Das Therapiemanagement der Migräne erlebt einen tiefgreifenden Wandel. Neue Substanzklassen – Ditane und Gepante – sowie neuartige neuromodulatorische Verfahren und digitale Anwendungen eröffnen innovative, individualisierte Behandlungsoptionen. Dieser Beitrag beleuchtet Wirkmechanismen und Zukunftsperspektiven.
Das Management der Migräne befindet sich an der Schwelle zu einer neuen Ära, in der innovative Therapieansätze zunehmend in den Fokus rücken und bisherige Behandlungsstrategien ergänzen oder gar ablösen könnten. Die bisher dominierenden Behandlungsansätze – von unspezifischen oralen Therapien wie Betablockern bis hin zu zielgerichteteren Methoden wie der Anwendung von Onabotulinumtoxin oder subkutan/intravenösen Calcitonin-Gene-Related-Peptide(CGRP)-Antikörpern – stoßen bei einem Teil der Patientinnen und Patienten in Bezug auf Wirksamkeit und Verträglichkeit an ihre Grenzen. Daher werden neuartige pharmakologische Substanzklassen wie Ditane und Gepante sowie neuromodulatorische Verfahren als vielversprechende Alternativen angesehen. Neben der Weiterentwicklung pharmakologischer Therapieoptionen zeigt sich auch, dass digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) zukünftig eine wichtige Rolle in der individualisierten Migränetherapie spielen könnten. Ziel ist es, die Behandlung noch passgenauer an die individuellen Bedürfnisse der Betroffenen anzupassen, indem moderne Technologien mit den aktuellen Erkenntnissen der klinischen Forschung verknüpft werden.
Optionen bei akuten Attacken
In der Akutbehandlung der Migräneattacken gelten Triptane als wirksamste Substanzen, sind jedoch wegen ihrer peripheren Gefäßkontraktion für Personen mit kardiovaskulären Erkrankungen (z. B. Schlaganfall, Herzinfarkt, schwerer Hypertonie, koronarer Herzkrankheit, peripherer arterieller Verschlusskrankheit, transistorisch ischämischer Attacke) kontraindiziert. Als alternative Optionen stehen hier potenziell nun 2 neue Substanzgruppen, Ditane und Gepante, zur Verfügung. Zur Gruppe der Ditane gehört Lasmiditan, das selektiv am 5-HT1F-Rezeptor wirkt und in Phase-III-Studien gegenüber Placebo besser abschnitt. Da bei der Anwendung von Lasmiditan zentrale Nebenwirkungen wie Benommenheit, Schläfrigkeit und Schwindel auftreten können, wird das Medikament vorwiegend bei Patienten und Patientinnen eingesetzt, bei denen Triptane kontraindiziert sind. Jüngste Studien belegen jedoch, dass die Wirksamkeit von Lasmiditan in der Akuttherapie von Migräneattacken unabhängig vom bisherigen Therapieansprechen auf Triptane ist, wodurch es auch eine zusätzliche Option für Triptan-Nonresponder darstellt.
Ein weiterer innovativer Ansatz in der Akuttherapie von Migräneattacken besteht in der Anwendung kleiner Moleküle, die als Antagonisten am CGRP-Rezeptor wirken – einem zentralen Mediator in der Migränepathophysiologie. Die Blockade des CGRP-Rezeptors unterbindet die nachgeschaltete Signalübertragung, was die Dauer und Intensität von Migräneattacken verkürzt. Aufgrund von Leberwerterhöhungen wurde die erste Generation der Gepante nicht weiterverfolgt. Als Gepante der zweiten Generation werden aktuell Rimegepant, Ubrogepant sowie Zavegepant untersucht. Während Rimegepant und Ubrogepant oral eingenommen werden, wird Zavegepant nasal appliziert, um eine schnellere systemische Verfügbarkeit und einen rascheren Wirkungseintritt zu erzielen. In randomisierten, placebokontrollierten Studien zeigten Ubrogepant und Rimegepant eine signifikant höhere Wirksamkeit als Placebo; indirekte Vergleiche deuten jedoch auf eine etwas geringere Effektivität als bei Triptanen hin, wobei direkte Vergleichsstudien fehlen.
