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Dermatologie

Hilfe gegen Juckreiz

Prurigo nodularis - Löst sich der Therapie-Knoten?

Ines Schulz-Hanke

20.8.2024

Die sich selbst unterhaltenden Juck-Kratz-Zyklen der Prurigo nodularis könnten an Schrecken verlieren. Nachdem 2020 eine Forschungsgruppe der Universität Münster einen medikamentösen Durchbruch angebahnt hatte [1], zeigt die aktuelle Forschung: Das Instrumentarium gegen die chronisch-entzündliche Hautkrankheit wächst.

Die jährliche Inzidenz der Prurigo nodularis beträgt etwa 0,02 % [2] – möglicherweise aber auch mehr, denn nicht alle Betroffenen suchen Hilfe. Die Krankheit präsentiert sich im fortschreitenden Verlauf mit ausgedehnten, intensiv juckenden Läsionen wie Papeln, Plaques und hyperkeratotischen Knoten. Und sie reduziert Schlafqualität, allgemeines Wohlbefinden und psychische Gesundheit erheblich bis extrem. Menschen mit chronischem Pruritus verlieren aufgrund des Juckens im Median 2 Stunden Schlaf pro Nacht und das Risiko für Depressionen ist bei Prurigo dreimal höher als bei anderen entzündlichen Dermatosen [3].

Worauf sich der diagnostische Blick richten sollte

Das klinische Bild ist meist entscheidend für die Diagnosestellung. Ist es unstimmig, helfen histologische oder Immunfluoreszenz-Untersuchungen, um primäre Hauterkrankungen zu erkennen. In der Anamnese sollten neben Beginn und Intensität des Pruritus auch sonstige Medikationen, Komorbiditäten und etwaige psychiatrische Diagnosen abgefragt werden. Die Untersuchung von Schleimhäuten, ­Leber, Nieren, Gallenwegen und Lymphknoten dienen dem Erkennen systemischer Erkrankungen, die zur Prurigo beitragen.

Eine weiterführende Labordiagnostik hängt von den Befunden aus Anamnese und physischer Untersuchung ab. Besteht der Juckreiz kürzer als ein Jahr und haben die Betroffenen Fieber, einen kurzfristigen erheblichen Gewichtsverlust oder nächtliches Schwitzen, gilt es, maligne Prozesse als Ursache der Prurigo auszuschließen [3].

Therapie entlang der aktuellen Leitlinie

Entsprechend der S2k-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie des chronischen Pruritus [4] soll die Versorgung aller Betroffenen, also auch der mit Prurigo nodularis, auf 3 Säulen ruhen. Dies sind

  • eine symptomatisch-antipruritische Therapie,
  • die interdisziplinäre Diagnostik und Therapie der Grunderkrankung sowie
  • die Therapie sekundärer Pruritus-Folgesymptome.

Die leitliniengemäße Eskalation der medikamentösen Therapie war bisher für viele Betroffene jedoch nicht zufriedenstellend. Denn die entstehenden Läsionen sind oft therapierefraktär, sodass die Prurigo über Jahre oder Jahrzehnte fortschreitet – trotz der Off-Label-Therapieversuche mit Antihistaminika, lokalen Glukokortikoiden, UV-Phototherapie, Antidepressiva oder Gabapentinoiden.

Mit dem validierten Prurigo Control Test (PCT) lässt sich die Therapie aus Sicht der Betroffenen bewerten und optimieren. Die Prurigo Nodularis League bietet Informationen für Erkrankte in den sozialen Medien.

Erkenntnisse zur Pathogenese eröffnen neue Optionen

Insgesamt ist die Pathogenese noch immer nicht völlig klar. Bisher konnten genetische Varianten an 2 Stellen identifiziert werden, die offenbar das Erkrankungsrisiko erhöhen. Davon abgesehen sind Keratinozyten, Nervenfasern, dermale Gefäße und Fibroblasten bei Prurigo nodularis offenbar fehlreguliert. Zudem scheinen eine neuronale Hyperplasie sensorischer Nervenfasern sowie die Interleukine (IL) 4, 13 und 31 relevant zu sein, die sensorische Neurone im Rückenmark ansteuern [3,5].

Forschungsarbeiten der vergangenen Jahre zeigen, dass unter anderem IL-4/IL-13- und IL-31-Inhibitoren die Therapie der moderaten bis schweren Prurigo nodularis deutlich voranbringen: Sie verbessern den Pruritus, die Schlaf- und die Lebensqualität [6]. Klinische Phase-II- und Phase-III-Studien laufen zu

  • Biologika wie Nemolizumab, Vixarelimab, Barzolvolimab,
  • Januskinase-Inhibitoren wie Ruxolitinib(-Creme), Povorcitinib, Abrocitinib sowie
  • Nalbuphin, einem Opioidmodulator [3].

