Bestimmte Wörter können eine starke emotionale Reaktion hervorrufen. Es lohnt sich daher, den Wortschatz der Praxis einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. So lassen sich negative Schlüsselreize vermeiden, die bei Mitarbeiterinnen oder Patientinnen rasch einen negativen Reflex auslösen können.
Die Macht der Sprache wird häufig unterschätzt. Sie kann wie ein Zauberstab, aber auch wie eine Waffe eingesetzt werden. Menschen reagieren nun mal unterschiedlich auf Worte – je nach individuellem Wertesystem. Was den einen zur Weißglut bringt, bringt den anderen nicht aus der Ruhe. „Ich kann es einfach nicht mehr hören“ – jeder kennt diese innerliche Reaktion. Bestimmte Ausdrucksweisen und Redewendungen (auch „Killerphrasen“ oder Tabu-Wörter) können Widerspruch, manchmal sogar Wut und Zorn hervorrufen.
Semantik ist bekanntlich die Lehre von der Bedeutung der Sprache und Wörter und der semantische Reflex bezeichnet eine automatische Reaktion auf ein bestimmtes sprachliches Signal. Im neurologischen Kontext beschreibt er die unwillkürliche Aktivierung von Bedeutungskonzepten im Gehirn bei der Verarbeitung sprachlicher Reize, noch bevor bewusste, kontrollierte Interpretationsprozesse einsetzen.
Die psychoemotionale Reaktion ist erlernt – und veränderbar.
Für unsere Alltagskommunikation heißt das: Diese frühe Reaktionsform spielt eine bedeutende Rolle bei der Entstehung von Assoziationen. Diese psychoemotionale Reaktion auf bestimmte Nachrichten und Wörter ist erlernt. Und damit sehr unterschiedlich und individuell. Warum reagiert eine Mitarbeiterin in bestimmten verbalen Situation heftig? Wahrscheinlich weist das auf negative Erfahrungen in der Vergangenheit hin. Auch Prägungen im Elternhaus („Es ist schlimm, Fehler zu machen“) können im späteren Arbeitsleben durchaus heftige psychoemotionale Reize durch bestimmte Satzinhalte auslösen – von den Chefs, aber auch von Patientinnen. Typische Beispiele sind Formulierungen wie:
Solche Sätze können irritieren, verärgern oder einfach so starke Gefühle hervorrufen, dass jemand sich zu heftigen, spontanen und nicht immer klugen Erwiderungen hinreißen lässt. Das Interessante daran ist, dass das Gegenüber manchmal auf die gereizte Reaktion überrascht und unverständlich reagiert. Warum ist das so? Aussagen können einen verborgenen Schlüsselreiz auslösen, z. B. „schon wieder” oder „warten”. Beides ist oft so negativ besetzt, dass man gar nicht mehr genau hinhört, sondern nur noch auf das Reizwort reagiert. Verborgene Schlüsselreize in Wörtern und Begriffen machen die praxisinterne, aber auch die Kommunikation mit Patientinnen nicht unbedingt einfacher. Es ist hilfreich, in den Teammeetings immer mal wieder auf die Macht von Sprache hinzuweisen und „patientenfreundliche“ und heilsame Sprache einzuüben.
Aha-Effekte erreicht man durch Übungen des Perspektivenwechsels. Wie reagiere ich selbst, wenn ich mich als Praxismitarbeiterin in die Rolle der Patientin versetze? Wann setzt der Semantikreflex fast automatisch ein, wenn wir Sätze hören wie „Sie müssen noch warten”. Weitere typische Beispiele:
Der Gebrauch solcher Floskeln kann beim Gegenüber zu einer unerwarteten, auch aggressiven Reaktion führen. Aus einem – ein neutraler Beobachter würde sagen harmlosen – Moment wird dann schnell eine tiefgreifende und im schlimmsten Fall heftige Konfrontation mit oft unschönen Folgen wie der Abwanderung einer Patientin oder Mitarbeiterin.
Wird in der Kommunikation – meist unbedacht – der Knopf „Emotion“ gedrückt, geht sofort die Sachlichkeit im Gespräch verloren. Auch deshalb ist höchste Aufmerksamkeit und Einfühlungsvermögen für Sprache in der Medizin so notwendig. Es gibt kaum einen Fachbereich, in dem die Gefühle in den Unterhaltungen so eine große Rolle spielen wie in der Gynäkologie.
Gute Sprache ist ein Markenzeichen jeder Praxis und besonders in der Privatpraxis. Und jede und jeder im Team sollte die Risiken und Nebenwirkungen von Sprachmustern kennen und sehr bewusst mit wertschätzender Kommunikation agieren. Neben den gut strukturierten Arbeitsabläufen in der Praxis ist immer wieder ein reflektierender Austausch über die stattgefundenen Patientinnen-Begegnungen notwendig.
