- Anzeige -
Allgemeinmedizin

Chronisch-entzündliche Darmerkrankung

Individuelle Therapieanpassungen bei Colitis ulcerosa möglich

Dr. med. Yuri Sankawa

16.11.2021

Fortschritte beim Verständnis der Krankheitspathogenese und das wachsende therapeutische Arsenal erweitern den Handlungsspielraum bei Colitis ulcerosa seit zwei Dekaden erheblich. Doch welche Therapie ist für welchen Patienten am besten geeignet und welche Antworten liefert dazu die aktuelle „Living“-Leitlinie?

Wie bei Morbus Crohn ist auch bei einer Colitis ulcerosa (CU) von chronisch-rezidivierenden Verläufen auszugehen, die ein lebenslanges Patientenmanagement erforderlich machen. Das Verständnis der molekulare Krankheitsmechanismen hat bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen grundsätzlich zugenommen und in den vergangenen 20 Jahren die Einführung spezifischerer Therapieansätze, namentlich der Biologika sowie zuletzt auch der Small-Molecule-basierten Therapieoption mit Tofacitinib, ermöglicht [1]. Auch wenn die bislang verfügbaren Ansätze noch keine kausal wirksame Therapie bzw. Heilung erlauben, konnten die Therapieziele zunehmend ehrgeiziger formuliert werden – angefangen mit der klinischen Remission über das endoskopische Ansprechen und die Normalisierung der biochemischen Surrogatmarker für die Entzündungsaktivität bis hin zu histologischer oder transmuraler Heilung [2]. Ungefähr ein Drittel der Patienten mit Colitis ulcerosa, die bei Diagnosestellung eine vergleichsweise begrenzte Ausdehnung der Erkrankung aufweisen, entwickeln sich innerhalb der nächsten zehn Jahre progredient und etwa 10–15 % der Betroffenen sind im Verlauf auf eine Kolektomie angewiesen. Durch eine pharmakotherapeutisch induzierte Mukosaheilung kann das Risiko für eine chirurgische Intervention nachweislich gesenkt werden. Einem systematischen Literaturreview zufolge, das den Zeitraum 1935 bis 2016 berücksichtigte, haben sich die Langzeit-Kolektomieraten aber ­zuletzt nicht wesentlich verbessert [3].

Wie bei Morbus Crohn spielt auch bei der Colitis ulcerosa die steroidfreie Remission eine vorrangige Rolle: Die aktuelle S3-Leitlinie bezeichnet das rasche Erreichen einer klinischen Remission, den Erhalt einer langfristigen steroidfreien klinischen Remission sowie die endoskopische Remission als primäres Therapieziel [4]. Zudem betonen die Leitlinienautoren den Stellenwert einer individuell mit dem Patienten abgestimmten Vorgehensweise bei der Auswahl der potenziellen Therapieoptionen, die insbesondere auch zwischen ambulanten und stationären Rahmenbedingungen einer Therapie abwägt. Auch wird darauf hingewiesen, dass insbesondere beim individualisierten Einsatz von Biologika und JAK-Inhibitoren neben der Wirksamkeit noch viele andere Kofaktoren heranzuziehen sind, die sich auf die Therapiewahl auswirken – wie z. B. Komorbiditäten, Infektions-/Tumorrisiken oder potenzielle Wirksamkeitsverluste in der Langzeitanwendung.

Orientierungshilfe aus Network-Metaanalysen und H2H-Studien

Mit Blick auf die verfügbare Datenlage verzichtet auch die aktuelle Colitis-ulcerosa-Leitlinie auf eine Priorisierung zugunsten bestimmter Biologika. Auf die Existenz von Netzwerk-Metaanalysen wird aber hingewiesen. Da direkte Head-to-Head(H2H)-Studien zu TNF-Antikörper-Therapien fehlen, versuchen neuere Netzwerk-Metaanalysen durch indirekte Vergleiche prospektiver randomisierter Studien orientierende Rückschlüsse zu ziehen. Bei biologikanaiven CU-Patienten mit mäßiger bis schwerer aktiver Colitis ulcerosa könnte Infliximab die demnach effektivste Therapieoption für die Induktion einer klinischen und endoskopischen Remission darstellen, bei Patienten mit TNF-Inhibitor-Therapieversagen hingegen Ustekinumab und Tofacitinib [5,6]. Vedolizumab rangierte hinsichtlich der Sicherheit mit den niedrigsten Infektionsraten an vorderster Stelle, gefolgt von Ustekinumab [6]. Inzwischen wurden auch einige H2H-Studien zum Biologikavergleich auf den Weg gebracht, allen voran die VARSITY-Studie als erste publizierte H2H-Studie bei Colitis ulcerosa (Vedolizumab vs. Adalimumab). Die Ergebnisse legen nahe, dass eine Langzeittherapie mit Vedolizumab bei Anti-TNF-naiven Patienten gegenüber Adalimumab Vorteile hat [7]. Weitere H2H-Studien bei Colitis ulcerosa befinden sich noch in der Rekrutierungsphase (u. a. EFFICACI zu Vedolizumab vs. Infliximab, EXPEDITION zu Brazikumab vs. Vedolizumab) [8].

