Wenn Urtikaria-Patienten unvollständig auf Antihistaminika reagieren – was in beinahe 60 % der Fall ist –, sind pauschale Auslassdiäten nicht zu empfehlen. Stattdessen sollten Lebensmittelzusatzstoffe und allergene Nahrungsbestandteile eliminiert werden.
Kennzeichen der chronischen spontanen Urtikaria sind vorübergehende Pruritus-Quaddeln mit oder ohne Angioödem, die gewöhnlich nach 24 Stunden verschwinden, jedoch für mehr als sechs Monate täglich oder fast täglich auftreten. Auch ein intermittierender Verlauf ist möglich, sogar Monate oder Jahre nach einer vollständigen Remission.
Als Trigger kommen immunologische Faktoren wie IgE, der Fcɛ-Rezeptor oder Komplement infrage. In stärkerem Maße sind jedoch nicht immunologische Faktoren wie Infektionen, Arzneimittel, Stress oder Lebensmittel beteiligt [1]. Nach Stimulation und Aktivierung schütten die Mastzellen vasoaktive Mediatoren aus, beispielsweise Histamin, den plättchenaktivierenden Faktor oder Eikosanoide. Die lebenslange Prävalenz der chronischen spontanen Urtikaria beträgt weltweit ungefähr 9 %. Insgesamt ist diese Form der Urtikaria sehr einschränkend, beeinträchtigt die Lebensqualität und wirkt sich auf die Leistungen in Beruf und Schule aus [2]. Die idiopathische Erkrankung kann Jahre bis Jahrzehnte dauern, eine Tatsache, die Patienten und Ärzte sehr ernüchtert. Da die Pathogenese weiterhin unklar ist, gibt es keine kurative Therapie.
Behandelt wird symptomatisch mit Antihistaminika, die in der Erstlinie zulassungsgemäß verordnet und in der Zweitlinie bis zu vierfach aufdosiert werden. Bis zu 60 % der Patienten zeigen eine unvollständige Response und benötigen Immunmodulatoren oder Biologicals, um die Krankheit zu kontrollieren. Die vielfältigen Nebenwirkungen lassen die Patienten über alternative Maßnahmen nachdenken, zum Beispiel über eine Diät.
Welche Rolle die Ernährung bei der Entstehung der chronischen spontanen Urtikaria hat, ist offen, und in den meisten internationalen Guidelines werden Ernährungsmodifikationen nicht empfohlen. Die Patienten wiederum lassen verdächtige Lebensmittel von sich aus weg. Und die behandelnden Ärzte sind über Ernährungstherapien nicht ausreichend informiert. Diese Wissenslücke wollen die Autoren eines aktuellen Reviews nun schließen, in den 25 Studien aus den vergangenen 21 Jahren eingegangen sind [1].
Karenz bei Lebensmittelallergie
Primär wird zwischen Lebensmittelallergie und Pseudoallergie unterschieden. Lebensmittelallergien sind immunologische, IgE-vermittelte Reaktionen auf Nahrungsmittel, die insgesamt jedoch nur etwa 1,2 % aller Fälle ausmachen. Klinisch dominieren verzögerte, respiratorische und kutane Symptome, die 2 bis 6 Stunden nach der Ingestion von Fisch oder rotem Fleisch auftreten. So wird das α -Gal-Syndrom durch das Oligosaccharid Galactose- α -1,3-Galactose aus Schwein, Rind, Lamm, Wild oder Gelatine hervorgerufen. Auch ein Zeckenstich oder eine Infektion mit dem (seltenen) Hakenwurm oder Pärchenegel kann eine Sensibilisierung gegenüber α -Gal nach sich ziehen und die Bildung von Anti- α -Gal-Antikörpern anregen.
Eine solche Sensibilisierung ist auch bei Behandlung mit dem monoklonalen Antikörper Cetuximab bekannt. Interessant ist die IgE-Kreuzreaktivität gegen α -Gal, welches auch im Speichel von Katzen vorkommt und damit auch an Katzenhaaren. Es ist nicht klar, ob die Katzen-Sensibilisierung der Fleischallergie vorangeht oder umgekehrt. IgE-Reaktivitäten können auch gegen fischspezifische Muskelproteine auftreten, besonders gegen Parvalbumine, Tropomyosine und Troponine. In Seefisch, oft Dorsch, Pollack und Rotbarsch, und in Tintenfisch findet sich außerdem der kälteresistente Nematode Anisakis simplex. Verzehrt man unzureichend zubereiteten Seefisch, werden die Larven des Fadenwurms aufgenommen und lösen im Körper allergische Reaktionen aus. Auch die thermostabilen Allergene von Anisakis führen zu einer Sensibilisierung, bei einem erneuten Kontakt dann zu Urtikaria und Angioödem.
