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Recht

Haftungsfragen

Behandlungsfehler – der Standard entscheidet

Dr. jur. Christian Bichler

18.4.2023

Auch Ärzte sind nicht perfekt. Ihnen können im Zuge medizinischer Behandlungen Fehler unterlaufen, etwa eine Krankheit übersehen oder beim Eingriff etwas falsch machen. Allerdings führt nicht jeder Fehler automatisch zu einem Schadensersatzanspruch des Patienten. Dieser Beitrag gibt einen Überblick.

Der deutsche Gesetzgeber hat durch die im Zuge des Patientenrechtegesetzes eingeführten §§ 630a ff. BGB im Jahr 2013 endgültig klargestellt: der Behandlungsvertrag ist eine besondere Form des Dienstleistungsvertrags. Das bedeutet, dass Ärzte die versprochene Behandlung zu erbringen und Patienten (bzw. der entsprechende Kostenträger) die dafür anfallende Vergütung zu bezahlen haben. Ärzte schulden hierbei keinen (Heilungs-)Erfolg. Sie müssen jedoch bei der Auswahl und Durchführung des Eingriffs den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden, allgemein anerkannten fachlichen Standard – dem Facharztstandard – einhalten. Dieser medizinisch (und eben nicht juristisch) zu ermittelnde Facharztstandard ist der Maßstab für das sorgfaltspflichtgerechte Vorgehen des Arztes. Bei der Ermittlung des Facharztstandards spielen Leitlinien zwar eine wesentliche Rolle.

Dennoch hat der BGH festgelegt, dass von ärztlichen Fachgremien oder Verbänden stammende Leitlinien nicht automatisch mit dem gebotenen medizinischen Standard gleichgesetzt werden können. Ein bloßes Abweichen von einer Leitlinie begründet noch keinen Behandlungsfehler, allerdings begibt sich der Arzt dann in einen „Rechtfertigungszwang“, d. h., er muss erklären können, warum er sich nicht an die Leitlinie gehalten hat. Letzten Endes entscheidet der Sachverständige im Prozess, ob das ärztliche Vorgehen dem Facharztstandard entsprochen hat oder nicht.

Kommt der Sachverständige zum Ergebnis, dass der Facharztstandard unterschritten wurde, ist – von besonderen Konstellationen wie Neulandmethoden oder Heilversuchen abgesehen – von einem Behandlungsfehler des Arztes auszugehen. Ein solcher Behandlungsfehler führt jedoch nur dann zur Haftung, wenn zusätzlich ein Schaden des Patienten (z. B. Schmerzen, Verdienstausfall) eingetreten ist, der auf den Behandlungsfehler zurückgeführt werden kann (notwendig ist ein kausaler Zusammenhang zwischen Behandlungsfehler und Schaden). Das Vorliegen des Behandlungsfehlers, der Schaden und der Kausalzusammenhang sind in einem Haftungsprozess in der Regel vom Patienten nachzuweisen. Sollte sich die Standardabweichung allerdings als besonders schwerwiegend, also grob, herausstellen, tritt eine Beweislastumkehr ein, d.h., es wird zugunsten des Patienten vermutet, dass der Behandlungsfehler für die eingetretene Verletzung des Patienten ursächlich war. Als grob wäre ein Behandlungsfehler dann einzuordnen, wenn es sich um einen eindeutigen, fundamentalen Verstoß gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln handelt und dieser objektiv nicht mehr verständlich erscheint und einem Arzt nicht unterlaufen darf. Im Falle einer solchen Beweislastumkehr ist für den Arzt der Prozess in der Regel verloren und es wird nur noch über die Höhe des Schadensersatzanspruchs des Patienten diskutiert.

Besonders heikel – Befunderhebungsfehler und Diagnoseirrtum

Ein Befunderhebungsfehler liegt wiederum vor, wenn es der Behandelnde fehlerhaft unterlassen hat, einen medizinisch gebotenen Befund rechtzeitig zu erheben oder zu sichern und der Befund mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Anlass zu weiteren gebotenen Untersuchungen oder Behandlungsmaßnahmen gegeben hätte. Problematisch hieran ist, dass ein Befunderhebungsfehler gem. § 630h Abs. 5 Satz 2 BGB ebenfalls zu einer Beweislastumkehr führt. Vom Befunderhebungsfehler abzugrenzen ist der bloße Diagnoseirrtum, der wiederum vorliegt, wenn der Arzt Befunde zwar erhebt, aber diese „lediglich“ falsch interpretiert und deshalb nicht die aus der berufsfachlichen Sicht seines Fachbereichs gebotenen – therapeutischen oder diagnostischen – Maßnahmen ergreift.

Der Diagnoseirrtum führt in vielen Fällen nicht zu einer Beweislastumkehr, da die Falschbeurteilung der zahlreichen Vorgänge im menschlichen Organismus dem Behandler nicht zwangsläufig vorgeworfen werden kann. Erst wenn die Verkennung klar und eindeutig ist, ist der Diagnoseirrtum ein haftungsrelevanter Behandlungsfehler. Ist diese Fehldeutung offensichtlich und gänzlich nicht nachvollziehbar, kann ein Diagnosefehler sogar als grob eingestuft werden. Die saubere Abgrenzung zwischen Befunderhebungsfehler und (grobem) Diagnosefehler ist in Haftungsprozessen häufig schwierig.

Was nicht passieren darf – das voll beherrschbare Risiko

Keine klassischen Kunstfehler, dennoch äußerst haftungsträchtig, sind die Fälle des voll beherrschbaren Risikos. Sie müssen durch den ordnungsgemäßen Klinik- oder Praxisbetrieb objektiv voll ausgeschlossen werden. Man spricht hierbei häufig auch von „never events“, also Vorkommnissen, die eigentlich nicht auftreten dürfen. Beispiele hierfür sind Hygienemängel oder eine fehlerhafte Organisation der Behandlungsabläufe (z. B. fehlende ­Maßnahmen zur Vermeidung von Seitenverwechslungen oder Medikamentenverwechslungen). In diesen Fällen tritt, da sie außerhalb der Sphäre des insofern schutzbedürftigen Patienten liegen, in der Regel auch eine Beweislastumkehr ein, wonach zugunsten des Patienten vermutet wird, dass der Behandelnde seine medizinischen Behandlungspflichten verletzt hat.

Fazit

Wie aufgezeigt, existiert im Arzthaftungsrecht eine Vielzahl an unterschiedlichen Fehlerarten, die wiederum rechtlich unterschiedlich zu handhaben sind. Vor allem die Fälle, bei denen eine Beweislastumkehr eintritt, sind besonders gefährlich und führen regelmäßig zur Haftung des Arztes. Wichtig und beruhigend zu wissen ist hierbei, dass Behandlungsfehler in aller ­Regel von der Berufshaftpflichtversicherung abgedeckt sind und somit – abgesehen von einer etwaigen Beitragserhöhung oder Selbstbeteiligung – keine persönliche Zahlungspflicht des Behandlers zu befürchten ist.

Der Autor

Dr. jur. Christian Bichler
Rechtsanwalt und Wirtschaftsmediator
Fachanwalt für Medizinrecht
85609 Aschheim

cb@jurmed.de

Bildnachweis: privat

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