In den USA sind Rimegepant, Ubrogepant und Zavegepant bereits FDA-zugelassen, während in Europa bislang nur Rimegepant zugelassen ist – Letzteres wird zudem für die Migräneprophylaxe eingesetzt. Trotz der Zulassung in 2022 ist die Markteinführung von Rimegepant in Deutschland bisher nicht erfolgt, und auch für Zavegepant ist derzeit keine EMA-Zulassung abzusehen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Substanzklasse der Gepante und Ditane mit der Maßgabe entwickelt wurde, dass sie keine vasokonstriktiven Eigenschaften haben, um so therapeutische Lücken bei Kontraindikationen, unzureichender Wirkung oder Unverträglichkeit einer Triptan-Therapie zu schließen. Aktuell lässt sich dies in Deutschland allerdings nur mit Lasmiditan praktisch umsetzen.
Prävention
Die neuen Therapieansätze beschränken sich nicht ausschließlich auf die Akutbehandlung der Migräne, sondern umfassen auch präventive Strategien. So ist Atogepant, ebenfalls ein Gepant der zweiten Generation, zur Migräneprophylaxe zugelassen und ist seit März 2025 in Deutschland verfügbar. Atogepant ist indiziert für Erwachsene mit mindestens 4 Migränetagen pro Monat und liegt als Tablette in den Dosierungen 10 mg und 60 mg vor. Die empfohlene Tagesdosis beträgt 60 mg und kann unabhängig von den Mahlzeiten eingenommen werden. Bei gleichzeitiger Gabe starker CYP3A4- und OATP-Inhibitoren wird aufgrund der überwiegenden Metabolisierung über CYP3A4 eine Dosisreduktion auf 10 mg empfohlen.
Die im August 2023 erfolgte Zulassung basiert auf den Ergebnissen der Phase-III-Studien ADVANCE [1] und PROGRESS [2]. In der ADVANCE-Studie reduzierte Atogepant bei Personen mit episodischer Migräne im 3-monatigen Behandlungszeitraum die monatlichen Migränetage (MMD) im Durchschnitt um 4,2 Tage, verglichen mit einer Reduktion von 2,5 Tagen in der Placebogruppe – dies entspricht einer Reduktion von etwa 53 % gegenüber dem Ausgangswert (Placebo: 33 %). Bei chronischer Migräne wurde eine MMD-Reduktion von 35,9 % innerhalb von 3 Monaten erzielt, verglichen mit 27 % unter Placebo. Zu den am häufigsten berichteten Nebenwirkungen zählten Obstipation, Übelkeit sowie Infektionen der oberen Atemwege.
Die bisher vorliegenden Studienergebnisse deuten darauf hin, dass Atogepant in der Prophylaxe der Migräne eine Wirksamkeit erreicht, die mit der der gegen den CGRP-Signalweg gerichteten Antikörper vergleichbar ist, bei einem ähnlichen Nebenwirkungsprofil. Ein wesentlicher Vorteil von Atogepant liegt in seiner oralen Verabreichung, die eine flexiblere Dosierungssteuerung und einen potenziell schnelleren Wirkungseintritt ermöglicht.
Gemäß den Empfehlungen der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) sollte aus ökonomischen Erwägungen zunächst eine Verordnung von Atogepant in Betracht gezogen werden, wenn ein Therapieversagen oder Kontraindikationen gegenüber klassischen, unspezifischen Migräneprophylaxen vorliegen. Der endgültige Stellenwert im klinischen Alltag sowie die Einordnung in den medikamentösen Behandlungsalgorithmus können abschließend erst nach der Bewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss im Zuge des AMNOG-Verfahrens festgelegt werden.
Neuromodulation
Ergänzend zu diesen pharmakologischen Innovationen rückt die Neuromodulation als nicht invasive Therapieoption immer stärker in den Mittelpunkt. Neuromodulatorische Verfahren beruhen auf dem Einsatz von elektrischen oder magnetischen Stimuli, um die neuronale Erregbarkeit in spezifischen Hirnregionen gezielt zu modulieren. Die nicht invasive Neuromodulation lässt sich in Verfahren einteilen, die entweder transkutan Nerven im Hals- bzw. Kopfbereich oder transkraniell das Gehirn stimulieren. Bei den transkutanen Ansätzen wird zwischen der Stimulation des N. trigeminus, des N. occipitalis major und des N. vagus differenziert. Ergänzend dazu wurden auch die transkranielle magnetische Stimulation (TMS) sowie die transkranielle Gleichstromstimulation (tDCS) zur Behandlung von Migräneattacken untersucht.