Neben Nahrungsmittelallergenen lösen auch Medikamente, Aeroallergene, Kontaktallergene oder Proteine nach Ingestion oder direktem Hautkontakt eine allergische Reaktion aus. Das ist in bis zu 20 % der Fall. Diagnostiziert wird eine Nahrungsmittelallergie durch eine umfassende Anamnese (möglichst mit Ernährungs- und Symptomprotokoll), durch einen Epikutantest oder stationären Provokationstest sowie durch Bestimmung von Gesamt-IgE und spezifischem IgE. Gemäß der aktualisierten Leitlinie kann bei einer IgE-vermittelten Allergie ernährungstherapeutisch durch Karenz des entsprechenden Nahrungsmittels interveniert werden [3]. Die Leitlinie wird ausführlich auf den Seiten 8–10 dieser Ausgabe behandelt.
Abgestufte Empfehlungen bei Intoleranz
Wesentlich häufiger als eine Lebensmittelallergie ist eine Lebensmittelintoleranz. Bis zu 18 % der Patienten mit chronischer spontaner Urtikaria reagieren empfindlich auf Pseudoallergene, so die Daten aus dem Jahr 2014 [4]. Pseudoallergene und histaminreiche Nahrungsbestandteile finden sich beispielsweise in Käse, Fisch, Gemüse (auch fermentiert), in Früchten, Schokolade und Süßigkeiten, in Alkohol, bestimmten Arzneimitteln, Kräutern und Gewürzen (Abb.). Pseudoallergen wirken auch die Lebensmittelzusatzstoffe Cochenillerot (E124), Azorubin (E122), Karmin (E120), Allurarot (E129) und Erythrosin (E127) sowie die natürlichen Farbstoffe Annatto (E160b), Curcumin (E100), Beta-Carotin (E160a) und Paprika (E160c), ebenso ihre synthetischen Analoga. Schließlich die Konservierungsstoffe Benzoesäure (E210) und Sorbinsäure (E200), Antioxidantien, Süßstoffe sowie der Geschmacksverstärker Glutamat. Klinisch fehlt hier eine Sensibilisierungsphase, sodass der erste Kontakt zu Symptomen führt, die einer Allergie gleichen: Urtikaria, Schwäche, Übelkeit, Kopfschmerzen und erhöhte Herzfrequenz [3].
Pseudoallergenfreie Diäten werden angewendet, um natürliche Lebensmittelbestandteile und Lebensmittelzusatzstoffe zu eliminieren. Unterschieden wird im Grunde zwischen der histaminarmen Diät und der personalisierten Diät, die allerdings nur nach einem Provokationstest empfohlen wird. Diese Tests waren einer Untersuchung zufolge nur in 36 % positiv; im Gegensatz dazu berichteten 75 % der Betroffenen von vermuteten Triggern.
Die Empfehlungen zu Elimination und Supplementation [1]:
Grad-A-Empfehlungen:
Grad-B-Empfehlungen:
Grad-C-Empfehlung:
Die Elimination von Gluten wird bei begleitender Zöliakie empfohlen. Bei einer chronischen spontanen Urtikaria und manifester Zöliakie wurde nach der Elimination von Gluten eine Verbesserung der Urtikaria berichtet.
Auch in der internationalen Leitlinie wird eine pseudoallergenfreie und histaminarme Diät bei Patienten mit chronischer spontaner Urtikaria erwähnt, ohne die Interventionen genauer zu beschreiben [2]. Die Einschätzung: Die Diäten würden kontrovers diskutiert und seien bisher in doppelblinden, placebokontrollierten Studien nicht bewiesen. Die Behandlung erfordere sehr kooperative Patienten, wobei die Erfolgsraten je nach Region und Ernährungsgewohnheiten deutlich variieren [2].
Eliminationsdiäten sind erfolgreicher, wenn regionale Ernährungsgewohnheiten berücksichtigt werden. Abgeraten wird von einer längeren Eliminationsdauer, außer sie ist durch Provokationstests indiziert. Stattdessen ist eine Ernährungsberatung sinnvoll, so die Dermatologen aus Kolkata (Indien) [1].
Ernährungsmodifikationen sind bei Patienten mit chronischer spontaner Urtikaria wirksam, wenn diese resistent gegenüber Antihistaminika ist. Von einer pauschalen Lebensmittelrestriktion wird jedoch abgeraten. Geeignet zur Eliminierung sind Lebensmittelfarbstoffe, die an pseudoallergischen Reaktionen beteiligt sind, aber keinen gesundheitlichen Nutzen haben. Eine Diät, die pseudoallergenfrei und histaminarm ist, kann ausprobiert werden, wenn konventionelle Therapien unter Supervision fehlschlagen.
Weiterführende Informationen für Ärzte:
Diagnostik von Nahrungsmittelallergien:
https://www.medmedia.at/aerzte-krone/nahrungsmittel-allergien-umfassend-diagnostizieren/
Diagnostik und Behandlung der Urtikaria:
https://www.usz.ch/fachbereich/dermatologie/angebot/urtikaria-nesselsucht/#behandlung
1 Poddar I et al., Dietary strategies for chronic spontaneous urticaria: an evidence-based review. Int J Dermatol 2021; DOI 10.1111/ijd.15988
2 Zuberbier T et al., Allergy 2022; 77: 734–766
3 Worm M et al., Allergologie 2021; 44: 488–541
4 Rajan JP et al., J Allergy Clin Immunol Pract 2014; 2: 168–171
Bildnachweis: artvea (gettyimages)