Mit der neuen S3-Leitlinie „Vorhofflimmern” legen die Koordinatoren Prof. Dr. med. Lars Eckardt (Münster) und Prof. Dr. med. Stephan Willems (Hamburg) erstmals eine national abgestimmte Handlungsempfehlung vor, die Versorgungsrealität und hausärztliche Praxis konsequent mitdenkt.
In der Hausarztpraxis ist Vorhofflimmern (VHF) eine der häufigsten Erkrankungen mit einer Prävalenz von mehr als 30 % bei den über 80-jährigen Patienten und Patientinnen. Allerdings weisen VHF-Erkrankte nicht zwingend die klassischen Symptome wie beispielsweise Palpitationen auf. Insbesondere ältere Menschen mit Vorerkrankungen leiden eher unter unspezifischen Symptomen wie Leistungsminderung, Unruhe oder Belastungsdyspnoe. Die neue S3-Leitlinie greift genau diese Situationen auf und kann uns eine sehr praxisnahe Orientierung geben.
Das deutsche Versorgungssystem speziell berücksichtigt
Was sofort auffällt: Die Empfehlungen sind nicht einfach aus der ESC-Leitlinie übernommen, sondern klar auf das deutsche Versorgungssystem zugeschnitten. Das betrifft vor allem die Frage, was in der hausärztlichen Versorgung tatsächlich leistbar ist. Etwa wenn es darum geht, ob ein 24-Stunden-EKG reicht oder ein längeres Monitoring nötig wird. Oder ob man eine Ablation überhaupt vorschlagen sollte, wenn der Patient bzw. die Patientin mit moderater Frequenzkontrolle und wenigen Beschwerden gut lebt. Bekannte Strukturen wie der CHA2DS2-VA-Score (früher CHA2DS2-VASc-Score) und der ABC-Ansatz (Antikoagulation, bessere Symptomkontrolle, kardiovaskuläres Risikomanagement) bleiben erhalten. Doch die Leitlinie sagt klarer, wie man im Alltag damit umgehen kann. Etwa wie viel Alkohol oder Kaffee pro Tag akzeptabel ist, wann eine Antikoagulation auch bei hochbetagten Erkrankten noch sinnvoll ist, oder wann man eher von einer invasiven Strategie abrät.
Die neuen Empfehlungen der Leitlinie sind speziell auf das deutsche Medizinsystem zugeschnitten.
Einfluss auf die Therapieentscheidung
Weiterhin werden die Patientinnen und Patienten davon provitieren, dass mehr Gewicht auf Begleitfaktoren gelegt wird. Schlafapnoe, Übergewicht, Blutdruck und Nierenfunktion werden nicht mehr nur nebenbei erwähnt, sondern fließen in die Therapieentscheidung ein. Das ist entscheidend, da in der Praxis meist keine „reine“ Rhythmusstörungen behandelt werden, sondern eine progrediente Herz-Kreislauf-Erkrankung mit einem Potpourri von Risikofaktoren.
Generell ist positiv hervorzuheben: Diese Leitlinie macht keinen Halt vor Graubereichen. Sie zeigt Spielräume auf, bei denen Patienten- und Patientinnen- beteiligung und hausärztliche Einschätzung entscheidend bleiben. Und damit ist die neue S3-Leitlinie nicht mehr als Regelwerk, sondern vielmehr als Kompass für den Versorgungsalltag zu verstehen – und das auch ohne ständige kardiologische Mitbehandlung.
Zusammenfassend kann also gesagt werden, wer VHF im Alltag betreut, findet in der S3-Leitlinie „Vorhofflimmern” viele Antworten auf vertraute Fragen: Wie genau soll ich monitoren? Wann ist eine Ablation überhaupt sinnvoll? Welche Rolle spielen Dauer des VHF, Alter, Vorerkrankungen und Lebensqualität? Der Text ist nicht kurz, jedoch perfekt strukturiert, um punktuell nachzuschauen und erstaunlich gut lesbar. Und das Wichtigste: Er traut der Hausarztpraxis etwas zu.
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