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Gynäkologie

Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie

Adipositas und die Rolle von Leptin und Inkretinmimetika

Dr. rer. nat. Reinhard Merz

22.10.2021

Patientinnen mit Adipositas werden nach wie vor unzulänglich behandelt. Das wurde auch im Zuge der Hormonwoche wieder klar. Dabei gibt es mit Inkretinmimetika aktuell schon Optionen für eine medikamentöse Therapie, langfristig werden auch Modulatoren des Leptin-Metabolismus dazukommen.

Laut Robert Koch-Institut sind zwei Drittel der Männer (67 %) und die Hälfte der Frauen (53 %) in Deutschland übergewichtig (BMI ≥ 25), knapp ein Viertel der Erwachsenen ist adipös (BMI ≥ 30). Adipositas ist mit Komplikationen wie Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und nicht alkoholischer Fettlebererkrankung verbunden – und sie vermindert die Lebenserwartung.

Wurden Übergewicht und Adipositas früher als individuelles Versagen des Einzelnen gewertet und entsprechend stigmatisiert, sind Übergewicht und Adipositas heute als eigenständige Erkrankungen anerkannt. Diese Erkenntnis mündet in die aktuelle Entwicklung eines Disease Management Programms (DMP) „Adipositas“ zur besseren Versorgung von Menschen mit Übergewicht und Adipositas in Deutschland.

Während Ernährungs- und Bewegungstherapie meist wenig effektiv und wenig lang anhaltend sind, ist die bariatrische Chirurgie durch beeindruckende Effekte stärker in den Behandlungsfokus getreten. Allerdings führt sie in Deutschland – im Gegensatz zu vielen Nachbarländern – eher ein Mauerblümchendasein. Zwischen diesen beiden Polen bieten sich medikamentöse Behandlungsoptionen an, aber auch hier ist in der deutschen Versorgungslandschaft noch viel Luft nach oben.

Medikamentöse Adipositastherapie heute

In der Vergangenheit wurden sie aufgrund geringer Effektivität und hoher Nebenwirkungsrate wenig eingesetzt, wie Prof. Dr. med. Jochen Seufert (Freiburg) ausführte. Doch das hat sich grundlegend geändert. Neue hormonwirksame Medikamente auf Basis von Inkretinmimetika, so Prof. Seufert weiter, bieten heute aufgrund hoher Effektivität und guter Langzeitverträglichkeit echte medikamentöse Thera­pieoptionen für Menschen mit Übergewicht und Adipositas.

Diese vom Darmhormon Glucagon-like Peptide 1 (GLP-1) abgeleitete Wirkstoffgruppe wurde zunächst für die Behandlung des Diabetes mellitus Typ 2 eingesetzt. Die GLP-1-Rezeptor­agonisten senken aber nicht nur den Blutzucker bei Typ-2-Dia­­betes, sondern führen durch Wirkung am Sättigungszentrum im Gehirn und durch Wirkung am Magen-Darm-Trakt auch zu einer substanziellen Gewichtsreduktion. Diese Effekte wurden auch bei übergewichtigen und adipösen Menschen ohne Typ-2-Diabetes beobachtet, und eine höhere Dosierung dieser Medika­mente führt dabei zu einem noch größeren Gewichtsverlust.

Bislang ist in Deutschland aus dieser Medikamentengruppe der GLP-1-Rezeptoragonist Liraglutid (Saxenda®) in einer Dosis bis zu 3 mg pro Tag als Subkutanspritze zugelassen. Die Wirksamkeit und Sicherheit von Liraglutid für die Gewichtsregulierung in Verbindung mit einer verminderten Kalorienzufuhr und verstärkter körperlicher Aktivität wurden in vier randomisierten, doppelblinden, placebokon­trollierten Phase-III-Studien mit mehr als 5 000 Patienten untersucht. Dabei konnten Gewichtsreduk­tionen zwischen 5 und 10 % über Behandlungszeiträume von ein bis drei Jahren erreicht werden, assoziiert mit deutlicher Verbesserung von Parametern des metabolischen Syndroms.

