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Allgemeinmedizin

Schmerzpsychotherapie und Psychoeduktion

Bei chronischem Schmerz psychische und soziale Faktoren berücksichtigen

Dr. phil. Dipl.-Psych. Judith A. Bahmer

25.1.2023

Bei der Entstehung chronischer Schmerzen greifen oft physische, psychische und biosoziale Faktoren ineinander. Entsprechend multimodal sollte die Schmerztherapie ausgerichtet sein. Neben fachärztlicher Behandlung können schmerzpsychotherapeutische und psychoedukative Interventionen die Patienten unterstützen.

 Prävalenzraten chronischer mittelstarker bis starker Schmerzzustände variieren in Deutschland zwischen 15 und 25 %. Zwischen ein und zwei Millionen Menschen benötigen wegen chronifizierter, also länger als drei Monate andauernder, Schmerzen eine spezielle schmerztherapeutische Versorgung. Am häufigsten werden Rückenschmerzen, Kopfschmerzen, Schmerzen an Muskeln und Gelenken sowie neuropathische Schmerzen behandelt.

Im Verständnis der Ursachen und Folgen chronischer Schmerzen wird heute unstrittig ein biopsychosoziales Modell forciert, das Schmerz über seine sich wechselseitig beeinflussenden physischen, psychischen und psychosozialen Faktoren beschreibt (Abb.). In der historischen Sichtweise hingegen wurden emotionale, kognitive und psychosoziale Faktoren nur für „psychogene“ Schmerzzustände diskutiert.

Andauerndes Schmerzempfinden

Risikofaktoren für die Entstehung chronischer Schmerzzustände können einerseits in der Persönlichkeitsstruktur der Betroffenen liegen, andererseits in physischen, psychischen und sexuellen Traumata, einem Mangel an psychosozialer Unterstützung sowie einem geringen sozioökonomischen Status.

Affektive Störungen und Schmerz stehen beispielsweise in einem wechselseitigen Zusammenhang: Anhaltende Schmerzzustände führen zu einer erhöhten Vulnerabilität für die Entwicklung von Depression und Angststörungen. Eine psychische Alterierung stellt einen potenten Prädiktor für Schmerzchronifizierung sowie die Ansprechbarkeit auf analgetische Behandlungen dar. Angst und negative Gedanken spielen für die Entstehung und Aufrechterhaltung einer Schonhaltung eine wichtige Rolle und führen zu einer hypervigilanten Beobachtung der Beschwerden und Einschränkungen.

Der Chronifizierung vorbeugen

Zum zeitsparenden Screening von Angst und ­Depression eignet sich die Hospital Anxiety and ­Depression Scale (HADS), zur Depressions-Diagnostik das Beck-Depressions-Inventar (BDI–II). Die Identifikation schmerzmodulierender Faktoren ­sowie die Reflektion des Schmerzverlaufs mit und ohne analgetische ­Medikation können durch Schmerzprotokolle oder ein Schmerztagebuch dokumentiert werden, welche auch als App (z. B. Pain Tracer, Pain Log, Track My Pain, Pain History) in Deutsch und Englisch verfügbar sind.

Digital gestützte, schmerztherapeutische Facharzt-Sprechstunden können helfen, Betroffene außerhalb von Ballungszentren zu erreichen, schmerztherapeutisch zu versorgen und damit einer Chronifizierung sowie komorbiden, psychischen Störungen vorzubeugen. Es lohnt sich, durch euthyme Aktivitäten positive Gefühlsqualitäten zu stärken und die affektive Grundstimmung regelmäßig im Gespräch abzufragen. Nahe Angehörige, die in den therapeutischen Prozess einbezogen werden, können motivierend und ablenkend wirken, sollten in ihrer Fürsorge aber nicht auf den Schmerz fokussieren. Soziale Unterstützung, persönlich oder digital, mindert die subjektiv empfundene Schmerzintensität sowie das Einschränkungserleben, sofern sich Betroffene ernst genommen fühlen. Ein regelmäßiger Abgleich der ärztlichen Einschätzung und der Patientensicht auf den Schmerz kann Missverständnisse verhindern und die Therapie-Compliance fördern.

Therapeutisch relevant sind auch Geschlechterunterschiede: So berichten Frauen im Vergleich zu Männern signifikant stärkere und häufigere Schmerzu­stände. Möglich wäre, dass ein Zugeben von Schmerz in der männlichen Geschlechterrolle eine Bedrohung von Selbstwert und Ich-Ideal darstellt und eher vermieden wird.

Multimodale Therapie

Manualisierte, schmerzpsychotherapeutische Interventionen wie das Marburger Schmerzbewältigungsprogramm zur Gruppen- und Einzeltherapie verbinden psychoedukative Elemente zu Auslösereizen, Schmerz­wahrnehmung und Schmerzverarbeitung mit Entspannungsverfahren (z. B. progressive Muskelrelaxation), Interventionen zur gezielten Aufmerksamkeitslenkung (z. B. Genusstraining, Fantasiereisen) sowie Techniken kognitiver Umstrukturierung.

Chronifizierter Schmerz ist in Entstehung und Aufrechterhaltung komplex und erfordert eine interdisziplinäre, multimodale Therapie. Diese soll, somatische und psychische Faktoren beachtend, eine Akzeptanz der Erkrankung fördern und die psychosoziale Funktionsfähigkeit erhalten oder wiederherstellen.

Die Autorin

Dipl.-Psych. Dr. Judith A. Bahmer
Psychologische Psychotherapeutin
Praxis für Psychotherapie
48145 Münster

psycheundhaut@gmail.com

Literatur bei der Autorin

Bildnachweis: privat

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