Das geltende Sozialrecht erlaubt nur Vertragsärzten mit „Kassensitz“, zulasten von Krankenkassen abzurechnen. Sollte sich allerdings ein Kassenpatient im Notfall an einen Privatarzt wenden, muss die Kasse dafür aufkommen. Wann diese besondere Abrechnungsmöglichkeit gegeben ist, wird in diesem Beitrag erläutert.
Das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung (geregelt im SGB V) verfolgt den Grundsatz der Sachleistung, d. h. der Kassenpatient nimmt die ärztliche (Sach-)Leistung in Anspruch und die Kosten hierfür rechnet der Vertragsarzt auf Basis des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs (EBM) ab. Für die Verteilung der Gelder der Krankenkassen sind die Kassenärztlichen Vereinigungen zuständig, die Verträge mit den Krankenkassen halten.
Leistungserbringer der Krankenkassen sind klar definiert
Ein Geldfluss zwischen Kassenpatient und Leistungserbringer findet demnach in der Regel nicht statt. Im Bereich der ambulanten ärztlichen Behandlung ist der Katalog der Leistungserbringer, aus denen der gesetzlich versicherte Patient frei wählen kann, in § 76 Abs. 1 S. 1 SGB V abschließend festgelegt. Die Behandlung gesetzlich Krankenversicherter ist somit primär Aufgabe von Vertragsärzten und Medizinischen Versorgungszentren sowie von ermächtigten Ärzten bzw. Einrichtungen. Demgemäß sollen auch nur die dort genannten Leistungserbringer zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung abrechnen dürfen. Allerdings sieht § 76 Abs. 1 S. 2 SGB V eine Ausnahme vor: In Notfällen dürfen auch andere Ärzte in Anspruch genommen werden. Somit können auch Privatärzte oder Krankenhausärzte, die normalerweise keine ambulanten Leistungen durchführen, (Notfall-)Leistungen zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung erbringen.
Notfall – was heißt das?
Wenngleich der Gesetzgeber nicht geregelt hat, was ein Notfall in diesem Sinne ist, hat das Bundessozialgericht dies im Laufe der Jahre klargestellt. So soll ein Notfall dann vorliegen, wenn aus medizinischen Gründen eine umgehende Behandlung des Patienten notwendig ist und ein Kassenarzt nicht in der gebotenen Eile herbeigerufen oder aufgesucht werden kann. Insbesondere, wenn dem Patienten ohne unverzügliche Behandlung Gefahren für Leib und Leben drohen, sei von einem Notfall auszugehen. Auch heftige Schmerzen, die unzumutbar lange andauern würden, sollen darunter fallen. Der in der Praxis erscheinende Patient muss dann auch nicht zwangsläufig auf eine Vertragsarztpraxis oder den Notfalldienst der Kassenärztlichen Vereinigungen verwiesen werden. Zwar soll erreicht werden, dass Patienten während regulärer Sprechzeiten von Vertragsärzten auch diese Praxen aufsuchen. Dennoch muss (und darf) ein Patient, der sich im „echten“ Notfall – egal zu welcher Zeit – an einen Privatarzt wendet, nicht ohne Weiteres abgewiesen werden.
Die Vergütung orientiert sich an den Vorschriften des Vertragsarztrechts.
Was kann wie abgerechnet werden?
Wird ein Privatarzt im Bereich der kassenärztlichen Versorgung tätig, muss er sich auch an die in diesem Bereich geltenden Regelungen halten. Die dem Privatarzt bestens bekannte GOÄ ist bei der Abrechnung gegenüber den Krankenkassen somit nicht heranzuziehen. Vielmehr richtet sich die Vergütung dem Grunde und der Höhe nach entsprechend den Vorschriften des Vertragsarztrechts, wozu der EBM zählt. Die zu zahlende Vergütung darf im Falle eines Nicht-Vertragsarztes allerdings auch nicht niedriger ausfallen als die eines Vertragsarztes. Dies ergibt sich u. a. aus dem verfassungsrechtlich verankerten Gleichbehandlungsgrundsatz. Pauschale Minderungen aufgrund einer Notfallbehandlung sind demnach zwar unzulässig. Grundsätzlich dürfen im Notfall jedoch nur die ärztlichen Maßnahmen ergriffen werden, die zur Behandlung des Patienten unverzichtbar sind. Vor allem liegt eine abrechenbare Notfallbehandlung dann nicht vor, wenn ein Versicherter einen Nicht-Vertragsarzt zur Behandlung mit einer wissenschaftlich nicht anerkannten Methode aufsucht und dies mit der Überlegung, dass Vertragsärzte solche Methoden nicht anbieten. Der Privatarzt ist somit an die im Rahmen des GKV-Leitungskatalogs zu vergütenden Behandlungen gebunden und der Patient kann sich nicht über den „Umweg“ der Notfallbehandlung eine Kostenübernahme von Leistungen verschaffen, die normalerweise nicht von den Krankenkassen bezahlt werden.