Die erste systemische In-Label-Option

Im Oktober 2023 hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) Dupilumab für Erwachsene mit moderater bis schwerer Prurigo nodularis zugelassen, die für eine systemische Therapie infrage kommen [7]. Fertigspritze oder -pen stehen hier zur Auswahl. Der vollständig humane monoklonale Antikörper bindet an die IL-4Rα-Kette des IL-4-Rezeptors, blockiert damit den IL-4/IL-13-Signalweg, hemmt T2-Immunreaktionen und könnte so den pathologischen Juck-Kratz-Zyklus unterbrechen. Da IL-4Rα auch in Fibroblasten exprimiert wird, könnte Dupilumab zudem die kutane Fibrose bei Prurigo nodularis mildern [8].

In 2 zulassungsrelevanten Phase-III-Studien hatte sich der Pruritus unter Dupilumab innerhalb von 24 Wochen bei knapp 60 % der Behandelten um mindestens 4 Punkte auf der Worst Itch Numeric Rating Scale (WI-NRS) reduziert. Unter Placebo waren es 18–20 % [8].

Aktuellen Studien zufolge bessern sich sowohl Pruritus und Hautläsionen als auch die Lebensqualität unter Dupilumab bei guter Verträglichkeit deutlich [9] – ob dies auch bei Vorliegen auslösender Grunderkrankungen und langfristig der Fall ist, bleibt aber noch zu zeigen [5]. Bei Kindern und Jugendlichen wirk­te das Präparat in 3 Fallstudien off-label sicher [3].

Was kommen könnte

Im Oktober 2023 wurden die ersten Ergebnisse einer doppelblinden, multizentrischen Phase-III-Studie zur Wirksamkeit des IL-31-Rezeptor-α-Antagonisten Nemolizumab, der Schlüsselpfade in der Pathogenese der Prurigo nodularis herunterreguliert, bei moderater bis schwerer Prurigo nodularis veröffentlicht [10]. Nach 16 Wochen hatten unter Nemolizumab rund 56 % und unter Placebo 21 % eine Pruritus-Reduktion um mindestens 4 Punkte auf der Peak Pruritus Numerical Rating Scale (PP-NRS; Scores 0–10) erreicht. Eine (fast) erscheinungsfreie Haut (IGA 0/1) und eine IGA-Reduktion um mindestens 2 Punkte fand sich bei signifikant mehr Personen unter Nemolizumab (37,7 %) als unter Placebo (11,0 %) [9]. Zudem hatte sich die Schlafqualität verbessert.

Diese Ergebnisse bestätigte auch eine im April 2024 erschienene Übersichtsarbeit [7]. Den 1-Jahres-Daten einer Interimsanalyse der OLYMPIA-Verlängerungsstudie zufolge war bei 80 % der mit Nemolizumab Behandelten der Pruritus zurückgegangen, mehr als 60 % hatten eine (fast) erscheinungsfreie Haut [11]. Als häufigste unerwünschte Ereignisse wurden Kopfschmerzen (6,6 % vs. 4,4 % unter Placebo) und atopische Dermatitis (5,5 % vs. 0 % unter Placebo) berichtet [5].

Einmal die unter­schiedlichen Bedürfnisse abklopfen

Wie wird sich die Therapie der Prurigo nodularis verändern und was zählt im Umgang mit den Patientinnen und Patienten? Prof. Dr. med. Sonja Ständer, Leiterin des Kompetenzzentrums Chronischer Pruritus an der Hautklinik des Universitätsklinikums Münster erläutert die Entwicklungen, spricht über die Leitlinie und schildert, was im Umgang mit den Erkrankten hilft.

Prof. Dr. med. Sonja Ständer
Sektion Pruritusmedizin (PruMed) der Klinik für Hautkrankheiten Kompetenzzentrum Chronischer Pruritus (KCP)
Universitätsklinikum Münster (UKM)

juckreizambulanz@ukmuenster.de

Die Entwicklungen im Bereich der Prurigo nodularis haben sich in den vergangenen Jahren sehr beschleunigt. Worauf führen Sie das zurück?

Bis vor 10 Jahren war die Therapie der Prurigo frustran und dauerte viel länger als bei Neurodermitis. Man hatte keine Behandlungskonzepte. Dann begannen die ersten Pharmafirmen Studien zu machen und wir wurden gefragt: Wie definiert ihr die Erkrankung? Wie erfasst ihr sie, wie messt ihr den Therapieerfolg? In den letzten 10 Jahren haben mein Team und ich neue Instrumente entwickelt und uns auch wissenschaftlich mit der Erkrankung beschäftigt. Durch die Aufrufe zu den Studien hatten wir viel mehr Patientinnen und Patienten an den Zentren. Wir haben ein europäisches Expertennetzwerk formiert, wissen nun viel mehr über die Pathophysiologie und haben 2018 die ersten Publikationen dazu herausgegeben.

