- Anzeige -
Fokus Naturmedizin

Körper und Geist verbinden

Chronische Schmerzen lindern

Sabina Thiemeyer

6.6.2025

Chronische Schmerzen sind ein weltweit wachsendes Gesundheitsproblem. Die Schmerzforschung setzt zur effektiven Behandlung zunehmend auf multimodale Strategien wie die Mind-Body-Medizin oder Pain Reprocessing Therapy, die den Zusammenhang von Geist und Körper betonen.

Im Unterschied zum akuten Schmerz dauern chronische Schmerzen länger als 3 bis 6 Monate an oder kehren immer wieder – auch wenn die ursprüngliche Ursache nicht mehr besteht. Die Schmerzen haben ihre Warnfunktion verloren und entwickeln sich zu einer eigenständigen Erkrankung. Chronische Schmerzen entstehen durch wiederholte Schmerzreize, die das Nervensystem sensibilisieren und zu einer Art „Schmerzgedächtnis“ führen, das auch nach der Heilung der ursprünglichen Schmerzursache weiter aktiv bleibt. Die Behandlung ist oft komplex und erfordert individuelle Anpassungen. Bewährt haben sich multimodale Strategien, die medikamentöse Behandlung, Physiotherapie, psychologische Unterstützung und auch Ansätze der Komplementärmedizin kombinieren. Nicht nur Phyto- und Hydrotherapie unterstützen bei Naturheilkunde die Therapie chronischer Schmerzen, auch Konzepte der Ordnungs- und Bewegungstherapie liefern wertvolle Impulse.

Mediative Bewegungstherapien

Die Mind-Body-Medizin (MBM) bewährt sich als ebenso wirkungsvolles wie nebenwirkungsarmes Konzept innerhalb einer multimodalen Schmerztherapie. MBM umfasst verschiedene Techniken, welche die Verbindung zwischen Körper und Geist nutzen, um das Nervensystem zu beruhigen. Bei der Behandlung chronischer Schmerzen überzeugen vor allem meditative Bewegungstherapien. Aktuelle Forschungsergebnisse zeigen, dass Yoga und Tai Chi effektive Methoden zur Schmerzlinderung bei verschiedenen chronischen Schmerzerkrankungen sein können:

  • Arthrose: Sowohl Yoga als auch Tai Chi haben sich als wirksam bei der Schmerzreduktion und Verbesserung der Funktionalität bei Arthrosepatienten und -patientinnen erwiesen [1].
  • Osteoporose: Studien zeigen, dass die fließenden Bewegungen des Tai Chi auch Menschen mit Osteoporose und chronischen Rückenschmerzen helfen können [2].
  • Chronische Rücken- und Nackenschmerzen: Eine kleine Studie von 2024 belegte eine signifikante Schmerzreduktion bei Frauen mit chronischen Rückenschmerzen, die ein vierwöchiges Tele-Yoga-Programm absolviert hatten [3].

Meditationsbasierte Lebensstilmodifikation

Eine vielversprechende Intervention im Bereich der Mind-Body-Medizin ist die Meditationsbasierte Lebensstilmodifikation (MBLM). Eine 2023 publizierte Studie an der Technischen Universität Dresden untersuchte die Wirksamkeit einer achtwöchigen MBLM-Intervention bei chronischen Schmerzpatienten und -patientinnen [4]: Die Teilnehmenden praktizierten täglich Yoga und Meditation, beschäftigten sich mit der Philosophie des Yoga und nahmen an wöchentlichen Gruppensitzungen teil. Die Ergebnisse zeigten eine signifikante Schmerzreduktion sowie Verbesserungen in Lebensqualität, Selbstwirksamkeit und physischer Funktionalität bei einem Großteil der Teilnehmer und Teilnehmerinnen. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass MBLM eine wirksame ergänzende Maßnahme zur Behandlung chronischer Schmerzen sein kann. Eine Untersuchung an der Freien Universität Berlin beschäftigte sich mit den Effekten eines zwölfwöchigen Mind-Body-Medizin-basierten Therapieprogramms auf Lebensqualität und chronische Beschwerden [5].

Das MBM-Programm führte zu günstigen Lebensstilmodifikationen in den Bereichen Ernährung, Bewegung und Entspannung. Das Stressniveau der Teilnehmer und Teilnehmerinnen sank, gleichzeitig stieg die Lebensqualität signifikant und langfristig an.

