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Allgemeinmedizin

Corona-Pandemie

Das Darmmikrobiom – Biomarker für einen schweren COVID-Verlauf?

Agata Kwapisz

Welche potenzielle Rolle die Darmflora bei SARS-CoV-2-positiven Patienten spielt, konnte eine aktuelle Studie aufzeigen. Betroffene haben eine geringere Vielfalt des Mikrobioms und weniger entzündungshemmende Bakterien. Stattdessen häufen sich bei ihnen Bakterien, die mit entzündlichen Erkrankungen in Verbindung stehen.

Husten und Atemnot sind die Hauptsymptome von COVID-19. Der Schweregrad der akuten COVID-19-Erkrankung variiert von einer asymptomatischen Infektion bis hin zu einem lebensbedrohlichen akuten Atemnotsyndrom. Neben den respiratorischen Komplikationen weist COVID-19 auch andere Organmanifestationen auf. Ungefähr 20–30 % der Patienten leiden unter Diarrhoe, sodass die Vermutung nahe liegt, dass Veränderungen in der Beschaffenheit des Darm­mikrobioms mit COVID-19 assoziiert sind [1].


Virusnachweis im Kot

Studien zeigten, dass bei 50 % der Infizierten das Coronavirus im Stuhl nachweisbar ist. Der ACE2-Rezeptor, über den SARS-CoV-2 in die menschlichen Zellen gelangt, wird auch in Darmepithelzellen stark exprimiert. Die Interaktion des Rezeptors mit dem Coronavirus beeinflusst dessen Expression, darüber auch die Aufnahme von Tryptophan in Enterozyten und in der Folge die Produktion und Freisetzung von antimikrobiellen Substanzen. Diese können letztlich die Zusammensetzung des Darmmikrobioms verändern.


Verändertes Mikrobiom bei COVID-19

Studienergebnisse konnten belegen, dass das Darmmikrobiom eine wichtige Rolle für die menschliche Gesundheit spielt. Durch mikrobielle Stoffwechselprodukte und Interaktionen zwischen Mikroorganismen und Immunzellen wird die Immunantwort in entfernten Organen beeinflusst. So zeigte sich im Tiermodell, dass die Darmflora den Verlauf von infektiösen Lungenerkrankungen beeinflusst. Umgekehrt beeinflusst auch die Lungeninfektion das Mikro­biom. Das deutet auf einen bidirektionalen Crosstalk zwischen Darm und Lunge hin.

In einer aktuellen Untersuchung wurde das Darmmikrobiom von 212 Patienten eines Krankenhauses (117 mit SARS-CoV-2 infizierte Patienten und 95 SARS-CoV-2-negative Patienten) mittels 16S-rRNA-Gensequenzierung analysiert [1]. Viele Faktoren können das Darmmikrobiom beeinflussen. Dazu gehören das Alter, Adipositas und diverse Erkrankungen, z. B. Diabetes mellitus. Aber auch eine vorangegangene antibiotische Therapie kann die Darmflora erheblich verändern. Ein großer Vorteil dieser Studie ist, dass nur 3 % der Patienten antibiotisch behandelt wurden. Zusätzlich zum Rektumabstrich wurden umfassende Laboruntersuchungen gemacht, um die Funktionen mehrerer Organe, beispielsweise Niere, Leber und Knochenmark, zu überprüfen. Auch Entzündungmarker und Immunparameter (z. B. IL-6, sIL-2R, CD3+ T-Zellen, CD19+ B-Zellen, CD4+ T-Zellen, CD8+ T-Zellen) wurden erhoben.

Bei der Hälfte der COVID-19-Infizierten ist das Coronavirus im Stuhl nachweisbar.


Nach Auswertung der Daten zeigte sich, dass SARS-CoV-2-positive Personen im Vergleich zu SARS-CoV-2-negativen Personen Unterschiede in der Zusammensetzung des Darmmikrobioms aufwiesen. Die Forscher konnten bei SARS-CoV-2-positiven Patienten eine höhere Anzahl von Bacteroidetes und ­Proteobacteria und eine geringere Anzahl von Actinobacteria feststellen. Letztere nehmen eine entscheidende Rolle bei der Aufrechterhaltung der Darmhomöostase ein. Zudem wiesen sie eine Zunahme der Gattung Bacteroides und der Familie Entero­bacteriaceae (Stamm Proteobakterien) auf, die entzündungsfördernde Eigenschaften haben und bei entzündlichen Erkrankungen vermehrt vorkommen.

Patienten mit einer schweren COVID-19-Erkrankung zeigten eine überschießende Immunantwort. Der Schweregrad der Erkrankung hängt jedoch nicht nur von der Virulenz des Virus ab, sondern wird auch durch die Immunreaktion bestimmt. Während bei asymptomatischen Patienten und ­Patienten mit leichter COVID-19-Erkrankung nur diskret erhöhte inflammatorische Mediatoren vorzufinden sind, wird der schwere COVID-19-Verlauf durch eine überschießende Immunreaktion mit übermäßiger Entzündung und erhöhter Expression von proinflammatorischen Mediatoren und Zytokinen charakterisiert. Zudem weisen diese Patienten eine verringerte Aktivität von CD8+ T-Zellen auf.

Auf der Ebene des Darmmikrobioms konnten die Wissenschaftler feststellen, dass bei schwer erkrankten Patienten die Anzahl entzündungshemmender Butyrat-produzierender Bakteriengattungen wie Faecalibacterium und Roseburia im Vergleich zu nur leicht betroffenen Patienten reduziert waren. Außerdem war die Vernetzung zwischen antientzündlichen Bakterien deutlich reduziert. Ob die Veränderungen des Darmmikrobioms persistieren oder wieder in den Zustand wie bei SARS-CoV-2-negativen Patienten zurückkehren, ist bislang noch unklar und Gegenstand der aktuellen Forschung.

DAS EXPERTENSTATEMENT

Dr. med. Johanna Reinold
Klinik für Infektiologie,
Westdeutsches Zentrum für Infektiologie,
Universitätsmedizin Essen,
Universität Duisburg-Essen

johanna.reinold@uk-essen.de




Die Rolle der Darmflora bei SARS-CoV-2

Eine Dysbiose des Darmmikrobioms charakterisiert eine SARS-CoV-2-Infektion. Neben einem geringeren Bakterienreichtum dominieren Bakterien mit proentzündlichen Eigenschaften das Darmmikrobiom von SARS-CoV-2-positiven Patienten, während Bakterien mit entzündungs-hemmenden Eigenschaften deutlich vermindert sind. Bei schwer erkrankten Patienten fällt außerdem eine reduzierte Vernetzung von antientzündlich wirksamen Bakterien auf. Die Ergebnisse dieser Arbeit stehen im Einklang mit der Hypothese, dass immunmodulatorische Veränderungen eine Ursache für den schweren Verlauf einer SARS-CoV-2-Infektion darstellen können.

Reinold J et al., Front Cell Infect Microbiol, 17 November 2021; https://doi.org/10.3389/fcimb.2021.747816

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