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Gynäkologie

Adipositas und Fertilität

Die Patientinnen mit klarer Kommunikation unterstützen

Dr. rer. nat. Reinhard Merz

11.2.2023

Der WHO European Regional Obesity Report 2022 schlägt Alarm: Übergewicht und Adipositas betreffen 60 % der Erwachsenen in Europa und fast jedes dritte Kind im schulpflichtigen Alter. Eine Herausforderung für jede Frauenarztpraxis, der man mit klarer Kommunikation und einem Stufenplan begegnen sollte.

Schon seit Jahrzehnten warnen Epidemiologen vor der großen Adipositas-Pandemie und der im letzten Sommer vorgestellte WHO European Regional Obesity Report 2022 hat das noch einmal in aller Deutlichkeit klargemacht. Demnach betreffen Übergewicht und Adipositas 60 % der Erwachsenen in Europa und fast jedes dritte Kind im schulpflichtigen Alter.

Düster auch der weitere Blick in die Zukunft: Keins der Länder Europas ist demnach auf dem Weg, das 2013 gesetzte Ziel zu erreichen, den Anstieg der Adipositas bis 2025 zu stoppen. Im Gegenteil. Vor allem die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie haben die Prävalenz der Adipositas noch weiter in die falsche Richtung verschoben.

Alarmierend für die Frauenarztpraxis: Die Prävalenz von Übergewicht und Adipositas steigt auch bei ­Frauen im reproduktiven Alter kontinuierlich an. Und viele leiden bereits am polyzystischen Ovarsyndrom (PCOS). Die damit einhergehende Hyper­androge­nämie führt zu einer Störung der gonadalen Achse, dadurch wird die Follikelreifungsstörung verstärkt. Patientinnen mit einem PCOS haben daher häufig eine eingeschränkte Fertilität. Die werden nicht schwanger – und klappt es dann doch, sind sie ­Risikopatientinnen (siehe Kasten).

Offensichtliches nicht ignorieren

Deshalb ist es wichtig, das Thema bei jeder übergewichtigen Frau mit Kinderwunsch aktiv anzusprechen. Nur wenige werden das Ansprechen einer sichtbar bestehenden Adipositas als übergriffig erleben. Dadurch ist es vielmehr möglich, Hürden auf Seite der Patientin – die fast immer bestehen – abzubauen. Frauenärzte sollten das Thema Gewichtsreduktion mit Patientinnen im fertilen Alter aktiv ansprechen und auch mögliche Lösungsansätze anbieten. Ein engmaschiger Kontakt zur Patientin sollte sie zur Lebensstiländerung motivieren und grundsätzlich auch den Partner mit einbeziehen.

Der Kinderwunsch ist für viele Patientinnen die größte Motivation, längst überfällige und vielleicht schon oft geplante Lebensstilveränderungen anzugehen. Die vorliegenden Studien lassen den Rückschluss zu, dass ein Lebensstil mit vermehrter Bewegung und adäquater Ernährung präkonzeptionell positive Auswirkungen sowohl auf die Schwangerschaft als auch auf die Entbindung und die Zeit danach haben kann – letztlich auf das gesamte Leben des Kindes.

Individuelle Beratung ist für den nachhaltigen Erfolg wichtig und sollte auch psychosoziale Aspekte berücksichtigen. Eine praktikable Beratungsstrategie ist das 5A-Konzept, benannt nach den englischen Begriffen für die einzelnen Stufen:

  • „Assess” – das Abfragen des Status
  • „Advise” – die Beratung zu möglichen Wegen, den Lebensstil zu ändern
  • „Agree” – das Ansprechen der Bereitschaft, endlich mit der Umstellung zu beginnen
  • „Assist” – das Assistieren bei der Umstellung.
    Sobald die Patientin ernsthaft mit der Umstellung beginnen möchte, braucht sie Unterstützung. Das können Kopien von Veröffentlichungen sein, Adressen von Selbsthilfegruppen oder Hinweise auf die Angebote der Krankenversicherungen.
  • „Arrange” – das Arrangieren der Nachbetreuung
    Die Beratung zur Ernährung sollte generell eingebettet sein in ein Gesamtkonzept und mit regelmäßiger körperlicher Bewegung kombiniert sein. Ziel ist es dabei, die einzelnen Schritte möglichst ressourcenschonend umzusetzen. Es müssen also nicht alle Schritte in der Praxis umgesetzt werden, bei Bedarf sollte die Teilnahme an einer strukturierten Schulung bzw. Beratung (Einzel- oder Gruppenberatung) empfohlen werden.

Wenn durch Änderung der Ernährung und Bewegung keine ausreichende Gewichtsreduktion erreicht werden kann, sollen laut der S3-Leitlinie „Adipositas: ­Prävention und Therapie“ Medikamente zum Einsatz kommen, darunter Liraglutid (Saxenda®) und Semaglutid (Wegovy®). Die ­Liraglutid-Zulassung besteht für die Anwendung bei einem BMI über 30 kg/m2 oder einem BMI über 27 kg/m2 mit einer gewichtsassoziierten Komorbi­dität wie Prädiabetes oder arterielle Hypertonie. ­Semaglutid wird in Deutschland und Österreich voraus­sichtlich ab Mitte 2023 für die Indikation der Gewichtsreduktion erhältlich sein. Bariatrische ­Operationen kommen wegen des extrem hohen ­Aufwands nur in Einzelfällen in ­Betracht.


Der Zusammenhang zwischen maternaler Adipo­sitas und schweren fetomaternalen Schwangerschaftskomplikationen ist schon lange bekannt [1], und das individuelle Risiko steigt mit der Zunahme des maternalen BMI. Eine 10%ige Differenz des prägraviden BMI ist mit einer mindestens ebenfalls 10%igen relativen Risikoveränderung für Präeklampsie bzw. Gestationsdiabetes verbunden [2].

Eine aktuelle Studie aus Korea mit fast 3 500 Erstgebärenden hat das jetzt noch einmal bestätigt [3]. Eine Adipositas vor der Schwangerschaft erhöhte im Vergleich zu normalgewichtigen Frauen das gesundheitliche Risiko während der Schwangerschaft und bei der Geburt global um das 2,5-Fache. Das Risiko für hypertone Komplikationen war 5,5-fach, für einen Schwangerschaftsdiabetes 3,7-fach, für einen Kaiserschnitt 1,7-fach und für eine depressive Stimmung 1,3-fach erhöht. Die Wahrscheinlichkeit, ein Kind mit zu hohem Gewicht zu gebären, war 2,5-fach gesteigert.

Frauen, die vor der Schwangerschaft übergewichtig waren, nahmen während der Schwangerschaft mehr an Gewicht zu und hatten dreimal häufiger Schwangerschaftskomplikationen als Frauen mit präkonzeptionellem Normalgewicht und adäquater Gewichtszunahme [4].

Gewichtsreduktion ist eine zentrale Interventionsmöglichkeit zur Verbesserung der Fertilität und anschließend zur Vermeidung perinataler Komplikationen. Dass man zusätzlich eine Generation von Kindern vor schweren metabolischen Belastungen schützen kann, sollte Motivation und Verpflichtung gleichzeitig sein.

1 Sebire NJ et al., Int J Obes Relat Metab Disord 2001; 25: 1175–1182
2 Schummers L et al., Obstet Gynecol 2015; 125: 133–143
3 Choi H et al., Int J Obes 2022; 46: 59–67
4 S3-Leitlinie Adipositas und Schwangerschaft, AWMF 2020; Reg.-Nr. 015-081

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