Nicht invasive neuromodulatorische Verfahren in der Migränetherapie wurden in verschiedenen Studien untersucht, weisen jedoch insgesamt nur eine geringe Evidenz aufgrund kleiner Fallzahlen und methodischer Variabilität auf. So zeigte beispielsweise eine Studie mit externer transkutaner Trigeminus-Neuromodulation im supraorbitalen Bereich bei episodischer Migräne (n = 65) eine signifikante Reduktion der monatlichen Migränetage (-2,06 Tage) und eine höhere 50-%-Responderrate (38,1 %) gegenüber der Kontrollgruppe, bei guter Verträglichkeit [3].
Weitere Studien evaluierten die transkutane N.-vagus-Stimulation (nVNS). In den PREMIUM-I- und PREMIUM-II-Studien konnten bei Stimulation am Hals zwar keine signifikanten Unterschiede in der Reduktion der Migränetage im Vergleich zu Sham-Stimulation gezeigt werden, jedoch war die 50-%-Responderrate in der nVNS-Gruppe in Post-hoc-Analysen höher [4-6].
Auch aurikuläre Vagusnervstimulationen zeigten teilweise signifikante Effekte, schwerwiegende Nebenwirkungen traten nicht auf; vereinzelt wurden Hautirritationen im Concha-Bereich beobachtet. Mehrere unkontrollierte Fallserien und kleinere Studien deuten darauf hin, dass TMS bzw. tDCS einen potenziellen prophylaktischen Effekt bei Migräne ausüben könnten. Allerdings erschweren die signifikanten methodologischen Unterschiede sowie die heterogene Studienqualität eine abschließende Bewertung der Wirksamkeit dieser Verfahren.
Insgesamt ist die Evidenz für den Einsatz nicht invasiver Neurostimulationen bei der Migräneprophylaxe aufgrund kleiner Fallzahlen, methodischer Variabilität und Verblindungsproblemen als gering einzustufen. Zudem erschweren die eingeschränkte Verfügbarkeit entsprechender Stimulatoren auf dem deutschen Markt und die unzureichende Kostenübernahme durch Krankenkassen eine breite klinische Anwendung.
Digitale Gesundheitsanwendungen
Ein weiterer zentraler Aspekt der zukünftigen Migränetherapie ist die zunehmende Integration digitaler Gesundheitsanwendungen in den klinischen Alltag. Die erste zugelassene DiGA zur Migräneprophylaxe „sinCephalea“ stellt ein exemplarisches Beispiel für den digitalen Wandel im Gesundheitswesen dar.
Das Ziel dieser DiGA besteht darin, die postprandiale Blutzuckerantwort zu stabilisieren, was von Relevanz ist, da es Hinweise gibt, dass Blutzuckerschwankungen und der dadurch resultierende metabolische Stress möglicherweise die Migränepathophysiologie begünstigen. Die Anwendung basiert auf einem messdatenbasierten, objektiven ernährungswissenschaftlichen Ansatz, der patientenindividuelle Daten mit Ernährungsgewohnheiten und Lebensstilfaktoren kombiniert. Daraus werden praxisnahe Ernährungsempfehlungen abgeleitet, die zur Stabilisierung des Blutzuckerspiegels beitragen sollen.
Im Oktober 2022 erhielt sinCephalea die Zulassung als DiGA durch das BfArM und wurde in das DiGA-Verzeichnis aufgenommen, was die Anwendung verschreibungs- und erstattungsfähig macht. Sie richtet sich an Menschen mit gesicherter episodischer Migränediagnose.
