- Anzeige -
Allgemeinmedizin

Kleinzelliges Lungenkarzinom

Mit Neuen Therapiekonzepten Fortschritte erzielen

Dr. rer. nat. Reinhard Merz

11.6.2025

Die Therapie des kleinzelligen Lungenkarzinoms steht an einem Wendepunkt: Während PD-L1-basierte Immuntherapien erste Fortschritte gebracht haben, eröffnen molekulare Subtypisierung, BiTE, CAR-T-Zellen und Liquid Biopsy das Potenzial für eine echte biologische Individualisierung.

Kleinzellige Lungenkarzinome (Small Cell Lung Cancer, SCLC) machen etwa 13–15 % aller Lungenkrebsfälle aus [1]. Die Erkrankung ist sehr stark mit dem Rauchen assoziiert – über 95 % der Betroffenen haben eine Raucheranamnese [2]. Klinisch bildet das SCLC typischerweise zentral gelegene Bronchustumoren, die früh metastasieren und oft erst in fortgeschrittenen Stadien erkannt werden [1]. Rund zwei Drittel der Patientinnen und Patienten präsentieren sich primär mit einem ausgedehnten (metastasierten) Zustand.

Biologie und molekulare Charakteristika

Immer noch gängig ist die Unterscheidung des SCLC in limited disease (LD-SCLC) und extensive disease (ED-SCLC). Histopathologisch gehört das SCLC zu den hochgradig malignen neuroendokrinen Neoplasien der Lunge. Nach WHO-Klassifikation wird zwischen dem „rein“ kleinzelligen Karzinom (~80 % der Fälle) und dem kombinierten SCLC (~20 %) mit Anteilen eines nicht kleinzelligen Karzinoms unterschieden. Kombinierte SCLC ähneln klinisch und biologisch dem reinen SCLC, sodass die Therapieprinzipien gleich bleiben [1].

Inaktivierungen von TP53 und RB1 unterscheiden das SCLC von anderen Lungenkarzinomen.

Molekular ist das SCLC durch weitreichende genetische Veränderungen und eine sehr hohe Mutationslast gekennzeichnet. Nahezu alle SCLC-Tumoren weisen Inaktivierungen der Tumorsuppressorgene TP53 und RB1 auf – ein molekulares Kennzeichen, das SCLC von anderen Lungenkarzinomen unterscheidet. Andererseits fehlen beim SCLC „klassische“ therapeutisch adressierbare Treibermutationen wie EGFR- oder ALK-Mutationen, die man von nicht kleinzelligen Lungenkarzinomen kennt. Entsprechend haben zielgerichtete Therapien (z. B. VEGF-Inhibitoren, PARP-Inhibitoren, mTOR-Inhibitoren) in klinischen Studien bisher keinen signifikanten Einfluss auf das Über­leben von SCLC-Erkrankten gezeigt [2].

Genexpressions-Analysen definieren 4 molekulare Subtypen des SCLC, charakterisiert durch die jeweils dominante Expression bestimmter Transkriptionsfaktoren [3]: ein ASCL1-hoher Subtyp (SCLC-A), ein NEU-ROD1-hoher Subtyp (SCLC-N), ein POU2F3-hoher Subtyp (SCLC-P) sowie ein YAP1-hoher Subtyp (SCLC-Y). Diese Subtypen unterscheiden sich u. a. in ihrem neuroendokrinen Differenzierungsgrad und in Stoffwechseleigenschaften. Sie bilden einen Rahmen, um neue zielgerichtete Therapiestrategien im SCLC zu entwickeln.

Die Prognose des kleinzelligen Lungenkarzinoms ist insgesamt ungünstig. Initial spricht das SCLC häufig sehr gut auf Chemo- und Strahlentherapie an: Remissionsraten von 60–80 % werden im Erstlinien-Setting erreicht [1]. Allerdings entwickeln die Tumoren fast immer früh eine Therapieresistenz. Rezidive treten meist innerhalb von Monaten nach Erstbehandlung auf.

Fünf Jahre nach Diagnose sind weniger als 10 % der Betroffenen noch am Leben. Selbst mit neuen Therapien liegt das mediane Überleben im metastasierten Stadium derzeit kaum über 1 Jahr. Faktoren wie ein gutes Ansprechen auf die Erstlinienbehandlung, begrenzte Metastasierung und ein guter Allgemeinzustand (Performance Status) gehen mit einer etwas besseren Prognose einher [4].

