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Recht

Für Arztpraxen relevant?

Die Whistleblower-Richtlinie nutzen

Dr. jur. Christian Bichler

9.3.2022

Die für Dezember 2021 geplante Umsetzung der EU-Whistleblower-Richtlinie ist bislang nicht erfolgt, somit greift in Deutschland nun die EU-Richtlinie. Das betrifft auf den ersten Blick nur Kliniken. Aber Praxen können die Richtlinie als Chance nutzen, Missstände aufzudecken und so Schlimmeres zu verhindern.

Bob Dylan wusste es schon vor fast 50 Jahren: „The answer is blowin‘ in the wind“. Als dann Edward Snowden im Jahr 2013 die NSA-Affäre lostrat, war der Begriff des „Whistleblowers“ in aller Munde. In der Vergangenheit und auch heute noch sind jedoch gegen Whistleblower, also Personen, die im beruflichen Kontext bekannt gewordene Missstände offenlegen, geführte Hetzjagden keine Seltenheit. Das hat die Europäische Union (EU) dazu bewogen, europaweite Regeln aufzustellen, um Unternehmen und staatliche Stellen zu effektiven, vertraulichen und sicheren Meldekanälen zu verpflichten und Hinweisgeber wirksam vor Repressalien zu schützen. Welche Bedeutung hat dies alles aber nun für Ärzte und was sollte jetzt getan werden?

Auch in der Arztpraxis müssen Personen, die Missstände melden vor Repressalien geschützt werden.

Ist Whistleblowing im Gesundheitswesen überhaupt nötig?

So mancher Firmenskandal hätte vermieden, zumindest aber abgeschwächt werden können, wenn der dahinter stehende Verstoß rechtzeitig aufgedeckt worden wäre – was durch ein Compliance-System samt funktionierendem Hinweisgebersystem erreichbar sein kann. Hierbei sollte man nicht nur an den allgegenwärtigen Dieselskandal oder an Wirecard denken. Auch die Gesundheitsbranche hält drastische Beispiele bereit. Von Hygieneskandalen bis hin zu Pflegekräften als „Todesengel“: durch ein rechtzeitiges Einschreiten hätte in einigen Fällen sowohl für die betroffenen Patienten als auch für die im ­Fokus ­stehenden Gesundheitseinrichtungen Schlimmeres verhindert werden können. Aber auch in Arztpraxen kann ein Hinweisgebersystem fruchten. Wenn beispielsweise eine Sprechstundenhilfe für den eigenen Bedarf in den Medikamentenschrank fasst, die Kollegin, die das bemerkt, sich jedoch davor scheut, den Vorfall direkt anzusprechen, kann durch ein (anonymes) Meldesystem diese Hemmschwelle überwunden werden.

Deutsches Gesetz? Fehlanzeige!

Die EU-Whistleblower-Richtlinie (Richtlinie [EU] 2019/1937 des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden) widmet sich dem Thema Hinweisgeber(-systeme). Sie stammt von Oktober 2019 und hätte eigentlich vom deutschen Gesetzgeber bis zum 17.12.2021 in deutsches Recht umgesetzt werde sollen. Der deutsche Gesetzgeber hatte somit mehr als zwei Jahre Zeit. Dennoch ist die Frist fruchtlos verstrichen, da sich die bisherige Bundesregierung nicht auf ein deutsches Hinweisgeberschutzgesetz einigen konnte. Dass die Umsetzungsfrist verstrichen ist, ist allerdings letztlich nur für juristische Personen des öffentlichen Rechts, also v. a. für Behörden, bedeutsam, da davon auszugehen ist, dass für diese die (meisten) Regelungen der EU-Richtlinie ab dem 17.12.2021 unmittelbar verbindlich sind. Privatunternehmen sind davon aktuell noch nicht direkt betroffen. Dennoch kann man diesen nur dringend empfehlen, sich bis zu dem Zeitpunkt, zu dem das deutsche Hinweisgeberschutzgesetz tatsächlich existiert, an der EU-Richtlinie zu orientieren, um bereits rechtzeitig Vorkehrungen treffen zu können und vorbereitet zu sein.

