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Dermatologie

Sexuell übertragbare Infektionen

Angst vor Ansteckung: Wenn die Lust zur Last wird

Dipl.-Psych. Dr. Judith A. Bahmer

10.5.2024

Sexuell übertragbare Infektionen (STI) sind nach wie vor schambehaftet. Aufgrund der steigenden Infektionszahlen ist von einer Zunahme assoziierter psychischer Störungen auszugehen. Diffuse Ängste Betroffener sollten ernst genommen und gegebenenfalls behandelt werden.

Geschlechtskrankheiten sind weltweit auf dem Vormarsch. Die Gesundheitsbehörde der USA spricht im Hinblick auf mehr als 2 Millionen mit Chlamydien, Gonokokken und Syphilis Infizierten von einer Epidemie, die außer Kontrolle geraten könne. Als Gründe für steigende Erkrankungsziffern werden ein freizügigeres Sexualverhalten und durch Internet und Dating-Apps erleichterte Kontakte angesehen. Auch könnte ein verändertes Risikobewusstsein eine Rolle spielen. Parallel zur Zunahme der STI-Infektionen ist auch mit einem Anstieg assoziierter psychischer Störungen zu rechnen, sind doch Geschlechtskrankheiten trotz Aufklärung und Liberalisierung noch immer schambehaftet.

Venerophobie: Spielart der Hypochondrie

Die Venerophobie, eine Form der dermato-venerologischen Hypochondrie, beschreibt die Angst, an einer Geschlechtskrankheit zu leiden. Bei der Venerophobie ist die Angst diffus und bezieht sich nicht auf eine bestimmte Geschlechtskrankheit. Bezieht sich die Furcht auf eine bestimmte Geschlechtskrankheit, wird diese zur Bezeichnung verwendet, beispielsweise Syphilisphobie oder AIDS-Phobie. Zentraler Aspekt dieser Phobien ist die Furcht vor einer Ansteckung beim Sexualverkehr.

Männer sind häufiger betroffen, weil sie leichter als Frauen Veränderungen am Genitale feststellen ­können, die als Symptom einer Infektion gedeutet werden. Bei diesen Veränderungen handelt es sich meist um geringfügige Haut- oder Schleimhaut­veränderungen. Manche Patienten kommen auch wegen subtiler Veränderungen der Miktion oder der Ejakulation, die als Symptome einer Geschlechtskrankheit missgedeutet werden. Frauen mit Venerophobie interpretieren manchmal Juckreiz, Schmerzen oder Veränderungen der Genitalschleimhaut als STI-Symptome. Lassen sich Betroffene nicht von der Harmlosigkeit der Beschwerden oder der Veränderungen überzeugen oder stellen sich selbst nach gründlicher Diagnostik wiederholt vor, ist eine Venerophobie in Betracht zu ziehen.

Jeder Versuch, Betroffene schnell loszuwerden oder ihre Beschwerden zu bagatellisieren, verstärkt die Angst und das Verlangen nach weiterer Diagnostik. Wichtig ist, die Befürchtungen ernst zu nehmen und in der Therapie darauf zu fokussieren. Neben kognitiver Verhaltenstherapie, die auf eine Veränderung dysfunktionaler, krankheitsbezogener Gedanken zielt, kann eine anxiolytische Behandlung mit selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) oder Trizyklika eine Entlastung bieten. Festgelegte Wieder­vorstellungstermine vermitteln die Sicherheit einer tragenden therapeutischen Beziehung und helfen zu lernen, Angstgefühle auszuhalten.

Psychodynamik der Venerophobie

Insgesamt finden sich wenig Untersuchungen zu psychologisch-psychodynamischen Hintergründen der Venerophobie. Eine neuere Querschnittstudie aus Nepal zeigt eine Häufung von Venerophobie bei ­jenen Männern, die nach ungeschütztem Verkehr mit einer Prostituierten genitale Veränderungen entdeckt ­hatten. Nach psychoanalytischer Theorie könnte die ungezügelte Befriedigung des Sexualtriebs einen Verstoß gegen die moralischen Regeln des Über-Ichs darstellen und dieses unbewusste Schulderleben zur neurotischen Fixierung (Angstneurose) führen.

Auch die Furcht vor der sozialen Bloßstellung nach einem Verstoß gegen internalisierte soziale, moralische oder religiöse Werte könnte eine Rolle spielen. Insofern könnte die Furcht vor der Erkrankung als vorweggenommene Strafe für das scham- und schuldbesetzte Verhalten interpretiert werden. Bei einer solchen psychodynamischen Störungskomponente ist eine tiefenpsychologisch-fundierte ­Therapie indiziert.

Ein junger Mann leidet unter massiven Ängsten, sich in der Sauna oder auf einer Toilette mit einer Geschlechtskrankheit angesteckt zu haben, seit er eine Rötung an seinem Penis entdeckt und Missempfindungen beim Wasserlassen habe. Deshalb habe er sich schon beim Hausarzt, beim Dermatologen und beim Urologen vorgestellt, die seine Beschwerden aber nicht ernst genommen hätten. Blut und Urin seien zwar untersucht worden, jedoch nicht „leitliniengerecht“. Auch mit der Therapie mit einem Breitbandantibiotikum sei er unzufrieden, da sich die Beschwerden nicht gebessert hätten. Er sei ganz sicher, an einer Geschlechtskrankheit zu leiden. Nachdem er über mögliche Übertragungswege aufgeklärt worden sei, vermute er, dass seine Freundin fremdgegangen sei und ihn angesteckt habe. Seine Versuche, sie zu einer Untersuchung zu bewegen, seien fehlgeschlagen. Es gebe zunehmend Konflikte, da die Freundin noch immer beschwerdefrei sei und sich zu Unrecht beschuldigt fühle. Seinen Penis habe er nun selbst mit einem Desinfektionsmittel behandelt, was die Reizung aber verstärkt habe. Daraus leite er die Gewissheit ab, doch unter einer nicht adäquat behandelten Geschlechtskrankheit zu leiden. Sein dringender Wunsch nach weiterer Diagnostik bestehe fort.

Die feste Überzeugung, unter einer Geschlechtskrankheit zu leiden, weist eher auf eine Wahnstörung hin als auf eine klassische phobische Störung, da die temporäre Entlastung durch negative Testergebnisse sowie das bei der Phobie prominente Angsterleben und die Vermeidung assoziierter Situationen fehlen. In diesem Fall wäre ein psychiatrisches Konsil angezeigt, und bei Bestätigung des Wahncharakters eine neuroleptische Medikation.

Die Autorin

Dipl.-Psych. Dr. Judith A. Bahmer
Psychologische Psychotherapeutin
Praxis für Psychotherapie
48145 Münster

psycheundhaut@gmail.com

Literatur bei der Autorin

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Bildnachweis: privat

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