Die Diagnose der Endometriose ist ein zentraler Pfeiler für die Behandlung und Betreuung der Endometriose-patientinnen. Die neue Leitlinie 2025 hat dafür einen komplett neuen Ansatz etabliert. Die Bildgebung löst die Operation als Standard ab und die #Enzian-Klassifikation dient als zentrales Dokumentationstool.
Im Sommer 2025 wurde die Leitlinie „Diagnostik und Therapie der Endometriose“ nach fünf Jahren aktualisiert. Ein herausragender Unterschied zur Vorversion ist die Einführung des bio-psychosozialen Krankheitsverständnisses [1]. Nicht nur die biologischen Aspekte der Erkrankung sollen berücksichtigt werden, sondern auch psychologische Faktoren wie Angst, Hilflosigkeit und Depression sowie soziale Aspekte im familiären oder beruflichen Umfeld. Der Zeitraum von den ersten Symptomen bis zur Diagnose beträgt in Deutschland derzeit etwa sieben Jahre. Das ist für die Lebensqualität und für die Arzt-Patientinnen-Beziehung belastend [2].
Vorrang für die Bildgebung
Die vielleicht bedeutendste Änderung in der Leitlinie 2025 betrifft die Hierarchie der diagnostischen Verfahren: Die Leitlinie 2020 erklärte die Laparoskopie mit intraoperativer Gewebeentnahme zur histologischen Untersuchung als den „Goldstandard“ zur Sicherung der Verdachtsdiagnose Endometriose [3]. Die Leitlinie 2025 vollzieht hier einen Paradigmenwechsel [1]: In der konsensbasierten Empfehlung 3.E10 (neu 2024) wird festgelegt, dass die Bildgebung mittels transvaginaler Sonografie (TVS) standardmäßig als erstes diagnostisches Verfahren bei Endometriose angewendet werden soll.
Ein MRT soll als Ergänzung in der Zweitlinie zum Einsatz kommen, wenn die Sonografie allein nicht ausreichend aussagekräftig ist. Die Laparoskopie wird weiterhin als diagnostisches/therapeutisches Instrument beschrieben, aber nicht mehr als primärer Goldstandard [1].
Die Leitlinie 2025 führt die #Enzian-Klassifikation [4] als umfassendes Instrument zur Dokumentation ein. Die Leitlinie 2020 empfahl die Erfassung des rASRM-Scores bei allen Operationen mit Verdachtsdiagnose Endometriose [4]. Die neue Version ermöglicht eine reproduzierbare Gesamtabbildung erstmals auch bei Endometriose des Peritoneums (P) und der Ovarien (O). Die #Enzian-Klassifikation ist in der Lage, bildgebende Befunde mittels Ultraschall (#Enzian u) und MRT (#Enzian m) abzubilden.
Die im Algorithmus (Abb.) verwendeten Techniken sind auch im niedergelassenen Bereich leicht umsetzbar. Persistierende oder progrediente Unterleibsschmerzen sowie die 4D-Symptome (Dysmenorrhö, Dysurie, Dyschezie, Dyspareunie) deuten auf eine Endometriose hin.
Der Algorithmus gibt auch bereits die Richtung für die Therapie vor, wo der Stellenwert der medikamentösen Therapie jetzt deutlich höher bewertet ist. In der symptomatischen Therapie Endometriose-assoziierter Schmerzen wird laut Leitlinie ein geeignetes Gestagen (z. B. Dienogest) empfohlen oder ein oraler GnRH-Antagonist mit Add-back-Therapie. Mehr dazu in der nächsten Folge dieser Serie.
Patientenfragebögen
Ein zentrales Thema in der Leitlinie 2025 sind frühe Erkennung und Management der Chronifizierung von Schmerzen und psychischen Begleiterkrankungen. Als „Praxiswerkzeuge“ empfiehlt die Leitlinie 2025 dazu Gesundheitsfragebögen wie PHQ-15 (körperliche Beschwerden), PHQ-4 (Screening auf Angst und Depression), PHQ-9 (Depressivität) und GAD-7 (Angststörung).
Prof. Dr. med. Stefan Renner
Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe
Klinikverbund Südwest Böblingen
s.renner@klinikverbund-suedwest.de
Die neue Leitlinie spricht aus, was in Endometriosezentren seit Jahren „good clinical practise“ sein sollte: Die strukturierte Erfassung von Schmerz und bio-psycho-sozialen Faktoren gepaart mit suffizienter Diagnostik (Ultraschall, ggf. MRT) führt häufig zur korrekten (Verdachts-)Diagnose und der Möglichkeit der Einleitung einer (medikamentösen) Therapie. Die Diagnose der tief-infiltrierenden Endometriose sollte für den geübten Ultraschalldiagnostiker im Endometriosezentrum mittlerweile Standard sein und kann für die Praxis erlernt werden. Somit sollte das Vorgehen der zweitzeitigen Operation allenfalls als Relikt aufgefasst werden und zukünftig endgültig obsolet sein.
Aufgrund der hohen Rezidivrate nach operativen Eingriffen stellt die medikamentöse Rezidivprophylaxe schon lange den Standard dar. Warum dann nicht direkt medikamentös beginnen und nur bei Versagen über eine Zweilinie nachdenken? Argumente, dass die Endometriose im Bauch dann rasch progredient sein könnte, waren in der Vergangenheit eher dem „ambitionierten“ Operateur als der Evidenz geschuldet.
Impressum
Bericht, Redaktion und Konzept: Dr. rer. nat. Reinhard Merz
MiM Verlagsgesellschaft mbH (Neu-Isenburg)
Mit freundlicher Unterstützung der Gedeon Richter Pharma GmbH (Köln)
Bildnachweis: privat