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Dermatologie

Haut in den sozialen Medien

Vom Schönheitswahn zur Entstellungsfurcht

Dipl.-Psych. Dr. Judith A. Bahmer

18.3.2022

Die explosive Zunahme der Möglichkeiten, sich mithilfe der neuen sozialen Medien weltweit zu präsentieren, hat dazu geführt, dass sich neue Trends der Body-Modifikation, mit denen das Aussehen verbessert, verschönt und optimiert werden soll, rasend schnell verbreiten.

Die Haut als Projektionsfläche und als Leinwand zur Darstellung von Individualität und Einzigartigkeit macht sich die Tätowierkunst zunutze. Tätowierungen sind heute quer durch alle Altersklassen verbreitet und zeigen – gerade bei großflächigen Motiven – die Bereitschaft, Zeit, Schmerzen und Geld in den eigenen Körper zu investieren. Untersuchungen ergaben, dass sich Menschen durch eine Tätowierung attraktiver fühlen. Ähnliches gilt für das Piercing, das sich schneller, wenn auch nicht immer narbenlos, wieder rückgängig machen lässt. Auch hier ließ sich zeigen, dass Piercings das Selbstvertrauen und das Attraktivitätserleben steigern können.


Bei extremen Formen der Körpermodifikation, z. B. beim Branding, bei Skarifizierungen, Zungenspaltungen oder (Teil-)Amputationen, findet sich eine signifikante Häufung von Menschen mit emotional-instabiler Persönlichkeit. Besonders für schwer traumatisierte Menschen kann eine Modifikation ihres Körpers eine Art „Rückeroberung“ darstellen oder über extreme Schmerzerfahrung Bewusstsein für die eigenen Körpergrenzen schaffen. Für Dermatologen relevant ist sicherlich die mit ca. 30 % relativ hohe Rate an Komplikationen bei Tätowierungen, Skarifizierungen und beim Branding, die von allergischen Reaktionen über bakterielle Infektionen und Abszesse bis zur Sepsis reichen können.


Schönheitsoperationen beschränkten sich lange Zeit auf die Glättung von Falten, auf Nasen- und Lidkorrekturen sowie auf die Modifikation der weiblichen Brust. Heute lassen sich Körperkonturen durch Implantation von Eigenfett oder Kunststoffen, durch Radiofrequenz oder Kälte fast beliebig modifizieren. Weniger eingreifend sind Injektionen von Bakterientoxin oder Filler-Substanzen – allerdings auch nicht ganz risikolos. Bei Männern hat die Transplantation von Kopfhaaren zur Behandlung der androgenetischen Alopezie einen besonderen Stellenwert. Nicht wenige Männer sind bereit, bei einer geringen Zunahme der „Geheimratsecken“ viel Geld in deren Behandlung zu investieren.


Eine verbindliche Definition von Schönheit gibt es nicht, denn Schönheitsideale wandeln sich beständig und sind stets Ausdruck von Zeitgeist und einer Mehrheitsvorstellung von Ästhetik. Anders als in der vordigitalen Zeit kann das eigene Aussehen heute jederzeit mit dem in den Medien präsentierten Aussehen anderer Menschen verglichen werden. Problematisch ist, dass kaum realitätsgemäße (Körper-)Bilder in den sozialen Medien ver­breitet werden. Meistens werden die Darstellungen mittels digitaler Bildbearbeitung nach- oder durch die Nutzung von Filtern vorbereitet. Diese vermeintliche Makellosigkeit erzeugt Druck zur Selbstoptimierung. Besonders hoch ist das Risiko für eine Körperbildstörung bei jungen Menschen, deren Körperselbst und Selbstbewusstsein noch nicht ausreichend gefestigt sind. Das Spek­trum der Patienten in der dermatologischen Praxis, die über Abweichungen von der Schönheitsnorm oder über einen Makel klagen, ist extrem groß. Diese reichen von makroskopischen Befunden (z. B. Falten, Male) bis hin zu mikroskopischen Veränderungen (z. B. vergrößerte Hautporen). Stehen die selbstquälerische Beschäftigung mit der Veränderung und der Leidensdruck in keinem Verhältnis zur Krankheitsschwere, besteht der Verdacht auf eine körperdysmorphe Störung (Dysmorphophobie). Mit einer Punktprävalenz von 0,7 % bis 2,4 % ist diese Störung relativ häufig.


Auffällig oft geht die körperdysmorphe Störung mit Depression und sozialer Phobie einher. Eine zielgerichtete psychotherapeutische Intervention muss darauf fokussieren, mögliche Ursachen zu identifizieren. In Betracht kommen kognitiv-behaviorale Faktoren, die für die Entstehung des Selbstbildnisses mitverantwortlich sind (z. B. Nutzung sozialer Medien mit Übernahme eines dysfunktionalen Idealselbstbildes) sowie psychodynamische Konflikte oder Bindungsstörungen. In Abhängigkeit von der zugrunde liegenden Psychodynamik kann entweder eine kognitive Verhaltenstherapie (z. B. bei Dominanz negativer kognitiver Schemata) oder eine tiefenpsychologisch-fundierte Psychotherapie (siehe Fallbeispiel) angezeigt sein.

Fallvignette

Anlass für die Vorstellung des 28-jährigen Patienten in meiner psychotherapeutischen Sprechstunde war ein zunehmendes Vermeidungsverhalten im beruflichen und privaten Bereich. Gefühle von Niedergeschlagenheit und Wertlosigkeit raubten ihm die Energie. Er hatte bereits alle Spiegel zu Hause verhängt. Als Grund benannte er seine Augenschatten, die ihn stets müde, krank und nicht leistungsfähig erscheinen ließen und auf die er von Kollegen und Freunden angesprochen wurde. Augenscheinlich handelte es sich bei den Augenschatten um eine schon lebenslang bestehende, genetisch mitbedingte und nicht als ­pathologisch zu wertende Hyperpigmentierung. Es wurde die Diagnose einer sozial-phobischen Störung auf Basis einer Dysmorphophobie gestellt und eine tiefenpsychologisch-fundierte, ambulante Psychotherapie eingeleitet. ­Dabei zeigte sich, dass der Patient seit seiner Kindheit regelmäßig durch seine sehr besorgte Mutter auf kleinste Veränderungen der Augenschatten hingewiesen worden war, die von ihr mit Müdigkeit und Krankheit assoziiert wurden. So hatte sich eine ­Fixierung etabliert, die dazu geführt hatte, dass der Patient seine Augenschatten fast zwanghaft kontrollierte und aus dem Spiegelbild seine gesundheitliche Konstitution abzuleiten versuchte. Durch eine strukturbezogene, therapeutische Arbeit an Selbst-, Affekt- und Körperwahr­nehmung, eine Edukation zu individueller Haut­pigmentierung sowie den Abbau negativer Selbst­anteile durch die Bearbeitung früher Erfahrungen von Kritik, Abwertung und Kränkung konnten die Ursache des geringen Selbstwerterlebens identifiziert, Vermeidungsverhalten ab- und ein gesundes Selbstwerterleben aufgebaut werden.

Die Autorin

Dipl.-Psych. Dr. Judith A. Bahmer
Psychologische Psychotherapeutin
Praxis für Psychotherapie
48145 Münster

psycheundhaut@gmail.com

Literatur bei der Autorin

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Bildnachweis: privat

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