Die ganzheitliche Medizin umfasst Therapiekonzepte aus der Schulmedizin und der Komplementärmedizin gleichermaßen. Dieser Beitrag stellt Ihnen Konzepte vor, die das Potenzial für eine Verbesserung der Versorgung haben und die aufgrund der vorliegenden Evidenz empfohlen werden können.
Anstatt sich ausschließlich auf die Behandlung einzelner Symptome zu konzentrieren, zielt die ganzheitliche Medizin darauf ab, das individuelle Gleichgewicht wiederherzustellen. Aktuell gewinnt die ganzheitliche Medizin zunehmend an Relevanz – sowohl in der Patientenversorgung als auch in der wissenschaftlichen Diskussion.
Kältebehandlung in der onkologischen Supportivtherapie
Mit der steigenden Effektivität systemischer Krebstherapien rückt die Supportivmedizin zunehmend in den Fokus, insbesondere Maßnahmen zur Erhaltung der Lebensqualität während und nach der Therapie. Zwei der klinisch relevantesten und von Patientinnen am meisten gefürchteten Nebenwirkungen sind die Chemotherapie-induzierte Polyneuropathie (CIPN) und die Chemotherapie-induzierte Alopezie (CIA). In der komplementärmedizinisch orientierten Onkologie hat sich die Anwendung prozessorgesteuerter Thermotherapie – in Form der Hilotherapie für Hände/Füße zur CIPN-Prävention und der Kopfhautkühlung zur CIA-Prävention – als vielversprechender Ansatz etabliert.
Die Hilotherapie ist ein kontinuierlich temperaturgesteuertes Kälteverfahren zur Kühlung der Hände und Füße bei Anwendung neurotoxischer Zytostatika. In einer Real-World-Pilotstudie mit 193 Brustkrebspatientinnen konnte gezeigt werden, dass unter prophylaktischer Anwendung der Hilotherapie 93– 95 % der Patientinnen frei von CIPN ≥ Grad 2 blieben. Selbst nach 48 Monaten Follow-up betrugen die Raten für CIPN Grad ≥ 2 lediglich 6–7 % (1. Generation) bzw. 4,5 % (2. Generation) [1].
Eine aktuelle Übersichtsarbeit zur Kühlung bei CIPN bestätigt eine signifikante Reduktion der Inzidenz bei kontinuierlicher Kühlung – insbesondere bei Taxanen – und betont die Bedeutung standardisierter Kühlprotokolle [2]. Eine prospektive Studie zeigte zudem, dass Kühlung der Extremitäten während Taxan-basierter Chemotherapie nicht nur CIPN, sondern auch Nagelveränderungen signifikant reduziert. Der Nutzen war abhängig von der Kühlintensität und der kontinuierlichen Anwendung [3].
Die Chemotherapie-induzierte Alopezie ist eine stark stigmatisierende Nebenwirkung, die tiefgreifende psychosoziale Belastungen verursachen kann – bis hin zur Ablehnung einer Chemotherapie. Besonders bei jüngeren Patientinnen und bei Tumorentitäten mit hoher Remissionswahrscheinlichkeit (z. B. Mammakarzinom) ist die CIA-Prävention klinisch relevant.
Kontrollierte Kopfhautkühlungssysteme erzielen durch eine Vasokonstriktion der Kopfhautgefäße eine Reduktion der Chemotherapeutikaspiegel in den Haarfollikeln. Zusätzlich wird durch metabolische Dämpfung die Zellzyklusaktivität reduziert – dies schützt die Haarmatrixzellen vor Apoptose [4,5]. In einer retrospektiven Auswertung von 414 Patientinnen am Luisenkrankenhaus Düsseldorf wurden unter Anwendung prozessorgesteuerter Systeme in 66 % sehr gute bis gute kosmetische Ergebnisse erzielt. In 76,5 % der Fälle konnte auf eine Perücke verzichtet werden [6].
Beide Verfahren – Hilotherapie und Kopfhautkühlung – basieren auf dem Prinzip der gezielten Vasokonstriktion zur Reduktion der zytotoxischen Exposition empfindlicher Strukturen (periphere Nerven bzw. Haarfollikel). Die metabolische Dämpfung unterstützt die Resistenz gegenüber Zellschädigung, ohne systemische Nebenwirkungen zu induzieren. Besonders relevant ist der Einsatz bei Taxan-haltigen Therapien, die sowohl eine hohe CIPN-Inzidenz (bis zu 60 %) als auch eine fast vollständige CIA-Rate verursachen.