Nur so lernt das Team, sich intern verbale Bälle zuzuspielen. Und wie mit individuell gewählten Worten und freundlichem Verhalten beim Gegenüber eine wohltuende Reaktion in Gang kommen kann.
Reizbotschaften verletzen
Wie reagieren Sie persönlich, wenn jemand zu Ihnen sagt „Heute geht das auf keinen Fall mehr“? Manchmal sind es nur kleine Signale, Kopf- oder Handbewegungen, ein kurzer abfälliger Blick oder eine hochgezogene Augenbraue, die das Gegenüber bemerkt und innerlich verletzt reagiert.
Mangelnde Kommunikationsfähigkeiten können der Grund sein, dass sich Menschen einer harten Sprache bedienen, kurz: sie wissen nicht, wie sie ihre Gefühle und Bedürfnisse anders ausdrücken könnten. Verletzende Sprache kann aber auch ein Ventil für aufgestaute Emotionen sein. Die Menschen sind sich möglicherweise der eigenen Bedürfnisse nicht umfänglich bewusst oder fühlen sich selbst angegriffen. Auch Mangel an Empathie kann dazu führen, unabsichtlich verletzende Sprachmuster zu verwenden. Manche Menschen haben Schwierigkeiten, sich in andere hineinzuversetzen oder die Auswirkungen ihrer Worte auf andere zu erkennen.
Positive und empathische Sprachmuster können dagegen eine Atmosphäre der Sicherheit und Akzeptanz schaffen. Zum Beispiel fördern Aussagen wie „Ich höre Ihnen zu“ oder „Ich glaube, dass Sie sich nicht gut fühlen“ ein Gefühl der Wertschätzung und des Respekts. Diese Art der Kommunikation baut Brücken zum anderen. Praxisteams, die konstruktive Sprachmuster kultivieren, stellen Fragen wie „Wie kann ich Ihnen helfen?“ oder „Wie können wir gemeinsam einen Weg finden, um Ihr Problem zu lösen?“. So arbeitet man wertschätzend und lösungsorientiert und schafft Raum für Folgegespräche.
Denken wir an oft belastende Situationen für Frauen in der Facharztpraxis (Schwangerschaft, Menopause oder onkologische Krankheitsbilder): Ärgerliche und gereizte Unterhaltungen blockieren hier eine vernünftige Kommunikation, und es kommt auch keine Problemlösung zustande. Im Gegenteil: Reizbotschaften schaffen eine aggressive Atmosphäre und es braucht viel Kraft und Energie, dann wieder ein normales Gesprächsklima herzustellen.
In der Regel sind wir wenig geübt, uns diese Vorgänge klar zu machen. Und so tappen wir immer gerne in die semantische Reflex-Falle hinein, die Gesprächspartner bei uns auslösen oder wir bei ihnen. Wir sollten öfter darüber nachdenken, dass ärgerliche Gefühle gar nicht erst aufkommen, wenn wir mehr wahrnehmen und weniger interpretieren.
Wir sind selbst verantwortlich für unsere Aggressionen, die bestimmte Sätze oder Wörter bei uns auslösen. Wichtig ist, dass wir die Reizwörter kennen, die bei uns zum semantischen Reflex führen, damit wir uns dagegen wappnen können. Unsere Wahrnehmung ist zunächst neutral: zur Kenntnis nehmen, dass unser Gegenüber die Stirn runzelt. Wenn wir uns darin üben, nicht sofort in den Schritt des Interpretierens zu verfallen, stärken wir uns in der Kunst einer entspannten Kommunikation. Zum Beispiel gezielt ansprechen: „Ich sehe, dass Sie die Stirn runzeln, Frau Schmitt! Ist etwas nicht in Ordnung?“ Jetzt kann der andere bestätigen („Ja, ich wollte eigentlich dieses oder jenes“) oder korrigieren („Nein, nein, das hat mit Ihnen gar nichts zu tun, ich dachte nur gerade an meinen Notizzettel, den ich zu Hause liegengelassen habe“).
Wir reagieren oft gar nicht auf andere Menschen, sondern auf „unser Kopfkino“ und die Vorstellung, die wir uns von ihnen machen.
Es lohnt sich, den Wortschatz der Praxis einmal genauer unter die Lupe zu nehmen und die verborgenen negativen Schlüsselreize herauszuwaschen, die schnell einen semantischen, negativen Reflex auslösen können. Indem alle im Team bewusst heilsame, wohltuende, wertschätzende und verbindende Sprachmuster in den täglichen Gesprächen anwenden, wird diese Sprache zur festen Gewohnheit. Ja, sogar zu einem Markenzeichen der Praxis: eine besondere, spür- und hörbare Art und Weise, wie Menschen hier miteinander umgehen und Verbindungen stärken.
Die Autorin
Theresia Wölker
Beraterin und Fachreferentin im Gesundheitswesen
(Schwerpunkte QM, Kommunikation, Stressbewältigung und Resilienz)
Bildnachweis: privat