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Allgemeinmedizin

Sexualität

Bei primärem Sexualkopfschmerz Harmlosigkeit abklären

Prof. Dr. med. Dr. phil. Stefan Evers

24.3.2023

Sexuelle Aktivität kann ein Auslösefaktor für primäre Kopfschmerzen sein. Treten diese bei sexueller Aktivität zum ersten Mal auf, ist es für den Betroffenen oft beängstigend. Im Grunde handelt es sich aber um eine harmlose Erkrankung mit einer guten Prognose, die jedoch die Lebensqualität erheblich einschränken kann.

Auch wenn der primäre Sexualkopfschmerz meist harmloser Natur ist, ist der Ausschluss einer Subarachnoidalblutung (SAB), z. B. aufgrund eines geplatzten Aneurysmas, trotzdem obligat. Bei Verdacht auf eine Blutung oder eine andere symptomatische Ursache des Kopfschmerzes besteht eine zwingende Indikation zur zerebralen Bildgebung [1].

Früher wurde formal zwischen Präorgasmuskopfschmerz (dumpfer Schmerz in Kopf und Nacken, der sich mit zunehmender Erregung verstärkt) und Orgasmuskopfschmerz (mit oder kurz vor dem Orgasmus auftretender starker, explosionsartiger Kopfschmerz) unterschieden; heute werden beide Typen zusammengefasst. Die Schmerzen sind hauptsächlich bilateral und okzipital lokalisiert. Der Orgasmuskopfschmerz kommt etwa fünf Mal häufiger vor als der Präorgasmuskopfschmerz [2]. Es gibt genügend Evidenz, dass es sich beim Kopfschmerz bei sexueller Aktivität um einen eigenständigen idiopathischen Kopfschmerz handelt. Er ist unabhängig von spezifischen sexuellen Praktiken und kann auch bei der Masturbation auftreten [2,3].

Die genaue Lebenszeitprävalenz des primären Sexualkopfschmerzes ist unbekannt und wird bisher mit 1 % angegeben [4,5]. Die aktuelle Prävalenz ist aber vermutlich unterschätzt. Es besteht in 19–47 % der Fälle eine Komorbidität mit Migräne, in 29–40 % mit primärem Kopfschmerz bei körperlicher Anstrengung und bei 45 % mit Kopfschmerzen vom Spannungstyp [2,5,6]. Männer sind bis zu vier Mal häufiger betroffen als Frauen [2,3]. Das Alter bei Erstmanifestation besitzt zwei Gipfel, der erste liegt zwischen 20 und 24 Jahren und der zweite zwischen 35 und 44 Jahren [2].

Der primäre Sexualkopfschmerz ist durch viele Studien inzwischen systematisch untersucht worden und durch Kriterien der International Headache Society (IHS) klar definiert (Tab.)[7]. Er gehört zur Gruppe der anderen primären Kopfschmerzerkrankungen, welche die Kopfschmerzklassifikation der IHS in ihrem vierten Kapitel unterscheidet.

Sämtliche Theorien zur Pathophysiologie des primären Sexualkopfschmerzes sind rein spekulativ. Sicherlich handelt es sich nicht um eine primäre Störung der Blutdruckregulation oder um intrakranielle Blutungen und auch nicht um eine rein psychosomatische Erkrankung. Inzwischen sind reversible Vasospasmen der intrakraniellen Arterien bei dieser Kopfschmerzform beobachtet worden [8,9]. Der Gebrauch erektionsfördernder Substanzen wie Sildenafil oder Nitropräparate muss ausgeschlossen sein.

Therapieoptionen

Als nicht pharmakologische Maßnahmen sind eine passivere Rolle beim Geschlechtsverkehr und ein langsamer Aufbau der sexuellen Erregung ratsam, die bei ca. 50 % der Patienten die Kopfschmerzen reduzieren. Ein Abbruch der sexuellen Aktivität bei Auftreten erster Symptome kann bei ca. 40 % eine weitere Zunahme der Kopfschmerzattacke verhindern und ist insbesondere in der Situation vor dem Orgasmus als Präventionsmaßnahme erfolgreich.