Pain Reprocessing Therapy (PRT)

Die Pain Reprocessing Therapy steht für einen relativ neuen Ansatz in der Schmerzbehandlung, der sich auf die neuronale Plastizität des Gehirns konzentriert. Im Unterschied zur Mind-Body-Medizin fokussiert sich PRT spezifisch auf die Veränderung der Schmerzwahrnehmung und -verarbeitung im Gehirn. Durch gezielte kognitive Umstrukturierung lernen Patientinnen und Patienten, ihre Schmerzen als Fehlalarm des Nervensystems und nicht als Zeichen einer Gewebeschädigung wahrzunehmen. Studien zeigen vielversprechende Ergebnisse, Patienten und Patientinnen berichten von signifikanten Verbesserungen in der Schmerzintensität und -funktionalität [6].

Die PRT wird in der Regel in einem strukturierten Programm angeboten, das aus mehreren Sitzungen besteht. Therapeutinnen und Therapeuten arbeiten eng mit den Patienten und Patientinnen zusammen, um individuelle Schmerzgeschichten zu analysieren und neue Bewältigungsstrategien zu entwickeln. Die Integration von Achtsamkeitsübungen kann die Wirksamkeit der PRT weiter erhöhen. Die PRT verwendet eine Reihe spezifischer Techniken, um die Schmerzwahrnehmung zu verändern. Dazu zählen:

  • Somatic Tracking: Patientinnen und Patienten lernen, ihre Aufmerksamkeit ohne Angst und Besorgnis auf die Empfindungen in ihrem Körper zu lenken. Durch achtsame Wahrnehmung der Schmerzen erfahren sie, dass die Schmerzen weniger bedrohlich und kontrollierbar werden.
  • Neukonditionierung von Schmerzreaktionen: ­Patientinnen und Patienten üben, ihre automatische Reaktion auf Schmerzen zu ändern. Angst oder Katastrophendenken werden durch positive oder neutrale Gedanken ersetzt. Ziel ist es, die negative emotionale Reaktion auf Schmerzen zu reduzieren und dadurch die neuronale Schmerzverarbeitung zu verändern.
  • Identifikation und Bearbeitung emotionaler Konflikte: Chronische Schmerzen können oft mit unterdrückten Emotionen oder ungelösten psychischen Konflikten verbunden sein. Durch therapeutische Gespräche und Übungen des expressiven Schreibens lassen sich diese emotionalen Faktoren identifizieren und bearbeiten, sodass ihr Einfluss auf das Schmerzempfinden sinkt.
  • Verhaltensmodifikation: Patienten und Patientinnen werden ermutigt, Aktivitäten wieder aufzunehmen, die sie wegen der Schmerzen vermieden haben. So steigern sie das Vertrauen in die eigenen körperlichen Fähigkeiten und reduzieren die Angst vor Schmerzen.

Diese Techniken arbeiten zusammen, um Patienten und Patientinnen zu helfen, ihre Schmerzerfahrung neu zu gestalten. Sie verändern die neuronalen Muster, die Schmerzen aufrechterhalten, und ­reduzieren die psychische Belastung durch chronischen Schmerz.

Dr. med. Antje Kallweit
Fachärztin für Anästhesiologie, Zusatzbezeichnung Spezielle Schmerztherapie, Gründerin und CEO von HELP

Neue Wege in der Schmerztherapie – ein Paradigmenwechsel ist nötig

Unser derzeitiges System wird vielen chronischen Schmerzpatienten und -patientinnen nicht gerecht. Das biopsychosoziale Modell gilt als Grundlage moderner Schmerztherapie, doch im ambulanten Bereich fehlt oft die interdisziplinäre Verzahnung. Zunächst stehen biomedizinische Maßnahmen im Fokus. Erst wenn diese scheitern, wird eine psychotherapeutische Behandlung erwogen – für viele Patienten und Patientinnen wirkt das wie eine Psychologisierung ihres Leidens. Dabei ist längst belegt, dass chronischer Schmerz oft durch zentrale Sensitivierung und einen Angst-Schmerz-Zyklus aufrechterhalten wird.

