Eine internationale Befragung von über 1.100 Ärztinnen und Ärzten zeigt ein bemerkenswert einheitliches Muster: Wenn sie selbst in einer Situation mit fortgeschrittenem Krebs oder Alzheimer wären, würden die meisten eine Intensivierung der Symptomkontrolle bevorzugen und invasive lebensverlängernde Maßnahmen wie Reanimation, künstliche Beatmung oder Sondenernährung weitgehend ablehnen.
Mehr als 90 % gaben an, dass ihnen die Linderung von Schmerzen und anderen belastenden Symptomen wichtiger wäre als eine Verlängerung des Lebens um jeden Preis. Diese Haltung steht in deutlichem Gegensatz zur klinischen Realität, in der Patientinnen und Patienten am Lebensende noch häufig mit Maßnahmen konfrontiert werden, die das Leben zwar verlängern, aber die Lebensqualität nicht verbessern.
Interessant ist auch die Einstellung zu palliativ-sedierenden Verfahren: Rund die Hälfte der Befragten würde eine tiefe Sedierung bis zum Tod als Option für sich selbst akzeptieren. Die Spannbreite ist hier groß – von unter 40 % Zustimmung in konservativen US-Bundesstaaten bis über 80 % in Italien. Dies verdeutlicht, wie stark kulturelle und rechtliche Rahmenbedingungen die persönliche Haltung prägen.
Einfluss des rechtlichen Umfelds
Etwa jede und jeder Zweite hält auch eine Form des assistierten Sterbens für eine „gute“ oder „sehr gute“ Option – sei es in Form von Euthanasie oder ärztlich assistiertem Suizid. Doch die Zustimmung variiert erheblich je nach Gesetzeslage: In Belgien, wo Euthanasie seit über 20 Jahren legal ist, sprechen sich mehr als 80 % der Ärzte im Krebsszenario für diese Option aus. In Ländern ohne gesetzliche Grundlage, etwa Italien oder Georgia (USA), liegt die Zustimmung deutlich unter 40 %. Besonders bemerkenswert: Selbst in Australien, wo die Regelungen erst kurz vor oder nach der Befragung in Kraft traten, zeigte sich bereits eine Mehrheit offen für diese Optionen (in Queensland war das Gesetz zum Zeitpunkt der Befragung bereits verabschiedet, aber noch nicht in Kraft (erst 2023)). Dennoch befürworteten bereits 57,3% (Krebs) bzw. 51,1% (Alzheimer) der befragten Ärzte dort die Euthanasie für sich selbst. Juristische Verfügbarkeit scheint also nicht nur die Praxis, sondern auch die persönliche Vorstellung davon, was „normal“ und vertretbar ist, stark zu beeinflussen.
Auch Unterschiede zwischen Fachrichtungen treten hervor: Palliativmediziner tendieren stärker zu palliativ-sedierenden Maßnahmen und stehen assistiertem Sterben zurückhaltender gegenüber. Hausärzte und andere Fachärzte hingegen zeigen häufiger eine Offenheit für Euthanasie oder assistierten Suizid. Religiosität spielt ebenfalls eine Rolle: Nicht-religiöse Ärztinnen und Ärzte befürworten assistiertes Sterben deutlich häufiger als gläubige Kolleginnen und Kollegen. Alter, Geschlecht oder Herkunft hatten hingegen keinen erkennbaren Einfluss.
Bedeutung für die klinische Praxis
Die Studie verdeutlicht, dass Ärzte für ihr eigenes Lebensende überwiegend auf Lebensqualität statt Lebensverlängerung setzen würden. Diese Erkenntnis wirft die Frage auf, warum in der Versorgungspraxis noch so oft aggressive Maßnahmen durchgeführt werden, die Ärztinnen und Ärzte für sich selbst ablehnen. Mögliche Gründe reichen von institutionellen Routinen bis hin zu moralischem Druck oder der Sorge, nicht alles getan zu haben.
Für die praktische Arbeit in der Gesundheitsversorgung lassen sich mehrere Impulse ableiten: Erstens lohnt es sich, die eigenen Präferenzen bewusst zu reflektieren - nicht, um sie unbesehen auf Patientinnen und Patienten zu übertragen, sondern um sensibler für mögliche Diskrepanzen zu werden. Zweitens zeigt die starke Orientierung an Symptomlinderung, wie zentral die palliative Kompetenz in allen Fachbereichen ist. Drittens wird klar, dass rechtliche und kulturelle Kontexte die Haltung zu assistiertem Sterben prägen - und damit auch die Art, wie Optionen im Gespräch mit Patienten dargestellt oder verschwiegen werden.
Unabhängig von der eigenen Position zum assistierten Sterben macht die Befragung deutlich: Ärztinnen und Ärzte sollten im Gespräch mit ihren Patientinnen und Patienten Transparenz und Offenheit wahren und gleichzeitig die Priorität klar setzen – Lebensqualität am Lebensende.
Mroz S et al.: Physicians‘ preferences for their own end of life: a comparison across North America, Europe, and Australia. J Med Ethics. 2025 Jun 10:jme-2024-110192 (DOI 10.1136/jme-2024-110192).
* Pressemitteilung: Over half of doctors surveyed would consider assisted dying if they had advanced cancer or Alzheimer’s disease. BMJ Group, London, 11.6.2025 (https://bmjgroup.com/over-half-of-doctors-surveyed-would-consider-assisted-dying-if-they-had-advanced-cancer-or-alzheimers-disease/).