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Allgemeinmedizin

Antibiotikaresistenzen

Nicht nur negative Trends bei der Nutzung von Antibiotika zu verzeichnen

Dr. med. Yuri Sankawa

23.9.2022

Als ausgemachter Treiber der Resistenzentwicklung gegen Antibiotika gilt ein breiter und nicht indikations­gerechter Einsatz von Antibiotika. Immerhin: Im Zuge der allgemeinen Hygienevorschriften während der COVID-19-Pandemie werden bei der Resistenzentwicklung auch rückläufige Trends verzeichnet.

 Ende 2017 führte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine Unterteilung der Antibiotika ein (AWaRe), der zufolge zwischen „Access-“, „Watch-“ und „Reserve­antibiotika“ unterschieden wird. Access-Antibiotika sollen aufgrund eines engen Wirkspektrums weniger zur Resistenzentwicklung beitragen, Antibiotika der Watch-Kategorie ein höheres Potenzial zur Resistenzbildung aufweisen und Reserveantibiotika nur als letzte Therapieoption infrage kommen, da sie noch gegen multiresistente oder überwiegend resistente Erreger wirksam sind. Die Einteilung der WHO soll den Verordnenden Orientierung bei der Auswahl des Antibiotikums bieten.

Die WHO gab als Ziel aus, dass mindestens 60 % des landesspezifischen Antibiotikagebrauchs weltweit bis 2023 auf die Kategorie Access entfallen soll. Dem aktuellen Report der ECDC (European Centre for Dis­ease Prevention and Control)/WHO zufolge hat aber bislang nur ein Land aus dem europäischen Netzwerk „Europe Antimicrobial Medicines Consumption Network“ zwischen 2014 und 2018 für jedes Jahr die erfolgreiche Einhaltung dieser Quote an die WHO berichten können.

Reserveantibiotika

Derzeit umfasst die WHO-Liste zur Kategorie der ­Reserveantibiotika insgesamt 29 Präparate/Kombinationen, die nur als letzte Option und bei Versagen aller anderen Alternativen eingesetzt werden sollen. Dazu gehören: • Aztreonam • Carumonam • Cefiderocol* • Ceftarolinfosamil • Ceftazidim/Avibactam* • Ceftobiprol-Medocaril • Ceftolozan/Tazobactam • Colistin i. v.* • Colistin oral • Dalbavancin • Dalfopristin/Quinupristin • Daptomycin • Eravacyclin • Faropenem • Fosfomycin i. v.* • Iclaprim • Imipenem/Cilas­tatin/Relebactam • Lefamulin • Linezolid* • Meropenem/Vaborbactam* • Minocyclin i. v. • Omadacyclin • Oritavancin • Plazomicin* • Polymyxin B i. v.* • Polymyxin B oral • Tedizolid • Telavancin • Tigecyclin.

Erklärte Reserveantibiotika sollen im Zuge von Stewardship-Programmen adressiert und thematisiert werden, damit ihr Verbrauch überwacht wird und ihre Wirksamkeit so lange wie möglich erhalten bleibt. In Deutschland zählen hierzu auch Programme zur Aus- und Weiterbildung von Fachpersonal, das sich auf den rationalen und strategischen Einsatz von Antibiotika sowie den optimalen Umgang mit Resistenzen versteht.

Weniger verordnet als gedacht

Etwa 2.400 Todesfälle werden pro Jahr in Deutschland auf eine Infektion mit einem multiresistenten Erreger zurückgeführt. Als besonders kritisch für die Resistenzentwicklung gilt ein hoher Antibiotikaverbrauch im ambulanten Sektor. Viele der Aktions­pläne und Maßnahmen zur Reduktion des Antibiotikaeinsatzes konzentrierten sich daher zuletzt auf diesen Bereich. Im bislang aktuellsten, publizierten Bericht zu Antibiotika-Verordnungsdaten konnte bei den Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) im Zeitraum 2010–2018 ein Rückgang der ambulanten Verordnungsrate systemischer Antibiotika um insgesamt 21 % beobachtet werden. Dabei variierte die Verordnungsrate regional um den Faktor 1,8. Nach Auswertungen der Techniker Krankenkasse (TK) wurden zudem während der COVID-19-Pandemie „deutlich weniger Antibiotika verschrieben als zuvor“ – mit einem Rückgang um 30 % in 2020 vs. 2019.