Die kombinierte Anwendung beider Verfahren erlaubt somit eine substanzspezifische Nebenwirkungsprophylaxe, die in die onkologische Behandlung integriert werden kann. Frühzeitige Aufklärung über beide Verfahren und Implementierung sollte Standard in interdisziplinär arbeitenden Onkologiezentren werden.
Lasertherapie in der Gynäkologie
Laser ist das Akronym für Light Amplification by Stimulated Emission of Radiation – eine Lichtverstärkung durch stimulierte Emission von Strahlung. Laserstrahlen sich elektromagnetische Wellen. Die Lasertechnologie hat in den vergangenen Jahren deutliche Fortschritte gemacht. Der Einsatz von Laserstrahlen hat die Behandlungsmöglichkeiten in der Gynäkologie und Geburtshilfe deutlich erweitert: zum Schneiden, zur Destruktion von Gewebe (Vaporisation) und zur Rejuvenation von Gewebe.
Über viele Jahre war die Messerkonisation bei zervikaler intraoperativer Neoplasie (CIN) der operative Standard, danach wurde die Schlingenresektion (loop electrosurgical excision procedure, LEEP) eingeführt, anschließend die Konisation mit Laser. Die Methode ist wissenschaftlich gut untersucht. Aktuell existieren hierzu 397 internationale Publikationen in Zeitschriften mit dualem Gutachterkonzept [7].
Bei der Behandlung der zervikalen intraepithelialen Neoplasie ist die Laservaporisation weniger invasiv im Vergleich zur Konisation. Das Resultat der Laservaporisation bei CIN ist abhängig von den kolposkopischen Befunden und der Lokalisation. Die kolposkopisch geführte Laservaporisation ist inzwischen eine empfohlene Behandlungsmethode [8]. Der Laser wird auch zum Schneiden bei Labienresektion eingesetzt. Im Vergleich zur konventionell durchgeführten Resektion sind Hämatome und postoperative Blutungen seltener, die Rate an Dehiszenzen jedoch höher [9].
Bei einem Teil der perimenopausalen Frauen stehen Beschwerden im Intimbereich und sexualmedizinische Aspekte im Vordergrund. Die vulvo-vaginale Atrophie (VVA) ist ein zentrales Element des genitourinären Syndroms der Menopause. 2014 wurde die Bezeichnung „genitourinary syndrome of menopause“ (GSM) eingeführt, um die verschiedenen Symptome, einschließlich der VVA, zu erfassen.
Die Wirksamkeit der Lasertherapie bei VVA ist durch zahlreiche Studien belegt. Es stehen verschiedene Technologien zur Verfügung. Am häufigsten werden eingesetzt: CO2-Laser und Erbium:YAG-Laser. Die meisten wissenschaftlichen Daten zur Therapie der VVA liegen zum CO2-Laser vor. Folgende Symptome können durch die Lasertherapie der Vagina und der Vulva gebessert werden: Dyspareunie, vaginale Trockenheit, vaginales Brennen, Pruritus. Dies wurde durch die erste Studie mit Real World Data bestätigt [10]. Auch zur Lasertherapie bei perimenopausalen Frauen mit leichter und mittelschwerer Harninkontinenz gibt es vielversprechende Studienresultate. In dieser Situation ist die Lasertherapie bisher noch nicht als Standard etabliert [11].
Cannabinoide in der Gynäkologie
Der therapeutische Einsatz von Cannabinoiden – insbesondere Δ9-Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD) – gewinnt auch in der Gynäkologie zunehmend an Bedeutung. Dabei rückt nicht nur die Schmerztherapie, sondern auch der Einsatz bei Endometriose, prämenstruellem Syndrom (PMS) oder menopausalen Beschwerden in den Fokus.
Beide Hauptbestandteile der Cannabispflanze wirken auf das endogene Cannabinoid-System, das aus CB1- und CB2-Rezeptoren besteht (Tab.) [12].
Endometriose ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung mit hohem Leidensdruck. In Studien berichten Patientinnen über signifikante Schmerzlinderung unter THC-haltigen Präparaten [13]. CBD zeigt antiinflammatorische Effekte im Tiermodell und reduziert neuroinflammatorische Prozesse [14]. Der Einsatz ist durchaus vielversprechend, jedoch fehlen randomisierte kontrollierte Studien.
