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Fokus Naturmedizin

Viele Assoziationen, unklare Kausalketten

Autoimmunerkrankungen und Mikrobiom

Rainer H. Bubenzer

3.8.2021

In der Forschung rückt das Mikrobiom in den Fokus. Es stellt sich die Frage: „Welche Rolle spielt das Mikrobiom in Bezug auf Autoimmunerkrankungen im Bereich der Dermatologie?“ Aktuelle Studien stellen einen Zusammenhang zwischen Autoimmunerkrankungen wie Lupus erythematodes und dem Mikrobiom her.

Das Mikrobiom der Haut ist vergleichsweise „klein“ – etliche hundertmilliarden Keime im Vergleich zu mehreren Dutzend Billionen Bakterien im Darm. Zudem sind die meisten Hautbakterien – ob als kommensale Mitbewohner oder Pathogene – schon lange bekannt. Auf und in der Haut leben überwiegend ­aerobe, auf Sauerstoff angewiesene Bakterien, aerotolerante Anaerobier oder fakultative Anaerobier. Die häufigsten sind Actinobacteria, Firmicutes, Proteobacteria und Bacteroidetes. Der Darm ist hingegen nahezu überwiegend von Anaerobieren besiedelt, z. B. von den Phyla der Bacteroidetes oder Firmicutes. Und diese wurden mehrheitlich erst in den vergangenen zehn Jahren entdeckt. Ergänzt wird die Besiedelung der Haut durch Pilze (Mykobiota), Viren, Bakterio­phagen, Archaea und Protozoen.


Eine Vielzahl von Faktoren beeinflussen die mikrobielle Kolonisation der Haut, ihre temporalen Veränderungen oder metabolischen und pathogenesebedingten Anpassungen, nicht alleine die Topografie der Haut. Dazu gehören individualspezifische Faktoren wie Alter oder Geschlecht. Sowie zahllose Umweltfaktoren wie Berufstätigkeit (Landwirtschaft), individuelle Bekleidungsgewohnheiten, Verwendung von Antibiotika und anderen Medikamenten, Kosmetika, Seifen, Umwelttemperatur, Luftfeuchtigkeit, Breitengrad oder davon abhängige Variationen der UV-Exposition.


Ein weiterer Faktor, das hat nun die Mikrobiomforschung gezeigt, ist die komplexe Interaktion der Darmflora mit der Haut und vermutlich auch dem Hautmikrobiom. Beispielsweise die Darmflora-Haut-Achse bei der Entstehung der atopischen Dermatitis. Ätiopathogenetisch belastbare Kausalzusammenhänge finden sich bislang jedoch nicht. Mehrfach konnte auch gezeigt werden, dass Änderungen oder Störungen des Hautmikrobioms im Zusammenhang mit der Pathophysiologie verschiedener Hauterkrankungen stehen, z. B. mit atopischer Dermatitis oder Acne vulgaris. Die modernen Technologien wie Next Generation Sequencing (NGS) und ihre vertieften Einsichten zu Typisierung, Verteilung, Quantifizierung oder Fluktuation des Hautmikrobioms haben einige neue diagnostische Perspektiven für die Dermatologie eröffnet.

Autoimmunprozesse

Das Mikrobiom ist für die adäquate Entwicklung und Funktion des lokalen wie auch des systemischen Immunsystems von entscheidender Bedeutung, wie viele Studien gezeigt haben. Umgekehrt wirkt das Immunsystem auf die Zusammensetzung des Mikrobioms ein und reguliert nach bisherigem Kenntnisstand sogar die Funktion einzelner Bakteriengruppen. Es sind mehrere Mechanismen bekannt, die für das Wechselspiel zwischen Wirt und Mikrobiom verantwortlich sind und die die Auswirkungen auf die Pathogenese autoimmuner Störungen mitbedingen.

