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Management

Praxisorganisation

Verbindung halten zu Patientinnen und Multiplikatoren

Theresia Wölker

29.4.2022

Die COVID-19-Pandemie hat eine weitreichende soziale Distanzierung über einen längeren Zeitraum hinweg notwendig gemacht. Soziale Kontakte – auch Arztbesuche – wurden zurückgefahren und in der Frauenarztpraxis sieht man „eine Pandemie an psychischen Erkrankungen“ heranrollen.

Das bisher selbstbestimmte Leben hat sich für viele unserer Patientinnen in den vergangenen zwei Jahren brutal verändert. Es ist in Einsamkeit umgeschlagen, Angstzustände und Panikattacken sind ein ganz aktuelles Thema. Außerdem entwickeln sich zahlreiche weitere Probleme wie etwa Partnerschaftskonflikte, Arbeitslosigkeit, Verarmung, Bewegungsmangel oder häusliche Gewalt. Viele dieser Themen schlagen – direkt oder indirekt – mittlerweile in den Frauenarztpraxen auf.

In der Konsequenz dreht sich auch im therapeutischen Gespräch aktuell vieles um die Coronapandemie. Patientinnen sorgen sich um ihre Gesundheit und die ihrer Familien, geraten zunehmend in Unsicherheit, manche können ihren Alltag kaum mehr bewältigen. Vor allem die Alleinstehenden fühlen sich hilflos und isoliert. Auch den Praxisteams selbst fällt es zunehmend schwer, gegenüber den Patientinnen hoffnungsvoll und ruhig zu bleiben. Dennoch fühlen sie sich dazu verpflichtet, für ihre Patientinnen da zu sein und zu helfen.

Auch den Praxisteams fällt es schwer, hoffnungsvoll zu bleiben.

Bedrohlich für alle

Worin besteht denn die größte psychische Belastung derzeit? Was führt die Praxisleitung, die Teammitglieder, die Patientinnen, aber auch die anderen ­Akteure, mit denen die Praxis zusammenarbeitet (z. B. Labor, Fachkollegen, Apotheke) in die stärkste Erschöpfung? Zu lange auf Normalität zu verzichten kann eine Bedrohung sein, für alle.

Vor allem das entscheidende Grundbedürfnis ist Mangelware geworden: das Erleben von guten Beziehungen im „Live-Modus“. Aus Beziehungen schöpfen wir Kraft oder verlieren wir Kraft. Begegnungen und der Dialog sind die Grundlage, um die Höhen und Tiefen des Lebens zu bewältigen. Die Verunsicherung im öffentlichen Leben hat viele ­Menschen in eine resignierte Selbstisolation geführt, die das größte und wichtigste Thema – die Unsicherheit – noch weiter verstärkt.

Man fragt sich: Wie geht es weiter mit mir persönlich? Mit mir im Beruf? Was geschieht mit mir? Was wird demnächst wieder beschlossen?

Auch in der Arztpraxis prägt diese Unsicherheit das Arbeitsklima, aber auch ganz maßgeblich die Gespräche im Arztzimmer und auch die Therapie. Die persönlichen Schlupflöcher wie Sport, Urlaub und spontane Verabredungen, aus denen ein Großteil der Unbeschwertheit und Normalität empfunden wird, waren und sind für die meisten Menschen noch verschlossen. Hier ist die große Chance für die Privatpraxis, eine Perspektive zu bieten: für ein Gespräch, eine Ermunterung und für therapeutische Anregungen.

Neue Beratungsangebote

Gynäkologische Versorgung und Beratungsan­gebote in neuen Formen anzubieten – dafür sind moderne Frauenarztpraxen geradezu prädestiniert. Und Patien­tinnen werden auf der Suche nach psychischer Stärke (Resilienz) insbesondere auch ihrem Frauenarzt gegenüber dankbar sein, wenn dort diesen Grundbedürfnissen nach Zuwendung und Austausch Rechnung getragen wird. Ein solches Angebot kann für viele Patientinnen eine Lösung sein.

Auf der anderen Seite kostet die Patientenberatung unter psychischer Belastung viel Kraft. Da wir in einer immer chaotischeren Welt vor allem gut Ruhepole gebrauchen können, ist es hilfreich, mehr Struktur im Leben zu schaffen. Ordnung zu halten kann ein solcher Ruhepol sein – speziell für das Team, aber auch für Ihre Patientinnen. Das bedeutet z. B. besonders umfängliche Informationen über das (an Corona adaptierte) Sprechstunden- und Beratungsangebot. Empfehlenswert ist ein Recall-System ­(jede neue Patientin sollte routinemäßig um ihr Einverständnis dazu gefragt werden). So besteht die Möglichkeit, einen Patienten-Rundbrief bzw. eine E-Mail zu starten, die auf die verschiedensten Möglich­keiten der Kontaktaufnahme explizit hinweist.