Die neue Ampelregierung muss das Thema „Whistleblowing“ nun schnellstmöglich wieder aufgreifen. Auch wenn die EU-Richtlinie lediglich vorgibt, dass nur die Personen, die Verstöße gegen das Recht der EU melden, beispielsweise aus den Bereichen Umweltschutz, Produktsicherheit, öffentliche Gesundheit oder Schutz von Privatsphäre und personenbezogenen Daten, geschützt werden müssen, heißt das nicht, dass Deutschland mit dem eigenen Gesetz nicht weitergehen darf. Die EU legt bloß einen Mindeststandard fest. Vielmehr ist sogar davon auszugehen, dass das deutsche Gesetz in Zukunft auch denjenigen schützen wird, der einen Verstoß gegen deutsche Rechtsvorschriften meldet. Der aktuelle Koalitionsvertrag bestätigt dies und sagt dazu: „Wir setzen die EU-Whistleblower-Richtlinie rechtssicher und praktikabel um. Whistleblowerinnen und Whistleblower müssen nicht nur bei der Meldung von Verstößen gegen EU-Recht vor rechtlichen Nachteilen geschützt sein, sondern auch von erheblichen Verstößen gegen Vorschriften oder sonstigem erheblichen Fehlverhalten, dessen Aufdeckung im besonderen öffentlichen Interesse liegt. Die Durchsetzbarkeit von Ansprüchen wegen Repressalien gegen den Schädiger wollen wir verbessern und prüfen dafür Beratungs- und finanzielle Unterstützungsangebote.“ Wann das deutsche Gesetz kommen wird und mit welchen konkreten Inhalten, ist noch nicht abschließend klar.

Schutz des Whistleblowers

Die EU-Whistleblower-Richtlinie nennt als Ziel „eine bessere Durchsetzung des Unionsrechts und der Unionspolitik in bestimmten Bereichen durch die Festlegung gemeinsamer Mindeststandards, die ein hohes Schutzniveau für Personen sicherstellen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden“. Dieses sperrig formulierte und wenig greifbare Ziel meint letztlich, dass sowohl Privatunternehmen als auch staatliche Einrichtungen in Zukunft Whistleblower schützen müssen, insbesondere indem sie ein sicheres Hinweisgebersystem vorhalten. Als Whistle­blower bezeichnet die EU eine natürliche Person, die im Zusammenhang mit ihren Arbeitstätigkeiten erlangte Informationen über Verstöße meldet oder offenlegt. Von der EU-Richtlinie geschützt sind Hinweisgeber, die im privaten oder im öffentlichen Sektor tätig sind und im beruflichen Kontext Informationen über Verstöße erlangt haben. In diesem Zusammenhang ist jedoch hervorzuheben, dass möglichst eine Vielzahl an Hinweisgebern geschützt sein soll, d. h. nicht nur Arbeitnehmer, sondern auch die Personen, die aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit privilegierten Zugang zu Informationen über Verstöße, deren Meldung im öffentlichen Interesse liegt, haben und die im Falle einer solchen Meldung ­Repressalien erleiden könnten (vgl. Erwägungsgrund 37 der EU-Richtlinie). Der Schutz des Whistleblowers umfasst vor allem das Verbot, Repressalien zu verhängen, also Handlungen oder Unterlassungen in einem beruflichen Kontext, die durch eine Meldung oder eine Offenlegung ausgelöst werden und durch die dem Hinweisgeber ein ungerechtfertigter Nachteil entsteht oder entstehen kann (z. B. Kündigung, Aufgabenverlagerung, Änderung des Arbeitsortes, Gehaltsminderung, Änderung der Arbeitszeit oder Diskriminierung, vgl. hierzu Art. 19 der EU-Richtlinie). Geschützt sein soll der Whistleblower auch unabhängig vom Beweggrund für seine Meldung. Missbräuchliches Whistleblowing wird allerdings nicht geschützt. Der Whistleblower muss also hinreichenden Grund zu der Annahme gehabt haben, dass die gemeldeten Informationen über Verstöße zum Zeitpunkt der Meldung der Wahrheit entsprachen (vgl. Art. 6 der EU-Richtlinie). Wer also bewusst unwahre Meldungen abgibt, ist nicht schützenswert.  

