Paracetamol zählt zu den am häufigsten eingesetzten Analgetika weltweit, doch sein genauer Wirkmechanismus blieb trotz jahrzehntelanger Nutzung unvollständig geklärt. Bisher wurde vor allem eine zentrale Wirkung über den aktiven Metaboliten AM404 diskutiert, der im ZNS über Cannabinoid-Rezeptoren und TRPV1-Kanäle schmerzmodulierend wirkt. Eine aktuelle israelische Studie liefert nun erstmals den Nachweis, dass AM404 nicht nur im ZNS, sondern auch in peripheren sensorischen Neuronen gebildet wird und dort gezielt nozizeptive Natriumkanäle hemmt.
Die Studie zeigt, dass primäre sensorische Neuronen AM404 aus Paracetamol synthetisieren können. Der Metabolit hemmt dabei spezifisch die spannungsgesteuerten Natriumkanäle NaV1.7 und NaV1.8, die eine Schlüsselrolle in der Nozizeption spielen. Diese Hemmung erfolgt über die Bindungsstelle für Lokalanästhetika und unterdrückt die Erzeugung von Aktionspotentialen in Nozizeptoren. In tierexperimentellen Modellen führte die Injektion von AM404 in die Pfoten von Ratten zu einer deutlichen Erhöhung der Reaktionsschwelle auf thermische und mechanische Reize, vergleichbar mit einem Lokalanästhetikum. Bemerkenswert ist, dass dieser Effekt sowohl bei gesunden als auch bei entzündeten Tieren nachweisbar war, was auf ein breites Anwendungspotential hinweist.
Periphere Aktivität: Ein Paradigmenwechsel
Die Spezifität der Wirkung von AM404 ist ein zentraler Befund: Andere Paracetamol-Metaboliten zeigten keine vergleichbare Hemmung der Natriumkanäle. Dies unterstreicht die einzigartige Rolle von AM404 in der Schmerzausschaltung und legt nahe, dass die analgetische Wirkung von Paracetamol maßgeblich auf der peripheren Blockade nozizeptiver Natriumkanäle beruht – ein Paradigmenwechsel gegenüber der bisherigen Fokussierung auf zentrale Mechanismen.
Die klinische Relevanz dieser Entdeckung ist vielfältig: Zum einen erklärt sie, warum Paracetamol trotz vergleichsweise schwacher COX-Hemmung eine analgetische Potenz besitzt. Zum anderen eröffnet AM404 als selektiver Hemmstoff nozizeptiver Natriumkanäle neue Perspektiven für die Schmerztherapie. Da NaV1.7 und NaV1.8 spezifisch in Schmerzneuronen exprimiert werden, könnte AM404 oder eine darauf basierende Substanzklasse gezielt als Lokalanästhetikum eingesetzt werden - mit potentiell geringeren Nebenwirkungen als klassische Lokalanästhetika, die unspezifisch alle Natriumkanäle blockieren. Die Studie postuliert daher nicht nur einen neuen Wirkmechanismus für ein etabliertes Medikament, sondern auch einen innovativen Ansatzpunkt für die Entwicklung peripherer, schmerzselektiver Anästhetika.
Die Studie liefert damit erstmals eine umfassende Erklärung für die analgetische Wirkung von Paracetamol auf Grundlage einer peripheren Hemmung nozizeptiver Natriumkanäle durch seinen Metaboliten AM404. Diese Erkenntnis könnte die Schmerztherapie in zweierlei Hinsicht prägen: durch ein neues Verständnis der Paracetamol-Wirkung und durch die Entwicklung von AM404-basierten Lokalanästhetika mit verbessertem Nebenwirkungsprofil. Weitere Forschung muss nun klären, ob sich diese tierexperimentellen Ergebnisse auf den Menschen übertragen lassen und wie sich AM404 oder dessen Derivate für die klinische Anwendung optimieren lassen.
Maatuf Y et al.: The analgesic paracetamol metabolite AM404 acts peripherally to directly inhibit sodium channels. Proc Natl Acad Sci U S A. 2025 Jun 10;122(23):e2413811122 (DOI 10.1073/pnas.2413811122).