„Ich bin für Sie da!“ sollte die Botschaft sein, die Vertrauen schafft, auch für eine kurze Kontaktaufnahme. Niedrigschwellige Angebote wie Telefonsprechstunde, vereinbarte Rückrufe, Video-Sprech­­stunden machen es auch verunsicherten Patientinnen leicht, einfach den Kontakt zur Praxis aufzunehmen. Diese virtuellen Sprechstunden helfen, auch Kurzkontakte gezielt einzuplanen. Sie schaffen vor allem belasteten Patientinnen eine Perspektive für die regelmäßige ärztliche Beratung und für notwendige­ psychologische Interventionen. Über die rechtlichen Möglich­keiten und Grenzen dieser Therapieform hatten wir Sie in der letzten Ausgabe ausführlich informiert (Was darf und kann Telemedizin in der Praxis?)

Virtuelle Sprechstunden helfen dabei, effiziente Kurzkontakte zu planen.

Wer hilft den Helfenden?

Um die Zeit der Coronapandemie körperlich und mental weitgehend unbeschadet zu überstehen, sollten Sie selbst und das Team noch mehr als sonst auf Selbstfürsorge bedacht sein. Was hilft dabei?

• Klare Strukturen und Routinen in der Praxis und im Privatleben. Das können „gute Gewohnheiten“ sein wie feste Teepausen, das morgentliche Briefing mit dem Team, oder das Motto der Woche/des Tages an der Pinnwand (z. B. „Es gibt drei Wörter, die alles zusammenfassen, was ich über das Leben weiß: Es geht weiter.“ Zitat von Robert Frost) im Warte- und Aufenthaltsbereich. Rituale vermitteln Halt und ein Stück Normalität in unnormalen Zeiten.

• Bewegung ist Leben. Unsicherheit und Ängste reduzieren uns auf einen Punkt, und Bewegung bringt uns wieder in den lebendigen Fluss. Noch ungewohnt: ein flotter gemeinsamer Spaziergang in der Mittagspause, der den Stress abbaut und die Stimmung im Team lockert.

• In Verbindung bleiben. Kontakte aktiv zu pflegen, sollte Führungsaufgabe sein: Wie geht es dem Praxisteam und deren Familien? Wie fühlt sich die Reinigungskraft? Wöchentlich fest terminierte Telefonate mit Kollegen, Freunden und Familienmitgliedern helfen, der sozialen Isolation die Stirn zu bieten.

• Minipausen als „seelische Impfung“. Gezielte Atemübungen und kurze Yoga-Haltungen am Arbeitsplatz schulen die Achtsamkeit und Wachsamkeit. Die betriebliche Gesundheitsförderung ist eine moderne Unternehmensstrategie – nicht nur in Coronazeiten – mit dem Ziel, Krankheiten am Arbeitsplatz vorzubeugen, die Gesundheit zu stärken und das Wohlbefinden der Mitarbeiter zu verbessern. Sie ist im Wesentlichen als eine Organisationsentwicklungsstrategie zu begreifen.

• Flexibilität und neue Wege gehen. In einer Ausnahmesituation wie der Coronavirus-Pandemie ist es wichtig, sich schnell anzupassen und manchmal ungewöhnliche Wege einzuschlagen.

FAZIT: Eine Grundlage für Gesundheit und psychische Widerstandskraft ist der Dialog. Die Pandemie verstärkt durch den sozialen Rückzug und die Reduktion von kommunikativem Austausch toxische Gefühle wie Ängste, Unsicherheit und Einsamkeit. Hier bietet sich der privaten Frauenarztpraxis eine große Chance, eine verlässliche Anlauf- und Kontaktstelle für verunsicherte Patientinnen zu sein und verschiedenste Möglichkeiten der Kommunikation anzubieten.

Zu bedenken ist auch, dass manche Patientinnen die körperliche Nähe von vielen anderen Menschen scheuen. Die Telefonsprechstunde und die Videosprechstunde können daher je nach Empfinden das kleinere Übel sein. Die Privatpraxis kommt nicht umhin, den Einfluss der Pandemiebedingungen auf die therapeutische Beziehung und das Setting fortwährend zu reflektieren und auch mit den Patientinnen zu thematisieren, was ihren Bedürfnissen gerecht wird.

Krisen sind jedoch auch Chancen, neue Wege zu beschreiten. Mit Unsicherheiten umzugehen und immer wieder für die Patientinnen einen sicheren Raum zu schaffen, in dem der therapeutische Prozess kontinuierlich weitergehen kann.

Zur Verbesserung der Team-Resilienz ist gerade jetzt die gegenseitige, auch verbale Unterstützung und Wertschätzung notwendig, um psychologische Sicherheit und die Selbstfürsorge im Team zu vermitteln und zu stärken. Einzelgespräche und weiterhin etablierte, periodisch wiederkehrende Team-Meetings für die emotionale Verarbeitung gehören ebenso dazu wie gemeinsame Minipausen zu festen Zeiten. Die Motivation zu gutem Ernährungs- und Bewegungsverhalten – auch am Arbeitsplatz – und die flexible Anpassung von Arbeitsweisen und Aufgabenverteilung, auch unter Berücksichtigung der jeweiligen häuslichen Situation, sind eine Investition in die Zukunft.

Die Autorin

Theresia Wölker
Beraterin und Fachreferentin im Gesundheitswesen
(Schwerpunkte QM, ­Kommunikation, Stressbewältigung und Resilienz)

www.theresia-woelker.de

Bildnachweis: privat

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