Unkomplizierte vs. komplizierte Erkrankung

Je nach Befallsmuster und klinischer Krankheits­aktivität kann die unkomplizierte Verlaufsform der Colitis ulcerosa bereits mit einer konventionellen Therapie hinreichend beherrscht werden, während sich die Behandlungsoptionen bei Therapieversagern unter konventioneller Therapie nochmals nach steroid­refraktären und -abhängigen Verläufen stratifizieren lassen. Als Standardtherapie bei unkomplizierten Verläufen gilt nach wie vor Mesalazin (5-ASA) in ­verschiedenen Applikationsformen. Bei fehlendem Ansprechen auf die rektale 5-ASA-Anwendung kommt die Kombination mit topischen Steroiden oder die orale Gabe von 5-ASA-freisetzenden Präparaten infrage (Empfehlung 3.6.). Bei der Frage, wann eine systemische Steroidtherapie bei gering- bis ­mäßiggradiger Colitis ulcerosa angezeigt ist, gibt es kein klar definiertes Kriterium. Hier hängt die Entscheidung vielmehr von Faktoren wie Ansprechen, Verträglichkeit sowie dem Therapiewunsch der Patienten und der Einschätzung der Behandler ab [4].

Die S3-Leitlinie empfiehlt seit 2020 neu, die remissionserhaltende Therapie mit 5-ASA bei gegebener Wirksamkeit mindestens zwei Jahre für den Remissionserhalt fortzuführen [5]. Alternativ – bei fehlender Evidenz für Unterschiede zwischen E. coli Nissle und 5-ASA in der Remissionserhaltung – wird jetzt auch die Therapie mit dem apathogenen E.-coli-Stamm Nissle empfohlen (Empfehlung 3.17).

Als kompliziert werden Verlaufsformen der Colitis ­ulcerosa eingestuft, die auf die konventionelle Behandlung nicht ansprechen. Für die Gruppe der Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Krankheitsaktivität, die unzureichend auf systemische Steroide ansprechen bzw. Kontraindikationen oder Unverträglichkeiten dagegen aufweisen, stehen TNF-Antikörper (Evidenzgrad 2, Empfehlungsgrad B), Tofacitinib (Evidenzgrad 2, Empfehlungsgrad B) und – seit 2020 neu berücksichtigt – Ustekinumab (Evidenzgrad 2, Empfehlungsgrad B) oder Ciclosporin A (Evidenzgrad 1, Empfehlungsgrad B) oder Tacrolimus (Evidenzgrad 2, Empfehlungsgrad B) zur Verfügung. Auch im Zuge der Empfehlungen zur Remissionserhaltung wurde Ustekinumab als Therapieoption neu ergänzt (Fortsetzung der Therapie bei Ansprechen, Evidenzgrad 2) [4]. Die Frage, wie lange die Remissionserhaltung mit Thiopurinen, Tofacitinib oder Biologika wie TNF-Inhibitoren, Vedolizumab oder Ustekinumab durchgeführt werden sollte, lässt sich nach derzeitigem Stand nicht seriös beantworten [4,5].

Blick in die Zukunft

Neben den bereits bekannten Wirkmechanismen werden derzeit auch einige neue Therapie-Targets zur Behandlung der Colitis ulcerosa erforscht (Abb.). In einem weit fortgeschrittenen klinischen Entwicklungsstadium befinden sich Ozanimod aus der Wirkstoffklasse der Sphingosin-1-Phosphat(S1P)-Rezeptor-Modulatoren sowie mit Upadacitinib ein weiterer Vertreter aus der Klasse der JAK-Inhibitoren. Ferner werden in den laufenden klinischen Studien Anti-Leukozyten-Integrine (z. B. Etrolizumab, Abrilumab), monoklonale Antikörper (z. B. Mirikizumab) oder der fäkale Mikrobiomtransfer als potenziell neue Therapieansätze untersucht [9].