Bei Antibiotikaverordnungen anlässlich von Erkältungskrankheiten wird der rückläufige Trend schon seit Längerem beobachtet: Im Gesundheitsreport 2022 stellt die TK fest, dass nur noch 20,7 % der erwerbstätigen Versicherten in 2019 bzw. pandemiebedingt nur noch 14,3 % in 2020 und 12,8 % in 2021 wegen einer Erkältung ein Antibiotika-basiertes ­Rezept erhalten haben. Zum Vergleich: Im Jahr 2010 wurde noch bei 4 von 10 Versicherten bei einer ­Erkältungsdiagnose ein Antibiotikum verschrieben.

In den vergangenen fünf Jahren zeichneten sich im Antibiotika-Resistenz-Surveillance (ARS) des Robert Koch-Instituts (RKI) sinkende Antibiotikaresistenzen ab, wenn auch nicht für den Vancomycin-resistenten Enterococcus faecium (VRE).

Einsatz in der Landwirtschaft

Der genaue Anteil, den der Einsatz von Reserveantibiotika in der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung an der Resistenzentwicklung beim Menschen hat, ist ungeklärt. Die Bundesärztekammer (BÄK) sprach sich aber erst kürzlich dafür aus, Reserveantibiotika ausschließlich beim Menschen einzusetzen. Allein in Deutschland wurden in 2019 in der Tiermedizin ca. 670 Tonnen Antibiotika eingesetzt, davon knapp 90 % zur Gruppenbehandlung von Tieren und nur 12 % zur individuellen Behandlung. Aus Sicht der BÄK reichen die derzeitigen ­Kriterien, die im neuen EU-Tierarzneimittelgesetz zur Begrenzung von Antibiotikaeinsätzen in der ­Tierhaltung verankert wurden, nicht aus, um Reserve­antibiotika vor dem Wirkverlust beim Menschen zu bewahren. Die Veterinär­medizinerschaft wiederum wehrt sich bislang gegen Wirkstoffverbote in der Tierhaltung. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft hat kürzlich Fördermaß­nahmen aufgelegt, die in der Geflügelhaltung zu einer Begrenzung des Antibiotikaeinsatzes auf ein „therapeutisch notwendiges Maß“ führen sollen: Insbesondere in der Geflügelhaltung (Masthühner und Mastputen) zeigte sich der Antibiotikaverbrauch zuletzt kaum verringert. Der Anteil der Reserveantibiotika bei der Verbrauchsmenge wird mit etwa 50 % angegeben (bei Schweinen und Rindern ­inzwischen < 10 %).

Vorteile durch Reservestatus

Seit April 2021 können Pharmaunternehmen von der Dossierpflicht befreit werden, wenn es sich bei einem neuen Arzneimittel um ein Reserveantibiotikum ­handelt. Im Oktober 2021 hat der Gemeinsame ­Bundesausschuss (G-BA) erstmalig den Reservestatus für ein Antibiotikum festgestellt (Reserveantibiotikum im Sinne von § 35a SGB V), gefolgt von drei weiteren Einstufungen als Reserveantibiotika im Januar 2022. Damit legt der G-BA fest, dass diese Arzneimittel ­privilegiert behandelt werden und die umfangreiche Prüfung des Zusatznutzens im Verhältnis zu einer Vergleichstherapie entfällt. Das RKI hatte im Januar 2021 eine erste Liste von multiresistenten bakteriellen Krankheitserregern (MRE) vorgelegt sowie Kriterien zur Einstufung eines neu zugelassenen Antibiotikums als Reserveantibiotikum entwickelt.

* parallel auch auf der WHO-Liste der unentbehrlichen Medikamente (EML) gelistet (Stand: 2021)
Literatur bei der Autorin

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