In einer Studie mit 71 Patienten und Patientinnen, die mindestens 3 Migränetage pro Monat aufwiesen, führte die 12-wöchige Befolgung personalisierter Ernährungsempfehlungen zu einer durchschnittlichen Reduktion der Kopfschmerztage um 2,4 Tage (-44 %) sowie zu einer Senkung der Migränetage um mindestens 30 % bei 58 % der Teilnehmenden [7]. Es zeigte sich zudem eine signifikante Verringerung der alltagsbezogenen Beeinträchtigung. Diese Ergebnisse sowie positive präklinische Befunde weisen darauf hin, dass diese App einen wertvollen Beitrag zur Versorgung von an episodischer Migräne Erkrankten leisten kann. Zur weiteren Evidenzgenerierung wird derzeit eine groß angelegte klinische Interventionsstudie durchgeführt, die den dauerhaften Eintrag in das DiGA-Verzeichnis nach § 139e SGB V unterstützen soll [8].
Kopfschmerzregister
Im erweiterten Kontext digitaler Gesundheitsanwendungen muss auch das Kopfschmerzregister der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft genannt werden. Das Kopfschmerzregister erfasst systematisch klinische Daten von Migräne- und Kopfschmerzpatienten und -patientinnen, um Versorgungsprozesse und Behandlungsergebnisse im realen Alltag zu evaluieren. Durch die Analyse dieser Daten können perspektivisch Versorgungsdefizite identifiziert und bestehende Therapieansätze optimiert werden. Im klinischen Alltag verbessert die kombinierte Nutzung des Registers und der DMKG-App als Kopfschmerzkalender für Patientinnen und Patienten sowie Behandelnde die Darstellung des Migräneverlaufs erheblich. Durch die strukturierte Aufbereitung sämtlicher aktueller anamnestischer Patientendaten ermöglicht diese Anwendung zudem eine deutlich zeiteffizientere Betreuung von Migräne-Betroffenen. Insgesamt ermöglicht dieses digitale Tool eine kontinuierliche Reevaluation der gewählten Behandlungsstrategie, was zu einer verbesserten Versorgungsqualität und Therapieadhärenz führen kann. Somit unterstreicht das Kopfschmerzregister der DMKG das Potenzial digitaler Gesundheitslösungen, die Migräneversorgung evidenzbasiert zu verbessern und gezielt auf die Bedürfnisse der Betroffenen abzustimmen.
Ausblick
Ein Blick in die Zukunft lässt erwarten, dass das Spektrum der Migränetherapie in den kommenden Jahren weiter zunehmen und das Management der Erkrankung weit über die bisher etablierten Ansätze hinausgehen wird. Dabei ist zu berücksichtigen, dass neben der reinen Wirksamkeit auch regulatorische und ökonomische Herausforderungen bewältigt werden müssen. Eine evidenzbasierte Bewertung und ein kontinuierlicher Austausch mit den zuständigen Regulierungsbehörden sind hierbei unerlässlich. Zudem muss die ökonomische Rentabilität der neuen Therapien durch fundierte Kosten-Nutzen-Analysen im klinischen Alltag nachgewiesen werden, um ihren breiten Einsatz zu rechtfertigen. Auch die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Klinik, Technologieanbietern und Gesundheitsbehörden wird entscheidend für den Erfolg künftiger Therapieansätze sein.
FAZIT:
Die Kombination innovativer pharmakologischer Substanzklassen wie Ditane und Gepante, neuartiger neuromodulatorischer Verfahren und digitaler Gesundheitsanwendungen bietet ein vielversprechendes Konzept, um die Migränetherapie individueller, effektiver und verträglicher zu gestalten. Durch die fortlaufende Weiterentwicklung und Validierung dieser Ansätze wird der Weg zu einer personalisierten Migränetherapie geebnet, die nicht nur die Anzahl der Migräneattacken reduziert, sondern auch die Lebensqualität der Betroffenen nachhaltig verbessert. Dieser multidimensionale Ansatz hat das Potenzial, die Herausforderungen der Migränetherapie grundlegend zu transformieren und neue Perspektiven für eine präzise, patientenzentrierte Behandlung dieser komplexen Erkrankung zu eröffnen.
Der Autor
Dr. med. Sebastian Strauß
Oberarzt
Klinik und Poliklinik für Neurologie
Universitätsmedizin Greifswald
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