Gleiches gilt für das prämenstruelle Syndrom (PMS) und die prämenstruelle dysphorische Störung (PMDS) sowie menopausale Beschwerden. Zwar kann CBD angstlösende und stimmungsstabilisierende Effekte entfalten [15] und THC kann schmerzlindernd und muskelrelaxierend bei menstruationsassoziierten Beschwerden wirken [16], aber auch hier gibt es als klinische Evidenz nur vereinzelte Daten aus Beobachtungsstudien – kontrollierte Studien fehlen weitgehend.
Eividenzbasierte Ansätze für den Einsatz von Cannabinoiden gibt es bislang v. a. in der Schmerzmedizin [17]:
Perinatale Stammzellen
Mesenchymale Stammzellen (MSC) sind multipotente Stammzellen, die aus verschiedenen Geweben gewonnen werden können, darunter Knochenmark, Fettgewebe, Nabelschnurblut und Plazenta. Sie zeichnen sich durch ihre Fähigkeit aus, sich in Zellen des mesodermalen Ursprungs zu differenzieren, wie z. B. Osteoblasten, Chondrozyten und Adipozyten. Darüber hinaus besitzen MSC immunmodulatorische Eigenschaften. MSC können u. a. aus der Whartonschen Sulze (WS) der Nabelschnur gewonnen werden.
In der Gynäkologie finden MSC u. a. Anwendung bei der Regeneration des Endometriums nach intrauterinen Adhäsionen [18]. Die immunmodulatorischen Eigenschaften von MSC könnten zur Behandlung von Endometriose eingesetzt werden [19]. MSC zeigen vielversprechende Ergebnisse auch bei der Behandlung von Präeklampsie durch ihre Fähigkeit, die Plazentafunktion zu verbessern und Entzündungen zu reduzieren [20]. Bei ovarieller Insuffizienz könnten MSC zur Regeneration von Ovarialgewebe und zur Verbesserung der Fruchtbarkeit beitragen [21].
Extrazelluläre Vesikel (EV) sind parakrine Effektoren, die von mesenchymalen Stammzellen produziert werden. Ihr bioaktiver Inhalt hat eine zentrale Bedeutung für die Kommunikation zwischen Zellen und für die Steuerung der Proliferation umliegender Zellen. Unter den verschiedenen EV-Subtypen haben Exosomen ein besonderes Potenzial für neue therapeutische Ansätze, etwa beim triple-negativen Mammakarzinom. Dieses potenzielle onkologische Therapiekonzept ist momentan auf dem Weg von der In-vitro-Ebene zur In-vivo-Anwendung [22].
Nabelschnurblut stellt bereits heute eine einzigartige Quelle hämatopoetischer Stammzellen dar und gewinnt zunehmend an Bedeutung für zukünftige regenerative Therapien. Die im Nabelschnurblut enthaltenen Stammzellen zeichnen sich durch eine hohe Proliferationsrate und ein geringeres Risiko immunologischer Abstoßungsreaktionen aus, insbesondere bei allogenen Transplantationen. Zudem ist die Entnahme nicht invasiv und birgt kein Risiko für Mutter oder Kind [23].
Obwohl MSC primär aus dem Nabelschnurgewebe isoliert werden, konnten auch aus Nabelschnurblut MSC gewonnen werden, wenngleich in geringerer Frequenz [24]. Für Gynäkologie und Geburtshilfe ergibt sich hieraus ein relevantes Handlungsfeld: Mit Blick auf die rasante Entwicklung neuer Therapiekonzepte auf dieser Basis erscheint Nabelschnurblut in einem neuen Licht. Die Entnahme von Nabelschnurblut unmittelbar post partum ist risikoarm und nicht invasiv. Damit steigt bereits heute die Bedeutung der Entnahme mit nachfolgender Kryokonservierung und Einlagerung. So kann für das Neugeborene eine individuelle Behandlungsperspektive für bestimmte Erkrankungen, die sich im Verlaufe des Lebens manifestieren können, sichergestellt werden. Das Spektrum der künftig behandelbaren Erkrankungen ist dabei nicht mehr auf nur wenige Diagnosen beschränkt.
Die Integration dieser Erkenntnisse in die gynäkologische Beratung, insbesondere bei Schwangerschaften mit erhöhtem Risiko oder bekanntem familiärem Hintergrund für degenerative Erkrankungen, erscheint zunehmend sinnvoll. Gynäkologinnen und Gynäkologen haben hier eine Schlüsselrolle in der Aufklärung über Chancen und Limitationen dieser sich entwickelnden Zelltherapien.