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Allgemeinmedizin

Übergewicht senkt Bicarbonat

Werden dadurch Herz und Nieren geschädigt?

Dr. med. Peter Stiefelhagen

1.4.2022

Eine große Kohortenstudie ergab, dass bei übergewichtigen Personen der Bicarbonatspiegel auch dann sinkt, wenn keine chronische Niereninsuffizienz vorliegt. Dabei zeigte sich eine Dosis-Wirkungs-Beziehung dahingehend, dass der Bicarbonatspiegel mit dem Übergewicht invers korrelierte.

Die metabolische Azidose ist eine häufige Komplikation einer chronischen Niereninsuffizienz (CKD). Sie führt zu einem verstärkten Abbau von Skelettmuskelproteinen, zu einer Muskelschwäche, funktionellen Beeinträchtigungen und einem vermehrten Knochenabbau. Darüber hinaus nimmt auch die kardiorespiratorische Fitness ab und die Manifestation eines Typ-2-Diabetes wird begünstigt. Aber auch unabhängig vom Vorliegen einer CKD schädigt ein Mangel an Bicarbonat die Nierenfunktion, mit anderen Worten, die metabolische Azidose ist ein Risikofaktor für die Manifestation einer CKD und auch für Mortalität. Diese negativen Auswirkungen einer Säureüberladung des Körpers treten auch dann schon auf, wenn noch keine manifeste Azidose vorliegt. In randomisierten Studien konnte gezeigt ­werden, dass eine Substitution mit Bicarbonat den Verlust an Nierenfunktion bremst und die physische bzw. motorische Funktionalität verbessert, und zwar auch dann, wenn noch keine Azidose in der Blutgasanalyse nachweisbar ist. Deshalb gilt es, entsprechende Risikogruppen zu identifizieren, ­die von einer Bicarbonatsubstitution profitieren, selbst wenn noch keine Azidose besteht. Dazu ­gehören Patienten mit Übergewicht; denn bei Personen mit einem erhöhten Body-Mass-Index (BMI) finden sich nicht selten Störungen des Säure-Basen-Haushalts, was mit einer geringeren Abnahme der Citrat-Ausscheidung im Urin einhergeht. Doch die Datenlage zu diesem Thema war bisher mager.

In einer großen multiethnischen Kohortenstudie wurde jetzt der Frage nachgegangen, ob ein erhöhter BMI mit niedrigen Bicarbonatspiegeln assoziiert ist bzw. ob Adipositas einen Risikofaktor darstellt für erniedrigte Bicarbonatspiegel, und zwar bei Personen ohne eine CKD. Ausgewertet wurden die Daten von ca. 100 000 erwachsenen Personen. Bei ihnen sollte der BMI zwischen 25 und 60 kg/m2 und der Bicarbonatspiegel zwischen 15 und 40 mEq/l liegen. Als Referenzgruppe dienten Probanden mit einem BMI 18,5 bis 24 kg/m2. Das mediane Follow-up betrug 4,4 Jahre. Dabei wurden im Median acht Bicarbonat-Bestimmungen durchgeführt. Das Durchschnittsalter betrug 50 Jahre, wobei der Anteil der Frauen bei 64 % lag. Insgesamt entwickelten 36 % einen niedrigen Bicarbonatspiegel. Je höher der BMI, umso schneller und stärker entwickelte sich eine Abnahme des Bicarbonatspiegels. Doch bei Probanden mit dem höchsten BMI schwächte sich der Abfall des Bicarbonats etwas ab, im Sinne einer J-Kurve. Im Vergleich mit der Kontrollgruppe war die Inzidenz für einen niedrigen Bicarbonatspiegel in der Gruppe mit einem BMI von 25 bis ≤ 30 kg/m2 mit einer HR von 1,10 erhöht, in der Gruppe mit einem BMI von 30 bis ≤ 35 kg/m2 mit einer HR 1,16, in der Gruppe mit einem BMI von 35 bis ≤ 40 kg/m2 mit einer HR 1,20 und in der Gruppe mit einem BMI von ≥ 40 kg/m2 mit einer HR von 1,15. Somit war das Risiko für eine Abnahme des Bicarbonats bei stark Übergewichtigen im Vergleich zu Normgewichtigen um etwa 20 % erhöht. Auch nach Adjustierung an die Harnstoffwerte und Ausschluss der Patienten mit Diabetes, Hypertonie und einer GFR < 60 ml/min/1,73m2 waren die Ergebnisse vergleichbar [1].

Verminderte Säuren-Exkretion

Diese Daten belegen, dass Obesitas bei Nierengesunden einen zu wenig berücksichtigten Risikofaktor für niedrige Bicarbonatspiegel darstellt. Doch wie lassen sich diese Zusammenhänge pathophysiologisch erklären? Unwahrscheinlich ist, dass die Niere die durch eine Hyperventilation induzierte Alkalose metabolisch kompensiert. Vielmehr dürfte es sich primär um eine metabolische Azidose handeln, d. h. es dürfte bei übergewichtigen Personen die renale Säuren-Exkretion gestört bzw. vermindert sein, im Sinne einer metabolischen Dysfunktion. Diese Störung korreliert mit der Insulinresistenz. Die Säuren-Retention induziert eine Kompensation mit der Folge eines Bicarbonatdefizits. Dieses Defizit ist umso stärker, je höher das Gewicht ist. Diese Mechanismen bieten auch eine Erklärung dafür, dass ­Adipositas das Risiko für eine CKD erhöht; denn niedrige Bicarbonatspiegel sind bei der Entwicklung einer CKD Täter und Opfer zugleich. Das Bindeglied ist also der Mangel an Bicarbonat. Bei einem BMI von > 40 kg/m2 dürfte eine Hypoventilation mit konsekutiver Azidose den Bicarbonatspiegel durch eine kompensatorisch vermehrte Rückresorption von Bicarbonat in der Niere wieder etwas ansteigen ­lassen, was den J-förmigen Kurvenverlauf erklärt.

TIPP FÜR DIE PRAXIS:

Die europäischen Leitlinien definieren zur Behandlung einer chronischen metabolischen Azidose einen Zielbereich von > 23 mmol/l Bicarbonat [2]. Neuere Arbeiten empfehlen hingegen höhere Zielbereiche, z. B. für Diabetiker [3] zwischen 24 und 28 mmol/l Bicarbonat zur Verbesserung der glykämischen Parameter oder für PD-Patienten zwischen 24 und 30 mmol/l Bicarbonat [4] zur Erhaltung der Nierenrestfunktion. U. a. wegen gastrointestinaler Nebenwirkungen empfiehlt eine interdisziplinäre Kommission Bicarbonat ausschließlich in magensaftresistenter Galenik einzunehmen [5].

Lambert DC et al., Kidney Med, 3: 498–506, published online April 15, 2021National Kidney Foundation, Am J Kidney Dis 2003; 42 (Suppl 3): S1–S202
Bellasi A et al., BMC Nephrol 2016; 17: 158
Liu XY, Gao XM, Zhang N et al., Kidney Blood Press Res 2017; 42: 565–574
Borchard U et al., Nieren- und Hochdruckkrankheiten. Chronisch Metabolische Azidose in der Ambulanten Medizin. 41/7, 2012, 1–6

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