Lupus erythematodes und das Mikrobiom

Bei der Pathogenese des systemischen Lupus erythematodes (SLE) scheint das intestinale Mikrobiom eine Rolle zu spielen, nicht nur in Tiermodellen, sondern auch beim Menschen. Mehrere bakterielle Taxa sind im Darm von SLE-Patienten entweder angereichert oder verarmt, wie Ergebnisse von NGS zeigen. So kann das Verhältnis von Firmicutes zu Bacteroidetes bei SLE-Patienten reduziert sein. Ferner ist klar, dass Darm­pathobionten mit ihrem Wirt interagieren können, indem sie in systemische Gewebe translozieren und dadurch das Immunsystem aktivieren. So durchqueren E. gallinarum und L. reuteri das Darmepithel und induzieren damit eine Typ-I-IFN-Expression sowie die Produktion von Anti-dsDNA-Antikörpern. Ein weiterer entscheidender Faktor für die Induktion von Autoimmunität durch Darmmikroben ist eine Art molekularer Mimikry. Darmkommensalen von Menschen (auch bei SLE-Patienten) enthalten z. B. Proteine mit Epitopen, die denen des bei SLE wichtigen Ro60-Autoantigens homolog sind. Solche Proteine binden dann an B- und T-Zellen und aktivieren pathologische Immunantworten. Darüber hinaus weist eine Überexpression bestimmter Darmmikroben auf eine ­erhöhte Krankheitsaktivität hin. Eine chinesische Gruppe zeigte, dass das Hautmikrobiom beim systemischen ­Lupus erythematodes spezifischen Veränderungen unterliegt. Unter anderem zeigte sich eine reduzierte Alpha-Diversität (effektive Anzahl von Spezies) und eine ­höhere Heterogenität in den Hautläsionen der SLE-Patienten [1]. Ohne Frage läge auch eine kutane Dysbiosis bei SLE vor, so die Autoren, wobei ­verschiedene spezifische Taxa wie der Genus Staphylococcus, vor allem S. aureus und S. epidermidis, potenziell auch zum Nachweis der SLE-Diagnose geeignet sein könnten.

Lupus erythematodes und das kutane Mikrobiom

Mikrobiom und dermatologische Erkrankungen

Der Verlauf der Strahlendermatitis, so zeigte eine ägyptische Arbeitsgruppe, hängt wesentlich vom Zustand des kutanen Mikrobioms ab. Ein gesteigertes Proteobacteria/Firmicutes-Verhältnis, so berichten sie, war signifikant mit einer verzögerten Heilung der Dermatitis oder einer Chronifizierung verknüpft, vor allem die Überrepräsentation von Pseudomonas, Staphylococcus und Stenotrophomonas [2]. Die Autoren nehmen an, dass spezielle metabolische Eigenschaften des veränderten Mikrobioms eine Rolle bei der Pathogenese der Strahlendermatitis spielen.

Wurde beim diabetischen Fuß das Hautmikrobiom des gesunden Fußes mit dem Mikrobiom in der Wunde verglichen, zeigte sich zunächst, dass die bakterielle Diversität weitaus geringer ist (andere Mikroumgebung etc.) als in gesunder Haut. Bei ­Patienten mit schweren Verläufen kamen zudem gehäuft Keime vor, die in besonderem Maße pathogen sind. Da sich diese Bakterien auch auf der gesunden Fußhaut dieser Patienten fanden, hoffen die Autoren, dass damit eine frühzeitige Prognosestellung und somit eine neuartige Therapieoptimierung möglich sind [3].


Im Jahr 2000 zeigten Studienergebnisse von Prof. Dr. med. Erika von Mutius (München), dass Heuschnupfen und Asthma bei jenen Kindern seltener sind, die auf einem Bauernhof mit Viehhaltung aufgewachsen sind und nicht in der Stadt [4]. Dies startete eine angeregte Diskussion in Fachkreisen, aber genauso im Publikum. Die deutsche „Bauernhofstudie“ und Folgeuntersuchungen auch in anderen Ländern haben wesentlich zum Verständnis der Bedeutung des Mikrobioms bei überschießender Immunreaktion beigetragen. Dennoch seien viele – vor allem klinisch bedeutsame – Fragen noch ungeklärt, so von Mutius [5], selbst wenn mit den neuen molekulargenetischen Hochdurchsatzverfahren (NGS) die Welt der Mikroben sowie ihre ungeheure Vielfalt sicht- und messbar geworden seien.