Um nachhaltige Veränderungen zu ermöglichen, muss dieser Angst-Schmerz-Zyklus direkt adressiert werden. Hier setzen Pain Reprocessing Therapy (PRT) und Emotional Awareness and Expression Therapy (EAET) an – zwei wissenschaftlich fundierte Ansätze, die das Schmerzgeschehen aus neurobiologischer und emotionaler Perspektive betrachten. PRT hilft dem Gehirn, Schmerzsignale als ungefährlich zu bewerten, während EAET unverarbeitete Emotionen als mögliche Schmerzverstärker löst. Studien zeigen vielversprechende Ergebnisse: 66 % der PRT-Patienten und -Patientinnen wurden schmerzfrei oder erlebten eine deutliche Reduktion [6]. EAET wiederum erwies sich als effektiver als kognitive Verhaltenstherapie bei Fibromyalgie und somatoformen Schmerzen [8,9].

Trotz dieser Erkenntnisse bleibt die Umsetzung schwierig. Die meisten Ärzte und Ärztinnen können in ihrer täglichen Praxis biomedizinische und psychotherapeutische Ansätze nicht gleichermaßen integrieren.

  • In der medizinischen Fortbildung werden die neuesten Erkenntnisse zu noziplastischen Schmerzen oft noch nicht vermittelt.
  • Zwischen Diagnostik, Medikation und organisatorischen Anforderungen fehlt die Zeit für eine zusätzliche psychotherapeutische Begleitung der Betroffenen.

Hier setzt HELP an: die erste digitale Anwendung, die PRT und EAET strukturiert und für Patientinnen und Patienten zugänglich macht. HELP schließt ­die Versorgungslücke, indem es wissenschaftlich fundierte Übungen in den Alltag der Betroffenen integriert –

unabhängig von begrenzten ärztlichen Ressourcen. Wenn ein noziplastischer Schmerzmechanismus wahrscheinlich erscheint, kann HELP als niedrigschwellige, evidenzbasierte Ergänzung eingesetzt werden. Die Betroffenen lernen, selbstwirksam den Angst-Schmerz-Zyklus gezielt zu durchbrechen. Mit der erwarteten Zulassung als Medizinprodukt bis Mai 2025 wird HELP einen entscheidenden Beitrag zur modernen Schmerzversorgung leisten. Denn wenn biopsychosoziale Schmerztherapie mehr als ein theoretisches Modell sein soll, braucht es ­Lösungen, die sich an der Realität der medizinischen Versorgung orientieren.

Die Behandlung chronischer Schmerzen profitiert von interdisziplinären multimodalen Konzepten. Evidenzbasierte Studien zeigen, dass neuere Ansätze wie Mind-Body-Medizin und Pain Reprocessing Therapy wirksame Ergänzungen zur konventionellen Schmerztherapie sein können [7]. Die Integration dieser Ansätze kann zu einer Verbesserung der Schmerzintensität, Lebensqualität und Funktionalität bei Personen mit chronischen Schmerzen führen. Weitere Forschung ist notwendig, um die Wirksamkeit dieser Methoden zu validieren und optimale Behandlungsprotokolle zu entwickeln.

  1. Chenchen Wang et al., Ann Intern Med 2016; 165: 77–86, DOI 10.7326/M15-2143
  2. Zhang Y et al., J Orthop Surg Res 2024; 471, DOI 10.1186/s13018-024-04962
  3. Marotta N et al., Journal of Orthopaedic Research 2024; 1–8
  4. Matko K et al., J Clin Med 2023; 12: 3778, doi.org/10.3390/jcm12113778
  5. Meyer A-V, Dissertation, Medizinische Fakultät Charité – Universitätsmedizin Berlin, 2023
  6. Ashar YK et al., JAMA Psychiatry 2022; 79: 13–23
  7. Lee C et al., Pain Medicine2014; 15: 21–39, doi.org/10.1111/pme.12383
  8. Lumley MA et al., Pain 2017; 158: 2354–63
  9. Yarns BC et al., JAMA Netw Open 2024; 7: e2415842

Bildnachweis: Dedraw Studio (gettyimages), privat

Lesen Sie mehr und loggen Sie sich jetzt mit Ihrem DocCheck-Daten ein.
Der weitere Inhalt ist Fachkreisen vorbehalten. Bitte authentifizieren Sie sich mittels DocCheck.
- Anzeige -

Das könnte Sie auch interessieren

123-nicht-eingeloggt