direkten Vergleich von Amitriptylin 25 mg/Tag und Venlafaxin
37,5 mg/Tag nach acht Wochen Therapie eine vergleichbare Wirkung mit ­signifikanter Reduktion der monatlichen Migränetage und Alltagseinschränkung in beiden Gruppen nachweisen, mit höherer Nebenwirkungsrate im Amitriptylin-Arm.

Eine Analyse von 285 randomisierten kontrollierten Studien mit insgesamt 53.533 Patienten wies  ­Depression nicht als mögliche Nebenwirkung von Betablockern nach, demzufolge ist Depression auch keine Kontraindikation für eine Betablockertherapie. Jedoch zeigte die Analyse eine Zunahme von Schlafstörungen unter Betablockern, weshalb diese als relative Kontraindikation gelten. Betablocker können indes Angstsymptome reduzieren und bei Patienten mit Panikattacken die vegetativen Begleiterscheinungen der Attacken dämpfen. Die prophylaktische Onabotulinumtoxin-A-Behandlung von Patienten mit chronischer Migräne zeigte eine Reduktion der Symptome von Angst und ­Depression.

In Studien mit Fremanezumab zeigten Subgruppenanalysen bei Patienten mit komorbider Depression und Angststörung eine signifikante Abnahme der Zahl der Patienten, die Antidepressiva (Ausgangswert 68,6 %; Nachuntersuchung 56,4 %; p = 0,0025) bzw. Anxiolytika (Ausgangswert 55,0 %; Nach­untersuchung 47,2 %; p = 0,037) erhielten.

Patienten mit Migräne und begleitender Depression zeigten in Studien mit Fremanezumab oder Galcanezumab eine Reduktion der migränebedingten Alltagseinschränkung sowie der Depressivität und Angstsymptome.

Die drei häufigen Komorbiditäten von Kopfschmerzerkrankungen, Angst, Depression und Schlafstörung spielen auch eine zentrale Rolle in der Schmerzmodulation. Dabei stellen chronische Schmerzerkrankungen eine weitere relevante Komorbidität primärer Kopfschmerzen dar.

Zusammenfassend ist für einen erfolgreichen Behandlungsansatz primärer Kopfschmerzen die Erfassung und Therapie der Komorbiditäten erforderlich.

Mehr praxisrelevantes Wissen finden Fachkreise auch online im Migräne- und Kopfschmerz-Guide unter www.mk-guide.org, einem Projekt der DMKG Initiative „Attacke! Gemeinsam gegen Kopfschmerzen“.

Schlafstörungen, Depressionen und Schmerzen

Viele Studien haben eine enge Korrelation zwischen Kopfschmerzen und Schlafstörungen beschrieben. Die Zusammenhänge zwischen primären Kopfschmerzen und Schlafstörungen ist nur unzureichend geklärt. Vor allem der bidirektionale Zusammenhang von Schlaf und Migräne, der nicht nur auf physiologischer Ebene evident wird, sondern auch im klinischen Verlauf der Patienten eine große Rolle spielt, sollte dazu führen, routinemäßig bei Patienten mit Migräne die Schlafanamnese zu erheben und suspekte Schlafstörungen weiterer Diagnostik und Therapie zuzuführen.

Die Komorbidität zwischen Kopfschmerzerkrankung, Angst, Depression und Schlafstörung bedingt höhere gesundheitsbedingte Einschränkungen. Diese drei Komorbiditäten spielen auch eine zentrale Rolle in der Schmerzmodulation. Dabei stellen chronische Schmerzerkrankungen eine weitere relevante Komorbidität primärer Kopfschmerzen dar.

Die Autorin

PD Dr. med. Gudrun Gossrau
Fachärztin für Neurologie – Spezielle Schmerztherapie
Universitäts SchmerzCentrum
Technische Universität Dresden

gudrun.gossrau2@
uniklinikum-dresden.de

Literatur bei der Autorin

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Bildnachweis: privat

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