Medikamentöse Optionen der Zukunft

Neuere Ansätze zur Verbesserung von Inkretin­mimetika mit noch stärkerer Wirksamkeit auf das Körpergewicht sind Inkretin-Co-Agonisten. Diese Moleküle aktivieren gleichzeitig mehrere Rezeptoren von Inkretinhormonen wie GLP-1, GIP und auch Glukagon. Erste Vertreter dieser neuen Medikamenten­klasse zeigen beeindruckende Gewichtsreduktionen von bis zu 20 % des Körpergewichts innerhalb eines Jahres mit vergleichsweiser guter Verträglichkeit. So starke Gewichtsreduktionen sind bislang nur durch bariatrische Operationen zu erzielen gewesen. Von neuen Triple-Agonisten sind ggf. sogar noch größere Gewichtsreduktionen zu erwarten. „Leider ist es aktuell so, dass die Medikamente zur Gewichts­reduktion nur auf individuellen Antrag mit medizinischer Begründung von den Krankenkassen erstattet werden, ansonsten müssen die Kosten von den Patientinnen und Patienten selbst getragen werden. Das limitiert den breiten Einsatz dieser neuen Behandlungsoption”, schloss Prof. Seufert seinen Vortrag. Seine Hoffnung ist es, dass das kommende DMP hier Veränderungen bringt.

Leptin als Schlüsselfaktor

Leptin ist ein Eiweißhormon, das im Fettgewebe gebildet wird. Es wird in der Blutbahn vom Fettgewebe zum Gehirn transportiert und wirkt dort auf alle hormonellen Regulationszentren. Ist bei mangelnder Ernährung zu wenig Leptin vorhanden, wird dem Gehirn das Signal gegeben, dass der Körper zu wenig Energie hat. Prof. Dr. med. Martin Wabitsch (Ulm) erklärte die physiologischen Folgen so:

• Die Körpertemperatur wird nach unten reguliert.
• Der Energieumsatz wird verringert.
• Es wird mit spontaner körperlicher Bewegung gespart.
• Das Höhenwachstum wird verlangsamt.
• Die Pubertätsentwicklung wird ausgesetzt.
• Die Fertilität wird blockiert.

Dies alles sind physiologische Anpassungen, die nur einem einzigen Ziel dienen: Energie sparen. In der Folge entsteht ein sehr starkes Hungergefühl und die betroffene Person unternimmt alles, damit dem Körper möglichst bald wieder Energie zugeführt wird. Nachdem Leptin vor 25 Jahren entdeckt wurde, konnte nach und nach der Mechanismus der hormonellen Regulation des Körpergewichts aufgeklärt werden.

Eine extreme Adipositas, die schon bei Kindern im frühen Lebensalter auftreten kann, ist daher kein Eigenverschulden, sondern das Ergebnis einer Fehlregulation des Hungers. Die allermeisten Menschen – Kinder und Erwachsene – mit Adipositas haben aber keinen erniedrigten Leptinspiegel, sondern ganz im Gegenteil einen relativ hohen. Bei ihnen wirkt das Leptin nicht mehr so, wie es soll. Es liegt eine Leptinresistenz vor.

Prof. Wabitsch hat daher eine ganz klare Handlungsempfehlung: „Wie bei anderen chronischen Erkrankungen ist auch bei Adipositas eine lebenslange Behandlung erforderlich. Auf ­Basis wissenschaftlicher Leitlinien sollten ganzheitlich, stadiengerecht und individuell abgestimmt, konservative, pharmakologische und chirurgische Therapieansätze zum Einsatz kommen.”

Online-Pressekonferenz anlässlich der 6. Deutschen Hormon­woche der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) e. V., September 2021

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