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Allgemeinmedizin

Chronische metabolische Azidose verschlechtert Elastizität der Blutgefäße

Erhöhtes kardiovaskuläres Risiko

Dr. med. Dr. Public Health Herbert Stradtmann

Eine chronische metabolische Azidose (cmA) kann die arterielle Gefäßsteife verstärken, so die Ergebnisse einer 2019 publizierten Studie. Demzufolge käme auch Kardiologen die Aufgabe zu, auf eine cmA bei ihren Patienten zu achten und rechtzeitig therapeutische Maßnahmen zum Ausgleich eines Bicarbonatmangels einzuleiten.

Mit zunehmenden Lebensjahren nimmt auch die Gefäßalterung zu und somit die Veränderungen der arteriellen Gefäßstruktur – vor allem im Bereich der Intima und Media. Auch die funktionellen Organreserven, wie die der Nieren, nehmen ab. Zudem leiden etwa 50 % der über 65-Jährigen an drei, 20 % sogar an bis zu fünf Erkrankungen. Meist sind das Hypertonie, Diabetes mellitus, Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen sowie Karzinome. Ältere Menschen sind regelrecht „verkrankt“ [1]. Nicht zufällig zählte man im Zuge der COVID-19-Pandemie daher alte Menschen zur besonders gefährdeten Gruppe.

Messung der arteriellen Gefäßsteife

Zur Ermittlung der arteriellen Gefäßsteife eignet sich als physiologisches Standardverfahren die Messung der oszillometrischen Pulswellengeschwindigkeit (pulse wave velocity, PWV). Das ist die Transitzeit der durch die Herzkontraktion erzeugten ­Druckwelle zwischen zwei Messpunkten. Den Leitlinien entsprechend gilt sie als eine prädiktive Größe für das ­kardiovaskuläre Risiko [2]. Die „arterielle Gefäßsteife“ (arterial stiffness) ist der Oberbegriff für die strukturellen und funktionellen Eigenschaften des arteriellen Gefäßsystems. Ältere Ausdrücke sind: Arteriosklerose (als Mediaerkrankung) und Gefäßrigidität. Allgemein spricht man von Arteriosklerose bzw. Gefäßverkalkung. Das Gegenteil wird mit Gefäßcompliance oder Gefäßelastizität ­bezeichnet.

Ist die Gefäßsteife erhöht, steigt die PWV an. Das Maß für die Aortensteife (zentrale Steife) ist die Carotis-femoralis-PWV (cfPWV). Die baPWV (­brachial-ankle-PWV, gemessen an A. brachialis und A. tibialis posterior) ist die Arm-Knöchel-PWV, die den Grad der peripheren arteriellen Gefäßsteife ­erfasst. Eine Pulswellengeschwindigkeit über 10 m/sec (1 000 cm/sec) spricht für ein erhöhtes ­kardiovaskuläres Risiko [1].

Für die PWV-Messung gelten die Regeln der idealen Blutdruckmessung. Jede Blutdruckänderung führt zu einer Änderung der Gefäßsteifigkeitsparameter. So erfordert die Gefäßsteifigkeitsmessung mittels Pulswellenanalyse das Aufsuchen und genaue Aufzeichnen der Druckänderung innerhalb eines Pulsschlags über eine, je nach Gerät, unterschiedliche Dauer. ­Daher müssen stabile, ruhige, für Patienten angenehme Bedingungen herrschen. Demografische und somatische Parameter, z. B. die Rumpflänge, gehen in die Messung mit ein.

Chronische Niereninsuffizienz und cmA

Kommen zur altersbedingt nachlassenden Organfunktion der Nieren noch Diabetes mellitus und Hypertonie hinzu, kann es zur chronischen Niereninsuffizienz (Chronic Kidney Disease, CKD) kommen. Die Nieren scheiden nur noch vermindert Säuren aus und gewinnen zu wenig Bicarbonat zum systemischen Säureausgleich zurück. Der Normbereich für Bicarbonat liegt bei 22–26 mmol/l; bei fortschreitendem Nierenfunktionsverlust ist dann eine cmA mit Serum-Bicarbonat-Werten unter 22 mmol/l besonders häufig. Die Prävalenz liegt in den Vordialysestadien „CKD-Stadium 3“ bei 13 % und im „CKD-Stadium 4“ bei bis zu 37 %. ­Unbehandelt ­fördert die cmA ihrerseits das Fortschreiten der CKD bis zum Stadium 5 (Dialysepflichtigkeit). Auch ist die cmA mit chronischen Entzündungen, Muskel­proteinabbau, Osteoporose, gestörter Glucose- und gestörter Albuminsynthese sowie Störungen im Schilddrüsenstoffwechsel assoziiert – und offenbar auch mit der Progression der arteriellen Gefäß­steife, wie Kim et al. in ihrer 2019 publizierten Studie nachweisen konnten [3]. Als cmA werteten sie dabei einen anhaltenden Bicarbonatwert unter 22 mmol/l. Die Therapie der cmA wird folglich zu einem Muss.

Oraler Ausgleich des Bicarbonatmangels

Zum Aufdecken der cmA dient die Blutgasanalyse (BGA) mit Bestimmung des Bicarbonat- und des pH-Wertes im Blut. Der Blut-pH-Wert allein hat keine ausreichende Aussagekraft für den Schweregrad einer cmA. In den auch von der Deutschen Gesellschaft für ­Nephrologie (DGfN) authorisierten KDIGO(Kidney ­Disease: Improving Global Outcomes)-Leitlinien wird empfohlen, den Bicarbonatspiegel bei cmA durch Gabe von oralem Bicarbonat in den Normbereich anzuheben [4]. Es empfiehlt sich dabei eine initiale Bicarbonatgabe über vier Tage. Die Menge errechnet sich aus dem aktuellen und dem angestrebten Bicarbonatspiegel [5] wie folgt: Dosis in g = (Zielwert − aktueller Wert [mmol/l]) × Körpergewicht [kg] × 0,042. Zwei bis drei Gramm Natriumbicarbonat täglich oral im Anschluss daran wirken effektiv, um die Puffer­reserven regelmäßig zu ergänzen. Die magensaftresistente Formulierung ist dabei ausschlaggebend für eine gute Wirksamkeit und den Therapieerfolg [6]. Die BGA dient der Therapiekontrolle durch Bestimmung des Serum-Bicarbonat-Spiegels und dessen Abweichung vom Normwert (Base excess). BGA-Geräte befinden sich in allen Dialyseeinrichtungen [7]. Wichtig: Eine Überkompensation ist zu vermeiden!

Die chronische metabolische Azidose (cmA) beschleunigt die Progression kardiovaskulärer Veränderungen, weil sie die Gefäßelastizität negativ beeinflusst. Die cmA und der therapeutische Ausgleich eines erniedrigten Bicarbonatspiegels mit oralem Natriumbicarbonat in magensaftresistenter Form verdienen somit auch Beachtung von Seiten des kardiologischen Fachbereichs.

Der Autor

Dr. med. Dr. PH Herbert Stradtmann
Arzt für Innere Medizin/Nephrologie,
Hypertensiologe-DHL® und ­Rehabilitationswesen
Im Wölftegrund 27
34537 Bad Wildungen

Literatur beim Autor

Bildnachweis: privat

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