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Allgemeinmedizin

Diabetes mellitus

Diagnose im mittleren Alter – automatisch Diabetes Typ 2?

Dr. med. Young Hee Lee-Barkey, Prof. Dr. med. Dr. h.c. Diethelm Tschöpe

Viele Jahrzehnte hieß es dem Alter entsprechend bei der Diagnose „juveniler Typ-1-Diabetes“ oder „Altersdiabetes Typ 2“. Eine derartige Unterscheidung ist jedoch fehleranfällig. Um alle Patienten frühzeitig gezielt therapieren zu können, ist eine umfangreichere Diagnostik indiziert.

Die klinische Routine geht bei Manifestation einer hyperglykämischen Stoffwechsellage im fortgeschrittenen Lebensalter oft vom Diabetes mellitus (DM) Typ 2 aus. Die falsche Diagnose gerade bei einem älteren Typ-1-Diabetiker hat jedoch weitreichende Konsequenzen: So treten gehäuft Komplikationen wie Ketoazidosen auf und eine nicht ausreichend adaptierte Therapie lässt den Patienten in einer mangelhaften Stoffwechselsituation oder ggf. mit nicht notwendiger Polypharmazie zurück. Bei älteren Patienten ist daher eine genaue Diagnostik zur Feststellung des Diabetestyps und der optimalen Behandlungsroutine notwendig, um Folgekomplikationen zu vermeiden sowie Morbidität und Mortalität zu senken.

Frühe Manifestation Typ-2-Diabetes und späte Manifestation Typ-1-Diabetes möglich

Während der DM Typ 1 mit autoimmunvermittelter Zerstörung der insulinproduzierenden Betazellen im Pankreas oft bei Kindern und Jugendlichen auftritt, ist die Pathophysiologie beim DM Typ 2 ein langsamer Prozess der Insulinresistenzentwicklung mit häufiger Manifestation im Erwachsenenalter. Anders als beim DM Typ 1 mit Insulinpflicht aufgrund des absoluten Hormonmangels wird die Insulinresistenz beim DM Typ 2 von Faktoren des metabolischen Syndroms getrieben, wobei erst im Verlauf der Erkrankung eine Insulintherapie notwendig werden kann.

Ein metabolisches Syndrom bereits im Kindesalter kann einerseits zu einer „frühen“ Manifestation des Typ-2-Diabetes in jüngeren Jahren führen, andererseits treten bei Erwachsenen vermehrt auch „späte“ Typ-1-Diabetes-Erkrankungen auf. Etwa 50 % der Menschen mit Typ-1-Diabetes nennen als Zeitpunkt der Diagnose das Erwachsenenalter, wie Salam et al. anlässlich der Jahrestagung der Amerikanischen Diabetesgesellschaft 2018 zeigen konnten.[1] Auch europäische Daten aus der UK Biobank belegen eine vermehrte Prävalenz von „Spätmanifestationen“ des DM Typ 1 – hier sind über 40 % der Patienten bei Feststellung der Diagnose über 30 Jahre alt.[2] Bezogen auf die Diabetesgesamtprävalenz sind diese Fälle eher selten, sie fallen in der Routine oftmals mit in das DM-Typ-2-Geschehen.[3]

Ein unzureichend mit oral-antidiabetischer Medikation eingestellter Diabetes oder die früh einsetzende Notwendigkeit einer Insulinbehandlung bei gleichzeitigem Versagen einer mit Basalinsulin unterstützten oralen Therapie (BOT) können Hinweise auf eine fehlerhafte Diagnose bei Patienten sein. Nicht selten treten dann Komplikationen häufiger und Ketoazidosen vermehrt auf.

Darüber hinaus scheint es zwischen DM Typ 1 und DM Typ 2 verschiedene Typologien im Sinne von Übergangsformen zu geben.

HbA1c erhöht und C-Peptid niedrig

Der 61-jährige Herr S. wird als klassischer Patient mit seit 13 Jahren bekanntem DM Typ 2 bei auffälliger Hypoglykämieneigung zur stationären Behandlung der Klinik zugewiesen. Sein Gewicht liegt seit Jahren stabil bei einem BMI von 32,5 kg/m2. Die Stoffwechsellage ist mit einem HbA1c von 8,4 % und einem Gesamtcholesterin von 226 mg/dl verbesserungswürdig. Das C-Peptid beträgt 0,25 nmol/l. Laborchemisch weiter auffällig sind leicht über die Norm erhöhte Werte für Creatinkinase.