Therapiestandards

Die Therapie des SCLC richtet sich primär nach dem Krankheitsstadium (limitiert vs. extensiv), wobei in allen Stadien eine systemische Chemotherapie die Grundlage bildet. Standard in der Erstlinie ist eine platinbasierte Chemotherapie (entweder Cisplatin oder Carboplatin) in Kombination mit Etoposid, zumeist über 4–6 Zyklen [4,5]. Dieses Regime existiert seit den 1980er-Jahren und führt initial zu hohen Ansprechraten, konnte aber lange Zeit die Über­lebensraten nicht nachhaltig verbessern.

Ein erster Fortschritt erfolgte durch die Integration der Immuntherapie in das Erstlinien-Regime. Dass die Zugabe eines PD-L1-Inhibitors zur Chemotherapie das Überleben von ES-SCLC-Patientinnen und -Patienten signifikant verlängert, zeigten 2 große randomisierte Studien. In der Studie IMpower133 verbesserte Atezolizumab zusätzlich zu Carboplatin/Etoposid das mediane Gesamtüberleben von 10,3 auf 12,3 Monate (HR 0,70; p = 0,007) [6]. Ebenso erzielte in CASPIAN die Kombination von Durvalumab mit Cis-/Carboplatin/Etoposid einen Überlebensvorteil gegenüber Chemotherapie allein (median 13,0 vs. 10,3 Monate; HR ~0,75) [7]. Aufgrund dieser Daten sind Atezolizumab und Durvalumab jeweils in Kombination mit platinbasierter Chemotherapie für das SCLC in Europa zugelassen.

Mit Immunchemotherapie steigt die 18-Monats-Überlebensrate vs. alleiniger Chemotherapie von 21 auf 34 %.

Die aktuelle europäische Leitlinie (ESMO 2021) empfiehlt bei allen therapienaiven ES-SCLC-Erkrankten mit gutem Allgemeinzustand die Kombination aus Chemotherapie und PD-L1-Inhibitor als neuen Therapiestandard [4]. Nach 4 Zyklen Chemotherapie wird die Immuntherapie als Erhaltung bis zur Progression fortgeführt. Durch diese Immunchemotherapie steigt die 18-Monats-Überlebensrate auf ~34 % (vs. ~21 % unter Chemotherapie allein), und ein kleiner Anteil von Patientinnen und Patienten erzielt anhaltende Langzeitremissionen über 2 Jahre hinaus.

Nach Abschluss der Erstlinientherapie kommt es fast immer zum Tumorrezidiv. Die therapeutischen Optionen in der Zweitlinie sind begrenzt. Standard war lange der Topoisomerase-I-Inhibitor Topotecan. Die Substanz ist in Europa für das rezidivierte SCLC zugelassen, erzielt jedoch nur überschaubare Ansprechraten und geht mit einer erheblichen Hämatotoxizität einher. Lurbinectedin hemmt die RNA-Polymerase II und erreichte in einer Phase-II-Studie als Monotherapie eine objektive Response-Rate von 35,2 % sowie ein medianes Gesamtüberleben von 9,3 Monaten [8].

Eine europaweite Zulassung blieb allerdings aus, nachdem die Phase-III-Studie ATLANTIS keinen Überlebensvorteil gegenüber Topotecan/Kombinationschemotherapie zeigen konnte. Nichtsdestotrotz wird Lurbinectedin – gemäß ESMO-Leitlinie – als Therapieoption in der Rezidivsituation genannt, ­insbesondere bei Patienten und Patientinnen mit Fortschreiten nach einer platinbasierten Vortherapie. Bei einem späten Rezidiv (> 6 Monate) kann auch eine erneute Platin-Etoposid-Chemotherapie erwogen werden [4].

Aktuelle Entwicklungen

Weitere Therapiekonzepte werden aktuell intensiv erforscht. Die Phase-III-Studie ADRIATIC zeigte, dass Patienten und Patientinnen mit LS-SCLC nach abgeschlossener Radiochemotherapie von einer Konsolidierung mit Durvalumab profitierten, was zu einer Verlängerung des medianen Gesamtüberlebens (56 vs. 33 Monate) und progressionsfreien Überlebens führte [9].

Laufende Studien zielen u. a. darauf, valide prädiktive Biomarker für das SCLC zu identifizieren.