Auch ein Exkurs in den internistischen Fachbereich zeigt, dass bei Clostridioides-difficile-Darminfektionen (CDI) mittlerweile belastbare Therapiestudien vorliegen, die einen kausalen pathogenetischen Zusammenhang von Mikrobiom und Infektion belegen. Clostridioides difficile ist mit der häufigste nosokomiale Keim, eine häufige Ursache von Antibiotika-assoziierten Durchfallerkrankungen mit – je nach Schweregrad – hoher Sterblichkeit von bis zu 14 % (Meldepflicht nach IfSG). Die Infektionen neigen bei fast einem Drittel der Patienten zu Rezidiven, auch wiederholt. Der Erreger wird seit etwa 15 Jahren aggressiver, geht dann mit verfünffachter Sterblichkeit einher und kommt zunehmend auch außerhalb von Kliniken vor. Innerhalb etlicher kontrollierter klinischer Studien konnte gezeigt werden, dass eine Fäkaltransplantation (fecal microbiome transplantation – FMT) von einem gesunden Spender auf Patienten mit schwerer, trotz bisheriger Behandlung rezidivierender Clostridioides-difficile-Infektion ausgesprochen wirksam ist. Während die S2k-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselerkrankungen (DGVS) zu gastrointestinalen Infektionen FMT nur als „experimentelle kausale Therapieform“ einschätzt, ist das American College of Gastroenterology (ACG) mit ihrer im Juni 2021 publizierten, spezifischen FMT-Leitlinie ein ganzes Stück weiter: „FMT ist als die beste Behandlungsoption bei mehrfach rezidivierender CDI einzuschätzen [6].“

Prof. Dr. med. Erika von Mutius
Oberärztin, Leiterin Asthma- und Allergieambulanz LMU Klinikum Kinderklinik und Kinderpoliklinik im Dr. von Haunerschen Kinderspital
80337 München

Erika.Von.Mutius@med.uni-muenchen.de

Gibt es neben evidenzbasierten Therapieansätzen wie bei Clostridioides difficiles bereits präventive/therapeutische Optionen?

„Ich kenne derzeit noch kein Präparat auf dem Markt, von dem eine solche Wirksamkeit bewiesen wurde. Es wird aber in der Wissenschaft, wie auch in Firmen, stark daran gearbeitet (Beispiel: Die ­ORBEX-Studie mit lyophilisierten Bakterien-Lysaten, NCT02148796). Grundsätzlich denke ich, dass das Mikrobiom essenziell für die Gesundheit des Menschen ist – das kristallisiert sich mehr und mehr heraus. Es ist die Schaltfläche zwischen Umwelt und Mensch. Die Signale der Umwelt werden zum Beispiel im Darmmikrobiom zu Botenstoffen, sog. bakteriellen Metaboliten verarbeitet, z. B. kurzkettige Fettsäuren (SCFA). Diese Metabolite sind vielleicht Hormonen vergleichbar und bewirken die Übersetzung der Signale aus der Umwelt und des Körpers in biologische Effekte. Wir haben dazu kürzlich erst in Nature Medicine (Depner M et al., Nat Med 2020) publiziert.“

FAZIT:

Das Mikrobiom und Autoimmunprozesse beeinflussen sich gegenseitig. Aktuell werden in Studien Zusammenhänge zwischen verschiedenen Arten des Mikrobioms und Autoimmunerkrankungen hergestellt. Zwar stehen diese Forschungen noch am Anfang und es handelt sich dabei überwiegend um Assoziationsketten und weniger um kausale Zusammenhänge. Dennoch liefern Forschungen in diesem Bereich möglicherweise neue Therapieansätze, die künftig als Begleittherapien Berücksichtigung finden.

1 Huang C et al., Journal of Autoimmunity 2020
2 Ramadan M et al., Sci Rep 2021
3 Par JU et al., Biomed Res Int 2019
4 von Mutius E et al., Clin Exp Allergy 2000
5 von Mutius E, Monatsschrift Kinderheilkunde 2017
6 Kelly CR et al., Am J Gastroenterol 2021

Bildnachweis: StudioM1 (GettyImages); privat

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