Die Überlebensraten onkologisch Erkrankter sind in den vergangenen 30 Jahren gestiegen, auch beim metastasierten Melanom. Betroffene erwarten die bestmögliche Therapie und dass man sie heilt. Doch rund die Hälfte der terminal Erkrankten schätzt ihre Prognose falsch ein. Was zu tun und zu besprechen ist.
Die 10-Jahres-Überlebensraten beim metastasierten Melanom liegen unter einer kombinierten Immuntherapie mit Nivolumab plus Ipilimumab bei über 50 %. Für Betroffene, die 3 Jahre progressionsfrei überlebt haben, erreichen sie unter einer kombinierten Therapie 97 %, unter Nivolumab alleine 96 %, wie Prof. Dr. med. Andrea Forschner (Tübingen) aufzeigte [1]. Da therapeutische Erfolge medial breit präsentiert würden, kämen auch massiv vorbehandelte Patientinnen und Patienten sowie solche mit weit fortgeschrittenen Tumoren an Fachzentren und erwarteten, „dass wir wieder alles gut machen. […] Das klappt nicht immer“, warnte Forschner. Denn auch die Nebenwirkungsraten einer Immuncheckpoint-Inhibition (ICI) bei fortgeschrittener Erkrankung müsse man einkalkulieren: Es könnten Organentzündungen und lebensbedrohliche Komplikationen, Langzeit- und irreversible Toxizität auftreten [2].
Erste ICI-Zulassung – mehr systemische End of Life Treatments
Tatsächlich habe man zeigen können, dass mit der Zahl der zugelassenen systemischen Krebstherapien auch ihre Anwendung am Lebensende stieg, insbesondere nach der ICI-Zulassung für das maligne Melanom (von 33,9 % auf 43,2 %). Während ICI-Therapien zunahmen, wurden Chemotherapien seltener eingesetzt [3].
Forschner hat die Daten von 193 Melanom-Patientinnen und -patienten analysiert, die von 2016 bis 2017 an einem metastasierten Melanom verstorben waren. Das Ergebnis: 31 % der systemischen Lastline-Therapien (vor dem Tod) waren zielgerichtete Therapien (TT), die Hälfte davon mindestens in der zweiten Runde. Weitere 57 % der Lastline-Therapien waren ICI-Therapien [4]. Obwohl die Patientinnen und Patienten in der TT-Kohorte heftig vorbehandelt waren (49 % mit ≥ 3 systemischen Therapien), profitierten 32 % von dieser Lastline-Therapie. In der ICI-Kohorte waren heftige Vorbehandlungen seltener (20 %), dennoch profitierten von der ICI nur 15 %. Schwere Nebenwirkungen waren unter den ICI-Therapien signifikant häufiger als unter TT (39 % vs. 20 %) und unter TT wurde seltener hospitalisiert. Man habe in dieser Studie geschlussfolgert: „Auch bei multipel vorbehandelten Patienten kann eine TT noch eine zusätzliche Option sein.“
Hat sich die Situation verändert?
Eine aktuelle multizentrische Studie beleuchtete diese Frage erneut anhand der Daten von Menschen, die zwischen 2018 und 2022 an einem Melanom verstorben waren und in den letzten 3 Lebensmonaten eine Systemtherapie erhalten hatten [5]. Von den 1 067 betrachteten Fällen hatten 63 % eine ICI-Therapie als letzte Linie erhalten, 22 % eine TT und 12 % eine Chemotherapie (CTX). Allerdings sei der Anteil jener, die eine ICI-Therapie innerhalb der letzten 30 Tage vor ihrem Tod begonnen hatten, deutlich geringer als 2016/2017 (19 % vs. 29 %), hob Forschner hervor.
Von der ICI-Therapie hatten 25 % profitiert, 33 % hatten Toxizität entwickelt, unter einer TT lagen die Anteile bei 37 % und 22 %. Von denen, die profitiert hatten, waren unter einer ICI-Therapie 29,5 % nebenwirkungsfrei, unter einer TT 46 %. Welche Menschen „auf den letzten Drücker noch die Immuntherapie verordnet kriegen, das wird differenzierter abgewogen“, betonte Forschner.