Die Weiterentwicklung immuntherapeutischer ­Ansätze geht insgesamt über klassische Checkpoint-Inhibition hinaus. Ein attraktives Ziel ist das auf SCLC-Zellen stark exprimierte DLL3 (Delta-like Ligand 3). Der bispezifische T-Zell-Engager (BiTE) Tarlatamab, der tumorassoziierte Antigene wie DLL3 mit CD3 auf T-Zellen verbindet, zeigte in einer Phase-I-Studie eine objektive Ansprechrate von 23,4 % bei stark vor­behandelten Erkrankten mit ES-SCLC sowie ein ­medianes progressionsfreies Überleben von 3,7 ­Monaten [10]. Die Nachfolgestudie DeLLphi-301 prüft Tarlatamab aktuell in der Zweitlinie vs. Standardtherapie (z. B. Topotecan) [11].

Ein weiteres zukunftsweisendes Feld ist die CAR-T-Zell-Therapie gegen DLL3, die in frühen klinischen Phasen evaluiert wird. Trotz logistischer Herausforderungen (Herstellung, Lymphodepletion, Toxizitätsmanagement) könnten CAR-T-Zell-Produkte langfristig eine neue Therapieoption für selektierte Subgruppen darstellen [12].

Die Identifikation therapeutisch verwertbarer Targets beim SCLC bleibt schwierig, da klassische onkogene Treibermutationen selten sind. Dennoch werden einige Strategien derzeit klinisch evaluiert:

  • Aurora-Kinase-Inhibitoren (z. B. Alisertib): Präklinisch wirksam, insbesondere bei MYC-amplifizierten Subtypen. Klinisch bislang ohne Zulassung, aber mit positiver Signalwirkung in frühen Studien [13].
  • PARP-Inhibitoren (z. B. Olaparib, Talazoparib): Kombinationen mit Temozolomid oder immunmodulierenden Substanzen zeigen in Phase-I/II-Studien moderate Aktivität bei Patientinnen und Patienten mit homologer Rekombinationsdefizienz (HRD) [14].
  • BCL2-Inhibitoren (z. B. Venetoclax) und epigenetisch aktive Substanzen (z. B. EZH2-Inhibitoren) werden ebenfalls in frühen klinischen Phasen untersucht.

Ein entscheidendes Defizit in der Therapie des SCLC ist das Fehlen validierter prädiktiver Biomarker. ­Weder PD-L1-Expression noch Tumormutationslast konnten bislang zuverlässig mit dem Therapie­ansprechen korreliert werden. Im Zuge laufender Studien werden daher umfassende Genexpressions-Profile, DNA-Reparaturdefekte sowie zirkulierende Tumor-DNA (ctDNA) als potenzielle Biomarker untersucht. Besonders die Liquid Biopsy mittels ctDNA oder zirkulierender Tumorzellen bietet das Potenzial, minimale Resterkrankung zu detektieren, molekulare Resistenzmechanismen zu erfassen und Therapieentscheidungen zu personalisieren [15].

  1. Rudin CM et al., Nat Rev Dis Primers 2021; 7: 3
  2. Patel SR, Cancers (Basel) 2023; 15: 4016
  3. Wooten DJ et al., PLoS Comput Biol 2019; 15: e1007343
  4. Dingemans AC et al., Ann Oncol 2021; 32: 839–53
  5. Pogorzelski M et al., Onkologie 2024; 30: 809–16
  6. Horn L et al., N Engl J Med 2018; 379: 2220–9
  7. Paz-Ares L et al., Lancet 2019; 394: 1929–39
  8. Trigo J et al., Lancet Oncol 2020; 21: 645–54
  9. Spiegel RD et al., ASCO 2024 Annual Meeting, Abstract LBA 5
  10. Spira AI et al., N Engl J Med 2024; 390: 395–405
  11. https://clinicaltrials.gov/study/NCT05060016 (Stand: 22.04.2025)
  12. Goy A et al., J Clin Oncol 2023; 41(16_suppl): 8510
  13. Byers LA et al., J Clin Oncol 2019; 37(15_suppl): 8505
  14. Owonikoko TK et al., J Clin Oncol 2021; 39: 1571–81
  15. Almodovar K et al., Nat Commun 2021; 12: 6599
Weitere Artikel aus dieser Serie finden Sie hier
Lesen Sie mehr und loggen Sie sich jetzt mit Ihrem DocCheck-Daten ein.
Der weitere Inhalt ist Fachkreisen vorbehalten. Bitte authentifizieren Sie sich mittels DocCheck.
- Anzeige -

Das könnte Sie auch interessieren

123-nicht-eingeloggt