Der in Anspruch genommene Privatarzt rechnet in entsprechenden Notfallkonstellationen – wie auch der Kassenarzt – nicht gegenüber dem Patienten, sondern gegenüber der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung ab. Dies beruht auf dem bereits erwähnten Sachleistungsprinzip und der Überlegung, dass die Notfallbehandlung i. S. d. § 76 Abs. 1 S. 2 SGB V gerade nicht mit der ebenfalls im Sozialrecht geregelten Kostenerstattung (vgl. § 13 Abs. 3 SGB V) gleichzusetzen ist. Bei einer solchen Kostenerstattung kann ein Versicherter von einer Krankenkasse, die eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat, für selbstbeschaffte, notwendige Leistungen Kostenersatz verlangen. Im Fall der „echten“ Notfallbehandlung bewegt sich der Privatarzt jedoch vollumfänglich im Regime der Vertragsärzte, in dem eine Kostenerstattung in der Regel nicht vorgesehen ist und alleiniger Schuldner des Arztes die zuständige Kassenärztliche Vereinigung ist.
Auch klärende Untersuchungen abrechenbar
Dem Privatarzt muss sogar Gelegenheit gegeben werden, sich ein Bild von der potenziellen Notfallsituation zu machen, um danach das weitere Vorgehen bestimmen zu können. Allein das Erfragen der Beschwerden und die orientierende Untersuchung durch einen Arzt sind zu vergütende Tätigkeiten. Folgerichtig hat das Bundessozialgericht (BSG) kürzlich klargestellt, dass diagnostische (radiologische und laboratoriumsmedizinische) Leistungen als Notfallleistungen gewertet werden können, selbst wenn diese innerhalb der üblichen Sprechstundenzeiten eines Vertragsarztes erbracht werden (BSG, Urteil vom 26.06.2019 – B 6 KA 68/17 R). So zählt als vergütungsrelevante diagnostische oder therapeutische Leistung nicht nur die Notfallbehandlung als solche („Erstversorgung“ zur Abwendung von Gefahr für Leib und Leben und unzumutbarer Schmerzen), sondern auch die Untersuchung zur Abklärung, ob ein Notfall vorliegt oder eine stationäre Behandlung notwendig ist. Der Privatarzt kann seine Aufwendungen folgerichtig selbst dann ersetzt verlangen, wenn sich herausstellt, dass objektiv kein Notfall vorgelegen hat, allerdings nur sofern die Untersuchungen zur Klärung des Krankheitsbildes bzw. Vorliegen eines Notfalls erforderlich waren.
