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Psychiatrie

„Soziale“ Medien führen zu Essstörungen

12.6.2024

Legging Legs oder Thigh Gap (jeweils deutliche Lücke zwischen den Oberschenkeln), A4-Taille oder Paper Waist (dünn wie ein DIN-A4-Blatt vor der Taille): Solche riskanten und in sozialen Medien immer wieder propagierten Schönheitstrends können die Psyche stark belasten. Vermeintlich perfekte Bilder von vermeintlich perfekten Körpern auf Instagram, TikTok & Co. schüren vor allem bei Jugendlichen Selbstzweifel, die zu seelischen Erkrankungen wie Essstörungen führen können.

Junge Frauen scheinen besonders belastet zu sein, denn laut Daten der KKH Kaufmännische Krankenkasse sind die Fälle von Magersucht, Bulimie und Binge Eating bei den 12- bis 17-jährigen Mädchen stark angestiegen: von 2012 auf 2022 von 90 auf 139 Fälle pro 10.000 Versicherte. Das entspricht einem Plus von rund 54 Prozent. Auch die Corona-Pandemie scheint vor allem den Teenagerinnen auf die Seele geschlagen zu sein, denn allein vom Vor-Corona-Jahr 2019 auf 2022 registriert die KKH bei ihnen eine Zunahme von 38 Prozent (von 101 auf 139 pro 10.000 Versicherte).

Der Anteil der 12- bis 17-jährigen Mädchen mit Essstörungen ist im Vergleich zu den gleichaltrigen Jungen (38 Fälle pro 10.000 Versicherte) etwa viermal so hoch, verglichen mit dem Bundesdurchschnitt (54 Fälle pro 10.000 Versicherte) gut zweieinhalbmal so hoch. 2022 wurden laut KKH-Hochrechnung insgesamt rund 455.000 Menschen in Deutschland wegen Magersucht, Bulimie oder Binge Eating ambulant behandelt.

Social-Media-Plattformen sind ein Kosmos der Filter, gestellter Bilder und häufig unrealistischer Körpertrends – etwa eine Taille, die so dünn ist wie ein DIN-A4-Blatt. Doch gerade junge Frauen sind anfällig für solche Ideale. „Sie vergleichen sich intensiver in sozialen Medien als gleichaltrige Jungen und beschäftigen sich stärker mit sich selbst. Außerdem spüren sie einen höheren Druck, Schönheitsidealen zu entsprechen“, sagt KKH-Psychologin Franziska Klemm. Erst Ende 2023 sorgte ein gefährlicher Trend unter dem Hashtag #legginglegs für Aufsehen, als Frauen Videos in engen Hosen posteten und dabei die Lücke zwischen ihren Oberschenkeln anpriesen. Bereits vor rund zehn Jahren kursierte unter dem Namen „Thigh Gap“ ein ähnlicher Hype, der einen durchgängigen Freiraum zwischen den Innenseiten der Oberschenkel als besonders begehrenswert propagierte. „Es ist immer kritisch, wenn jungen Frauen in sozialen Netzwerken eingeredet wird, dass ihre Schönheit und ihr Selbstwert von einer unnatürlich schmalen Taille oder einer Lücke zwischen den Oberschenkeln abhängen, vor allem, weil es oftmals nicht in ihrer Macht liegt, dieses unnatürliche Körperbild zu erreichen“, betont Klemm.

Denn: Eine Lücke zwischen den Oberschenkeln ist nicht nur durch Körpergewicht und Fitness bedingt, sondern auch durch den Körperbau. „TikTok-Trends wie Legging Legs zeigen, wie riskant soziale Medien für das eigene Körperbild sein können. Denn viele junge Frauen hinterfragen ihren Körper und ihr Essverhalten, wenn sie sehen, dass enge Hosen angeblich nur für Menschen mit dünnen Beinen gemacht sind“, gibt die KKH-Expertin zu bedenken.

Nährboden für Bodyshaming, Diskriminierung und Ausgrenzung

Besonders gefährlich: Solche absurden Schönheitstrends sind auch häufig Nährboden für Bodyshaming. Wer so gar nicht dem Ideal entspricht, wird mit entsprechenden Bemerkungen bis hin zu heftigen Beleidigungen bombardiert, schlimmstenfalls ausgegrenzt. Mädchen und Frauen sind besonders häufig Opfer von Bodyshaming, weil sie stärker über ihr Aussehen definiert werden als Männer.

Je intensiver die Nutzung sozialer Medien ist, desto größer ist auch das Risiko für eine Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper, für Bodyshaming und damit verbundene Essstörungen. Das könnte auch den deutlichen Anstieg der KKH-Zahlen während der Pandemie erklären, denn in dieser Zeit haben sich Kinder und Jugendliche noch intensiver mit Instagram und TikTok sowie den dort vermittelten Bildern beschäftigt. Besonders anfällig für Essstörungen sind Heranwachsende, die bereits unter seelischen Problemen leiden oder einen geringen Selbstwert haben.

Erste Alarmzeichen beachten

Klemm rät Angehörigen, Lehrern, Bekannten und Freunden, genau hinzusehen: Zu den Alarmzeichen zählt, wenn Betroffene unverhältnismäßig viel Aufwand für das eigene Aussehen betreiben, geliebte Hobbys plötzlich aufgeben und sich nur noch mit sozialen Medien beschäftigen. Weitere Signale sind der soziale Rückzug, Gewichtsveränderungen sowie ein auffälliges Essverhalten (u. a. Diät als Dauerzustand, eingeschränkte Nahrungsauswahl, Verzehr großer Mengen), Erbrechen, die Einnahme von Abführmitteln und exzessiver Sport. Keinesfalls sollten Angehörige und Freunde solche Verhaltensweisen ignorieren, denn: „Bulimie und Magersucht sind schwere psychische Erkrankungen, die häufig mit Angststörungen, Depressionen, selbstverletzendem Verhalten oder Suchterkrankungen einhergehen und ärztlich behandelt werden müssen“, betont Klemm.

Pressemitteilung „Wenn absurde Schönheitstrends krank machen“. Kaufmännische Krankenkasse (KKH), Hannover, 25.4.2024 (https://www.kkh.de/presse/pressemeldungen/essstoerungen0).

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