Können Sie einschätzen, wie die Ent­wicklung der nächsten 5 Jahre aussehen könnte? Wird man schließlich die Betroffenen maßgeschneidert behandeln können?

Das wird so sein, wie wir es auch bei anderen Erkran­k­ungen gesehen haben, wie der Schuppenflechte. Da waren die ersten zugelassenen Medikamente auch noch ein Kompromiss. Und dann konnte man sie immer spezifischer auf die Pathogenese zuschneiden, auch auf bestimmte Populationen. So wird das bei der Prurigo auch sein. Wir sehen: Das bereits zugelassene Dupilumab hat ein sehr breites Wirkungsspektrum, aber es reagieren nicht alle.

Wie viele Medikamente in den nächsten 5 Jahren zugelassen werden, kann ich nicht sagen. Aber es gibt verschiedene interessante Wirkansätze: Man kann die Mastzelldegranulation verhindern, untersucht JAK-Inhibitoren oder nutzt den IL-31-Rezeptor als Ziel – mit Nemolizumab, dessen Zulassung wir für dieses Jahr in den USA und nächstes Jahr in Europa erwarten. Ein Register für dermatologische Erkrankungen, das Prof. Matthias Augustin in Hamburg konkret plant, wird unser Verständnis von der Erkrankung sicher auch noch weiter verbessern.

Sie sind führende Autorin der Leitlinie Pruritus, die bis Juli 2026 gelten sollte. Müsste sie angesichts der Entwicklungen aktualisiert werden?

Ja, das haben wir im Oktober 2023 auch schon beschlossen. Es ist aber noch nicht zur Umsetzung gekommen.

Hätten Sie 3 Tipps, die helfen, eine Prurigo nodularis rasch zu diagnostizieren und wirksam zu therapieren?

Die Diagnose wird klinisch gestellt. Wenn etwas nicht ins Bild passt, kann man in die Diagnostik gehen. Das ist der erste Tipp.

Der zweite Tipp ist natürlich, dass man weiß, dass es mit Dupilumab eine zugelassene Medikation gibt, auch wenn das leider noch nicht in der Leitlinie steht.

Der dritte Tipp ist, dass man einmal mit der Patientin oder dem Patienten die Bedürfnisse abklopft. Denn die können unterschiedlich gelagert sein. Manche haben extreme Schlafprobleme und hätten gerne noch eine Schlaftherapie. Die nächsten sagen, sie gingen am Stock und könnten nicht mehr. Dann kann man zusammen mit dem Psychiater oder dem Hausarzt eine antidepressive Therapie einleiten. Oder es besteht mehr Schmerz als Jucken. Oder es liegen Gehprobleme vor. Man muss auf Komorbiditäten schauen, es kann auch eine Polyneuropathie dahinterstecken.

Wann ist es Zeit für eine System­therapie bei Prurigo nodularis?

Für diese Entscheidung haben wir zusammen mit dem Leitlinien-Team eine Checkliste erstellt, eine ganz praktische Hilfe, die öffentlich zugänglich ist und alles bietet, was wichtig ist (s. QR-Code). Im Journal der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft haben wir in einer kommentierten Fassung die Instrumente erklärt [12].

Frau Prof. Ständer, vielen Dank für dieses Gespräch.

Checkliste zur Systemtherapie bei Prurigo

  1. Ständer S et al., N Engl J Med 2020; 382: 706–16
  2. Ständer S et al., Acta Derm Venereol 2020; 100: adv00309
  3. Müller S et al., Am J Clin Dermatol 2024; 25: 15–33
  4. Ständer S et al., S2k-Leitlinie „Diagnostik und Therapie des chronischen Pruritus“, AWMF-Reg.-Nr. 013-048l, 2022
  5. Brooks SG et al., Expert Rev Clin Immunol 2024; 20: 577–87
  6. G-BA, BAnz AT, 08.11.2023 B1
  7. Nilforoushzadeh MA et al., Inflammopharmacology 2024; 32: 991–1003
  8. Nakajima S et al., J Allergy Clin Immunol 2023; 152: 870–2
  9. Biazus Soares G et al., Expert Rev Clin Immunol 2024; 20: 249–54
  10. Kwatra SG et al., N Engl J Med 2023; 389: 1579–89
  11. https://www.galderma.com/news/galderma-aad-2024-new-data-demonstrate-long-term-efficacy-nemolizumab-prurigo-nodularis-and; Stand: 02.05.2024
  12. Augustin M et al., JDDG 2023; 21: 822–4

Bildnachweis: privat, Ali Kahfi (gettyimages); toyotoyo, Fernando, ti555design (Adobe Stock)

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