Letzte Optionen
Auch die aktuelle interdisziplinäre europäische Leitlinie beschäftigt sich mit der Systemtherapie am Lebensende [6]. Wenn alle Standards erschöpft sind, kann laut Leitlinie eine Chemotherapie bei gutem Performancestatus und Immun- oder zielgerichteter Therapie in der Vorgeschichte erwogen werden. Die Alternative ist Best Supportive Care. Die Empfehlung stütze sich darauf, dass das progressionsfreie Überleben bei Patientinnen und Patienten mit Chemotherapie besser war, wenn sie unmittelbar davor eine Immuntherapie gehabt hatten, nicht jedoch das Gesamtüberleben [7]. Eine neuere retrospektive Studie, die bei metastasiertem Melanom Pembrolizumab plus Lenvatinib mit einer Chemotherapie verglich, zeigte, dass die Kombination der konventionellen Chemotherapie überlegen war [8].
Wie es besser geht
Krebspatientinnen und -patienten, die kurz vor dem Tod noch eine tumorspezifische Therapie erhalten (8–30 %), haben verglichen mit ausschließlich palliativ Versorgten eine höhere Symptombelastung und geringere Lebensqualität [9]. Gleichzeitig gilt gemäß der S3-Leitlinie „Palliativmedizin“ ein hoher Anteil nicht heilbarer Krebspatienten und -patientinnen mit tumorspezifischer Therapie in den letzten 14 Lebenstagen als negativer Qualitätsindikator.
Man müsse sich deshalb primär über ein realistisches Therapieziel mit den Betroffenen einigen, forderte Forschner. Dafür seien die Patientenwünsche, -werte und -ziele zu erfassen und sorgfältig in der Therapieplanung zu berücksichtigen. Es sei zu klären, welche Informationen fehlen, um eine partizipative Entscheidungsfindung zu ermöglichen.
Ein strukturiertes Gespräch, für das es einen Leitfaden gebe, helfe, ein Overtreatment am Ende des Lebens zu verhindern [10,11]. Best- und Worst-Case-Szenarien könnten sehr hilfreich sein, Gespräche auch mit Angehörigen, intensive Aufklärung über Risiken und Nutzen und über die Relevanz der Zeittoxizität. Man solle Ansprechpartner auch für die Best Supportive Care bleiben, eine heimatnahe Versorgung anstreben und die Hausärzte und -ärztinnen involvieren.
Rund 42 % der unheilbar an Krebs Erkrankten unter Systemtherapie verstünden nicht, dass diese Therapie sie nicht mehr heilen werde. Und nur ungefähr 50 % der terminal an Krebs Erkrankten wüssten akkurat über ihre Prognose Bescheid [12], machte Forschner deutlich. Aber 60 % wünschten sich, zu Hause zu sterben und nicht im Krankenhaus [13].
Was am Ende wichtig ist
Das Wichtigste für Menschen mit nicht heilbarem Krebs sei die Lebensqualität und nicht die Verlängerung des Lebens um Tage. Deshalb müsse man auch die Zeittoxizität einer Chemotherapie betrachten. Es lohne sich am Ende der sinnvollen Therapieoptionen zu erörtern, was Betroffenen am wichtigsten ist, wenn man den wahrscheinlichsten Erkrankungsverlauf annimmt. Wäre es nur noch, die Hochzeit der Enkelin zu erleben, dann sei alles andere nicht mehr relevant. Denn wenn die Patientin eine stationäre Polychemotherapie erhält und während der Hochzeit wegen transfusionspflichtiger Anämie im Krankenhaus liege, „haben wir, glaube ich, wirklich nichts Gutes getan“, hob Forschner hervor.
Vortrag „Übertherapie vermeiden oder alle Register ziehen – Spannungsfeld dermatologische Therapie bei hochbetagten Patienten oder begrenzter Lebenserwartung“