Hinweisgebersystem als wichtigste Neuerung

Dem Whistleblower muss freistehen, ob er seine Meldung intern, also innerhalb seines Unternehmens, an eine entsprechende Stelle abgibt oder eine zuständige Behörde hierüber informiert, also extern meldet. Die Einrichtung interner Meldekanäle soll – so sagt es die EU-Richtlinie – in einem angemessenen Verhältnis zur Größe des Unternehmens und zum Ausmaß des Risikos seiner Tätigkeiten für das öffentliche Interesse stehen. Von Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitern, also beispielsweise Kranken­häusern oder größeren MVZ-Strukturen, sind nach der EU-Richtlinie unabhängig von der Art ihrer Tätigkeiten interne Meldekanäle einzurichten. Wenngleich für die meisten Arztpraxen aufgrund einer Mitarbeiterzahl von weniger als 50 die EU-Whistleblower-Richtlinie keine rechtlich zwingende Bedeutung entfalten wird, sollten Arztpraxen dennoch darüber nachdenken, einen entsprechenden Meldekanal zu etablieren. Deutschland kann im Zuge des eigenen Gesetzes in Zukunft auch anderen (also z. B. kleineren) Unternehmen vorschreiben, in bestimmten Fällen interne Meldekanäle einzurichten – etwa aufgrund erheblicher Risiken, die sich aus ihrer Tätigkeit ergeben. Somit ist nicht auszuschließen, dass der deutsche Gesetzgeber eine geringere Mitarbeiterzahl als ausreichend ansehen wird.

Wie ein solches Hinweisgebersystem konkret aussehen soll, lässt die EU (und hoffentlich auch der deutsche Gesetzgeber) offen, um den nötigen Gestaltungsspielraum zu ermöglichen. Von (vertraulicher) Telefon-Hotline über Ombudsmann (z. B. ein externer Anwalt) bis hin zu einem digitalisierten Hinweisgebersystem ist vieles denkbar. Selbst eine einfache E-Mail-Adresse kann unter Umständen und bestimmten Zugriffsregelungen genügen. Auch mehrere Kanäle anzubieten kann hilfreich sein, um möglichst vielen Bedenken potenzieller Hinweisgeber zu begegnen. Auf jeden Fall muss die Vertraulichkeit der Identität des Hinweisgebers und anderer Personen, die in der Meldung erwähnt werden, gewahrt werden. Nicht befugten Mitarbeitern (z. B. Praxispersonal) darf ein Zugriff auf diese Informationen nicht möglich sein. Die Vertraulichkeit eines Meldesystems wird besonders bedeutsam für seine ­Akzeptanz sein. Für den Betreiber eines Hinweisgebersystems ist es zudem wichtig, die in der EU-Richtlinie vorgesehenen Rückmeldefristen einzuhalten. An den Absender einer Meldung ist innerhalb von sieben Tagen eine Eingangsbestätigung zu richten. Nach maximal drei Monaten muss der Hinweisgeber über die Folgemaßnahmen informiert werden, also über die ergriffenen Maßnahmen zur Prüfung der Stichhaltigkeit der in der Meldung erhobenen Behauptungen und gegebenenfalls über das Vorgehen gegen den gemeldeten Verstoß, z. B. durch interne Nachforschungen, Ermittlungen oder Strafverfolgungsmaßnahmen. Allein um diese Fristen einzuhalten, wird es betroffenen Unternehmen nicht erspart bleiben, sauber definierte Prozesse zu etablieren. Zudem muss eine unparteiische Person oder Abteilung benannt werden, die für die Folgemaßnahmen zuständig ist.

FAZIT:

Zumindest Krankenhäuser sollten sich mit den Vorgaben der EU-Whistleblower-Richtlinie rechtzeitig auseinandersetzen und wachsam auf die nächsten Schritte des deutschen Gesetzgebers schauen. Für die meisten Arztpraxen hingegen wird die EU-Whistleblower-Richtlinie keine unmittelbare Bedeutung haben. Dennoch kann man Arztpraxen nur anraten, sich mit dem Thema Whistleblowing zu beschäftigen und zu überlegen, ein – ggf. reduziertes – Hinweisgebersystem einzuführen. Schaden wird es nicht, aber vielleicht Missstände aufdecken, wodurch Schlimmeres verhindert werden kann (> Medizinrecht).

Der Autor

Dr. jur. Christian Bichler
Rechtsanwalt und Wirtschaftsmediator
Fachanwalt für Medizinrecht
85609 Aschheim

cb@jurmed.de

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