Prüfung durch KV? Nur anhand klarer Vorgaben
Für die Frage, ob eine Behandlung als (abrechenbarer) Notfall zu sehen ist, können bestimmte Kriterien aufgestellt werden, deren Einhaltung im Verfahren der sachlich-rechnerischen Richtigstellung geprüft werden kann. Sobald die zuständige Kassenärztliche Vereinigung im Zuge dieses Verfahrens zu dem Ergebnis kommt, die Vorgaben seien nicht eingehalten worden, kann die Zahlung der Vergütung verweigert bzw. zurückgefordert werden. Die gesonderte Abrechenbarkeit ambulanter Notfallbehandlungen durch Nicht-Vertragsärzte darf insofern auch einem Begründungserfordernis unterworfen werden. Das BSG hat jedoch in der bereits zitierten Entscheidung erläutert, dass der an die Begründung anzustellende Maßstab eindeutig und verständlich formuliert und für den Nicht-Vertragsarzt mit vertretbarem Aufwand umsetzbar sein muss. So muss zum Zeitpunkt der Erbringung und Abrechnung der Leistungen zweifelsfrei ermittelbar sein, welche Kriterien überhaupt einzuhalten sind. Der Privatarzt muss von Beginn an ermitteln können, welche Tatbestandsmerkmale zu erfüllen sind, um einen Vergütungsanspruch zu erhalten. In diesem Zusammenhang muss auch klar sein, wie (und wann) die Erfüllung der Tatbestandsmerkmale dargelegt und nachgewiesen werden muss. Ist dies nicht der Fall, muss auch zu einem späteren Zeitpunkt Gelegenheit gegeben werden, formale Versäumnisse nachholen zu können. Nicht vorhandene oder zu ungenaue (gesetzliche) Vorgaben genügen nicht und dürfen keine Nachteile auslösen. Mit anderen Worten: Wer eine Leistung wegen der Nichteinhaltung bestimmter Formalien verweigern möchte, muss zuvor zweifelsfrei die einzuhaltenden Formalien benennen. Das BSG führt hierzu aus, dass für den Leistungserbringer immer erkennbar sein muss, was er in welchen Vordruck bzw. welches Feld einer Eingabemaske am Bildschirm einzutragen hat, damit den formalen Begründungsanforderungen entsprochen wird.
Neue Besonderheiten für Krankenhäuser
Der Umstand, dass viele Patienten in vermeintlichen Notfällen als erste Anlaufstelle Krankenhäuser aufsuchen, hat den Gesetzgeber dazu bewogen, im Zuge des Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetzes (GVWG) vom 11.07.2021 ein einheitliches Ersteinschätzungsverfahren für die ambulante Notfallbehandlung einzuführen, das Voraussetzung für die Abrechnung ambulanter Notfallleistungen sein soll. Dadurch soll das Ziel der Steuerung der Patienten in die „richtige“ Versorgungsebene erreicht werden. Ergebnis einer solchen Ersteinschätzung kann dann beispielsweise die Weiterleitung an Notdienstpraxen, Vertragsärzte oder MVZ sein.
Der Gemeinsame Bundesausschuss hat bis zum 20.07.2022 Vorgaben zur Durchführung einer Ersteinschätzung des medizinischen Versorgungsbedarfs von Hilfesuchenden, die sich zur Behandlung eines Notfalls an ein Krankenhaus wenden, zu beschließen (vgl. § 120 Abs. 3 SGB V). So bleiben für Krankenhäuser viele Details ungeklärt (> Medizinrecht).
FAZIT: Für Privatärzte besteht also die Möglichkeit, ausnahmsweise im Teich der gesetzlichen Krankenversicherung zu fischen. Da dies jedoch an das strenge Kriterium eines Notfalls geknüpft ist und der Privatarzt sich in solchen Konstellationen dem Abrechnungs- und Preisregime der Vertragsärzte zu unterwerfen hat, wird die Notfallbehandlung in den meisten Privatarztpraxen wohl kaum eine große Rolle spielen. Dennoch ist es hilfreich zu wissen, dass diese Abrechnungsmöglichkeit existiert und welche Besonderheiten hierbei zu berücksichtigen sind. Weit häufiger als den niedergelassenen Privatarzt suchen Patienten Notfallambulanzen von Krankenhäusern auf, was der Gesetzgeber nun durch neue Regelungen und Mechanismen unterbinden möchte. Inwieweit sich die Patienten dadurch davon abbringen lassen, bleibt abzuwarten. Bei allen Überlegungen darf jedoch nicht aus den Augen verloren werden, dass für den Hilfe suchenden Patienten klar sein sollte, an wen er sich wenden kann. Er sollte nicht befürchten müssen, aufgrund von Vergütungsunsicherheiten der Leistungserbringer abgewiesen zu werden.
Der Autor
Dr. jur. Christian Bichler
Rechtsanwalt und Wirtschaftsmediator
Fachanwalt für Medizinrecht
85609 Aschheim
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