Die antidiabetische Behandlung besteht aus Metformin (1.000 mg/Tag) sowie einer vor acht Jahren begonnenen Insulintherapie mit Mahlzeiteninsulin (Humaninsulin [12–22 IE/Tag]), die drei Jahre später mit Gabe des Langzeitinsulins Insulin Isophan (15 IE/Tag) ergänzt wurde. Eine begleitende Hypertonie wird mit Amlodipin (10 mg/Tag), eine Prostatahyperplasie mit einem Sägepalmenfrüchte-Dickextrakt (320 mg/Tag) behandelt.

TPO-Antikörper und Calcitoninwert unauffällig

Der Patient beschreibt neben einer lang bestehenden schmerzhaften diabetischen Polyneuropathie (NSS > 6) eine autonome Neuropathie des Genitaltraktes und eine bekannte nicht proliferative Retinopathie. In der Umfelddiagnostik ergab sich echokardiografisch eine eingeschränkte linksventrikuläre diastolische Funktion bei guter LV-Funktion. Zusätzlich wurde eine schwergradige obstruktive nächtliche Ventilationsstörung festgestellt. Die symptomatische Polyneuropathie wurde während des stationären Aufenthaltes mit Hochtontherapie schmerzlindernd behandelt. Bei unzureichend kontrollierter arterieller Hypertonie wurde die Therapie mit einem ACE-Hemmer ergänzt. Bei einem bekannten Schilddrüsenknoten links erfolgte eine Schilddrüsensonografie, die einen echogleichen Knoten mit Halo zeigte. Bei familiärer Schilddrüsen-CA-Belastung erfolgte eine weitere Labordiagnostik. Die TPO-Antikörper und der Calcitoninwert lagen jedoch im Normbereich.

Positiver Befund für GAD65-Antikörper

Der Patient zeigte zudem eine Vitiligo, hier ist von einem Autoimmungeschehen als Auslöser auszugehen. Deshalb und wegen der ausgeprägten Neigung zu Hypoglykämien bei bereits kleinen Insulindosen wurden explorativ Typ-1-Antikörper bestimmt, wobei sich ein deutlicher positiver Befund für GAD65-Antikörper ergab. Die Diagnose wurde daraufhin korrigiert und der Patient fortan als LADA (latent autoimmune diabetes in adults)-Patient geführt. Die Metformin-Therapie wurde beendet, die Therapie mit Insulin auf Analoga umgestellt. Unter Insulin glargin und Insulin glulisin konnten normnahe Werte erreicht werden.

FAZIT:

Am Beispiel des über ein Jahrzehnt irrtümlich als Typ-2-Diabetiker diagnostizierten und behandelten Patienten lässt sich für die Routine Folgendes ableiten: Ein Manifestationsalter > 40 Jahre prädes­tiniert nicht automatisch für DM Typ 2, auch ältere Menschen können aufgrund eines länger währenden Autoimmunprozesses oder späteren Triggers von DM Typ 1 betroffen sein. Bei fragwürdigem Befund, fehlendem therapeutischen Erfolg oder schnellem C-Peptid-Verlust sollte DM Typ 1 oder LADA in Betracht gezogen werden. Der Typ-1-Antikörpernachweis liefert eine zuverlässige Diagnose und erspart dem ­Patienten eine unzureichende Therapie.

Die Autorin

Dr. med. Young Hee Lee-Barkey
Leitende Oberärztin Diabeteszentrum
Herz- und Diabeteszentrum NRW
Universitätsklinikum der
Ruhr-Universität Bochum

yhlee-barkey@hdz-nrw.de

Der Autor

Prof. Dr. med. Dr. h.c. Diethelm Tschöpe
Klinikdirektor Diabeteszentrum
Herz- und Diabeteszentrum NRW
Universitätsklinikum der
Ruhr-Universität Bochum

dtschoepe@hdz-nrw.de

[1] Salam M, Bao YC et al., Diabetes 2018; 67(9): 1816–1829
[2] Thomas NJ, Jones SE et al., Lancet Diabetes & Endocrinology 2018; 6(2): 122–129
[3] Diaz-Valencia PA, Bougneres P et al., BMC Public Health 2015; 15: 255

Bildnachweis: Peter Hübbe, HDZ NRW

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