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Neurologie & Psychiatrie

Interview

Depressionen zunehmend häufiger diagnostiziert

Magdalena Porst

10 % der Patienten in der Hausarztpraxis leiden unter Depressionen. Trotz Stigmatisierung wird die Erkrankung immer öfter diagnostiziert. Eine frühzeitige Behandlung ist sehr wichtig, damit Suizide vermieden werden können.

Welche Behandlungsmaßnahmen kann der Hausarzt selbst durchführen?

Die meisten Patienten, die ambulant behandelt werden, werden vom Hausarzt behandelt, in der Regel mit Antidepressiva. In dringenden Notfällen wie bei Suizidgefährdung sollte eine stationäre Einweisung erfolgen. Bei komplizierenden Bedingungen wie nicht-akuter Suizidalität, wahnhafter Depression, Komorbiditäten und Multimedikation sowie Nichtansprechen nach vier Wochen sollte das Hinzuziehen eines Facharztes überlegt werden. Größere Schwierigkeiten kann der schnelle Start einer Psychotherapie bei einem ärztlichen oder psychologischen Psychotherapeuten bereiten, auch wenn ein Termin für ein Erstgespräch bei einem psychologischen Psychotherapeuten neuerdings relativ kurzfristig möglich ist.

Wie können Patienten in akuten Fällen sofort betreut werden?

Schwere Depressionen sind lebensgefährliche Zustände, nicht nur wegen des Suizidrisikos. Die Patienten stehen nicht mehr auf, trinken und essen nichts mehr. Allein dadurch kann bei älteren Menschen rasch ein lebensbedrohlicher Zustand entstehen. Eine Depression mit Schuldwahn, Verarmungswahn oder hypochondrischem Wahn (wahn­hafte oder psychotische Depression) ist immer ein Notfall und erfordert schon allein wegen der exzessiv erhöhten Suizidgefährdung in der Regel eine stationäre Behandlung.

Warum werden Depressionen immer häufiger diagnostiziert?

Wir haben heute nicht mehr depressiv Erkrankte als früher, die Depression wird nur häufiger erkannt. Das liegt unter anderem daran, dass die Hausärzte zunehmend besser informiert sind und Depressionen besser erkennen. Weitere Gründe für eine häufiger gestellte Depressionsdiagnose sind, dass Betroffene sich häufiger trauen, professionelle Hilfe zu holen und Ärzte Depressionen auch Depressionen nennen und nicht hinter weniger stigmatisierenden Ausweichdiagnosen wie chronischer Rückenschmerz, Tinnitus etc. verstecken.

Was muss der Hausarzt über die Medikation wissen?

Es gibt eine große Auswahl an Antidepressiva. Diese unterscheiden sich weniger in der Wirksamkeit, sondern in ihren Nebenwirkungsprofilen und Medikamenteninteraktionen. Wichtig zu wissen ist, dass Antidepressiva nicht sofort nach der Einnahme voll wirksam sind. Hat sich nach zwei bis vier Wochen überhaupt nichts gebessert, sollte jedoch reagiert werden, z. B. zwei Antidepressiva kombiniert, die Dosis erhöht oder zu einem Facharzt überwiesen werden. Antidepressiva sollten schrittweise abgesetzt werden, da es sonst zu Reboundeffekten mit z. B. Unruhe oder Missempfindungen kommen kann.

Wie profitieren Hausärzte vom „iFightDepression Tool“?

Das iFightDepression Tool ist ein nicht-kommerzielles internetbasiertes Selbstmanagement-Programm für Patienten mit leichten bis mittelgradigen Depressionen, das übrigens in zehn verschiedenen Sprachversionen und auch einer arabischen Version vorliegt. Es wird von der Stiftung Deutsche Depressionshilfe zur Verfügung gestellt. Das Login kann von Hausärzten oder Fachärzten an die Patienten vergeben werden. Diese können sich dann zu Hause oder unterwegs mit ihrem Smartphone einloggen, sich über die Symptome der Krankheit informieren und verschiedene Arbeitspakete durcharbeiten, ganz ähnlich wie bei einer kognitiven Verhaltenstherapie. Entscheidend ist, dass die Hausärzte oder Fachärzte, die den Zugang zur Verfügung gestellt haben, die Patienten bei der Nutzung begleiten, d. h. beim nächsten Termin nachfragen, z. B. ob alles verstanden worden ist, ob es hilft. Um Patienten das Login geben zu können und sie bei der Nutzung begleiten zu können, müssen sich Haus­ärzte oder Fachärzte über ein ebenfalls kosten­freies E-Learning-Tool (mit CME-Punkte) mit dem iFightDepression Tool vertraut machen.

Und wie profitiert der Patient?

Manche Patienten sind über solche Angebote sehr dankbar. Derartige internetbasierte Programme weisen übrigens eine vergleichbare antidepressive Wirksamkeit wie die übliche Psychotherapie auf. Trotzdem sehen wir das iFightDepression Tool nicht als Ersatz für Antidepressiva und regulärer Psychotherapie an, sondern als ein Tool zur Selbsthilfe. Mit dem iFightDepression Tool haben Ärzte ein Instrument an der Hand, um z. B. Wartezeiten auf eine Psychotherapie zu überbrücken und Patienten dabei zu helfen, mit ihrer Krankheit besser umzugehen.

Welche Botschaft möchten Sie Hausärzten mitgeben?

Das Wichtigste ist, zu verstehen, dass Depressionen eigenständige Erkrankungen des Gehirns sind und viel weniger eine Reaktion auf schwierige Lebensumstände. Zudem sollten Hausärzte bei Verdacht auf Depression wissen, wie sie die Kernsymptome einer Depression abfragen und rasch zu einer Diagnose kommen. Gefragt werden sollte nach gedrückter Stimmung, nach einer tiefsitzenden, alle Lebensbereiche ergreifenden Freudlosigkeit, nach einem permanenten Gefühl der Erschöpfung, nach Schlafstörungen, nach einer inneren Daueranspannung („Ich fühle mich permanent wie vor einer Prüfung“), nach Appetitmangel und Gewichtsverlust, Konzentrationsstörungen und vor allem auch nach Schuldgefühlen. Nie vergessen werden darf die Frage nach Hoffnungslosigkeit sowie Suizidgedanken und -impulsen. Liegen mehr als drei dieser Krankheitszeichen anhaltend über mindestens zwei Wochen vor, dann sind die Diagnosekriterien einer Depression erfüllt. Eine Depression ist gut behandelbar und darf ebenso wenig übersehen werden wie ein Diabetes mellitus.

Der Experte

Prof. Dr. med. Ulrich Hegerl
Vorstandsvorsitzender
Stiftung Deutsche Depressionshilfe

info@deutsche-depressionshilfe.de

Bildnachweis: Stefan Straube

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