Der niedermolekulare S1P-Rezeptor-Agonist bindet spezifisch an die S1P-Rezeptor-Subtypen 1 sowie 5 und soll im Unterschied zu Fingolimod die Rezeptor-Subtypen 3 und 4 nicht beeinflussen, was möglicherweise die Therapiesicherheit erhöht. In der TOUCHSTONE-Studie erreichten Ozanimod-behandelte Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Colitis ulcerosa höhere Mukosaheilungsraten als mit Placebo. Es wurden keine schweren unerwünschten Nebenwirkungen beobachtet. Der neuartige Wirkansatz – eine reversible Retention von Lymphozyten in lymphoiden Geweben – ließ sich auch an der reduzierten Zahl der peripheren Lymphozyten nachvollziehen [10].

Zum selektiven JAK1-Inhibitor Upadacitinib wurden Therapieeffekte sowohl bei Morbus Crohn (wenn auch der primäre Endpunkt einer Phase-II-Studie verfehlt wurde) [11] als auch bei Patienten mit Colitis ulcerosa berichtet – Letztere mit signifikanten Verbesserungen der endoskopischen sowie histologischen Outcomes [12].

DAS EXPERTENSTATEMENT

Prof. Dr. med. Wolfgang Fischbach
Vorsitzender GastroLiga
Lehrbeauftragter TH Aschaffenburg
em. Chefarzt Medizinische Klinik II
Klinikum Aschaffenburg

wuk.fischbach@gmail.com

Keine Heilung, aber ehrgeizige Therapieziele

Über Jahrzehnte hinweg standen für die Behandlung der Colitis ulcerosa nur Kortikosteroide und Mesalazin zur Verfügung. Später erweiterten Thiopurine (Azathioprin, 6-Mercaptopurin) das medikamentöse Spektrum. Seit Ende der 1990er-Jahre eröffneten eine Reihe von Biologika (z. B. Infliximab, Adalimumab, Golimumab, Ustekinumab, Vedolizumab) sowie small molecules (Tofacitinib) sehr viel mehr Therapieoptionen. Zwar ist eine Heilung der Colitis ulcerosa auch mit ihnen nicht möglich, aber Therapieziele wie die klinische steroidfreie Remission oder die endoskopische Remission können weitaus besser erreicht werden. Die aktuelle deutsche Leitlinie skizziert die verschiedenen klinischen Szenarien der Erkrankung und bietet eine Basis für eine zunehmend individualisierte Therapie der Colitis ulcerosa.

FAZIT:

Bei der Behandlung der aktiven Colitis ulcerosa sowie der Remissionserhaltung werden Therapiewahl, Dauer der Schub- und Erhaltungs­therapie individuell entschieden und mit dem Patienten abgestimmt – eine klare Rangfolge der Therapieoptionen ergibt sich aus der derzeitigen Studienlage nicht. Wichtig ist die zügige Behandlung der entzündlichen Aktivität mit Erreichen einer klinischen Remission sowie der nach Möglichkeit auch langfristigen steroid­freien klinischen wie endoskopischen Remission – unter Minimierung der therapiebegleitenden Toxizitäten. Das Spektrum der therapeutischen Möglichkeiten wird kontinuierlich um neue Therapie-Targets erweitert, womit sich auch die Aussichten auf eine individualisierte Therapie weiter verbessern dürften.

1 Macaluso FS et al., Ther Adv Gastroenterol 2021; 14: 1–11
2 Tuner D et al., Gastroenterology 2021; 160: 1570–1583
3 Fumery M et al., Clin Gastroentero Gepatol 2018; 16: 343–356
4 Kucharzik T et al., Z Gastroenterol 2020; 58: 241–326
5 Kucharzik T et al., Z Gastroenterol 2020; 58: 1209–1232
6 Singh S et al., Clin Gastroenterol Hepatol 2020; 18: 2179–2191
7 Sands BE et al., N Engl J Med 2019; 381: 1215–1226
8 Macaluso FS et al., Ther Adv Gastroenterol 2021; 14: 1–11
9 Segal JP et al., Clin Med (Lond) 2021; 21: 135–139
10 Feagan B et al., Am J Gastroenterol 2018; 113: S3
11 Rogler GJ, Crohns Colitis 2019; 12: 347–354
12 Sandborn W et al., United Eur Gastroenterol 2018; 6 (Suppl. 1): A74–75

Lesen Sie mehr und loggen Sie sich jetzt mit Ihrem DocCheck-Daten ein.
Der weitere Inhalt ist Fachkreisen vorbehalten. Bitte authentifizieren Sie sich mittels DocCheck.
- Anzeige -

Das könnte Sie auch interessieren

123-nicht-eingeloggt