Bei länger anhaltenden Kopfschmerzphasen mit wiederholten Attacken besteht die Indikation für eine medikamentöse Therapie. Sie zielt auf die Vermeidung von Kopfschmerzattacken, da sich die klassischen Schmerzmittel in der Akutbehandlung bereits aufgetretener Attacken zu mehr als 90 % als unbefriedigend erwiesen haben [10]. Bei einigen Patienten waren Triptane hilfreich in der Kupierung der akuten Kopfschmerzen nach dem Orgasmus [11].

Bei geplanter sexueller Aktivität kann eine medikamentöse Kurzzeitprophylaxe mit Indometacin durchgeführt werden. Die empfohlene Dosis beträgt 50–100 mg ca. 30–60 Minuten vor dem Sex. Die Ansprechrate liegt bei über 80 % [10]. Einzelne Fallberichte beschreiben eine Wirksamkeit von Naratriptan oder von anderen Triptanen als Kurzzeitprophylaktikum [11]. Ist eine Langzeitprophylaxe notwendig, ist Propranolol Mittel der ersten Wahl, für das mehrere größere Fallserien eine Wirksamkeit gezeigt haben [10]. Die empfohlene Dosis beträgt 3 x 20–80 mg pro Tag, die Ansprechrate liegt bei über 80 %. Jede prophylaktische Therapie sollte nach ca. 6–8 Wochen probatorisch unterbrochen werden, da spontane Remissionen der Erkrankung die Regel sind. Nur bei unter 20 % der Betroffenen kommt es zu symptomatischen Phasen, die wenige Wochen bis mehrere Jahre lang anhalten und im weiteren Verlauf rezidivieren können; unter 10 % zeigen einen chronischen Verlauf über viele Jahre.

Blutungen und Kopfschmerz

Sexuelle Aktivität ist der Auslöser für eine SAB in 4–11 % der Fälle aller symptomatischen SAB, insbesondere bei älteren Menschen mit arterieller Hypertonie [6,12]. Hierbei muss berücksichtigt werden, dass in den publizierten Daten eine SAB nur für 3 % aller Fälle von isoliertem Sexualkopfschmerz verantwortlich gewesen ist [9], insgesamt muss die Wahrscheinlichkeit sogar noch niedriger angesetzt werden, da eine SAB häufig noch weitere Symptome als nur den Kopfschmerz umfasst.

Aber auch andere Erkrankungen können bei sexueller Aktivität auftreten und sich primär als Kopfschmerz manifestieren. Hier wären z. B. Formen der epiduralen Blutung, Dissektionen der zervikalen Arterien und die Ruptur einer Pinealiszyste zu nennen.

Mehr praxisrelevantes Wissen finden Fachkreise ­online im Migräne- und Kopfschmerz-Guide unter www.mk-guide.org, einem Projekt der DMKG Initiative „Attacke! Gemeinsam gegen Kopfschmerzen“.

Der Autor

Prof. Dr. med. Dr. phil. Stefan Evers
Chefarzt der Klinik für Neurologie
Krankenhaus Lindenbrunn in Coppenbrügge

neurologie@krankenhaus-lindenbrunn.de

1 Evers S et al., Dt Ärztebl 2006; 103: 3040–3047
2 Frese A et al, Neurology 2003; 61: 796–800
3 Lance JW, J Neurol Neurosurg Psychiatry 1976; 39: 1226–1230
4 Rasmussen BK et al., Neurology 1992; 42: 1225–1231
5 Biehl K et al., Cephalalgia 2007; 27: 1271–1273
6 Pascual J et al., Neurology 1996; 46: 1520–1524
7 Headache Classification Subcommittee of the International Headache Society, Cephalalgia 2018; 38: 1–211
8 Theeler BJ et al., Neurol Sci 2010; 31: 773–775
9 Yeh YC et al., Cephalalgia 2010; 30: 1329–1335
10 Frese A et al., Cephalalgia 2007; 27: 1265–1270
11 Frese A et al., Cephalalgia 2006; 26: 1458–1461
12 Reynolds MR et al., J Neurosurg 2011; 114: 969–977

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Bildnachweis: privat

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