Musiktherapie setzt Musik bei einer therapeutischen Beziehung gezielt ein, um seelische, körperliche und geistige Gesundheit zu fördern – und kann genauso wirkungsvoll wie ein Opioid oder eine Verhaltenstherapie sein. Bei welchen Erkrankungen Musiktherapie eine wertvolle Ergänzung zu Psychotherapie oder Medikamenten darstellt und wie wirksam sie tatsächlich ist, erläuterte Dr. phil. Sabine Koch beim 13. Europäischen Musiktherapie-Kongresse.
Eine Vielzahl von Studien zeigt, dass Musiktherapie eine gesundheitsfördernde Wirkung bei verschiedenen Erkrankungen entfaltet. „Es gibt eine beeindruckende Fülle von Belegen“, sagte die Professorin für Empirische Forschung in den Künstlerischen Therapien an der Alanus Hochschule Bonn und Direktorin des dortigen Forschungsinstituts für Künstlerische Therapien RIArT. Die Effekte sind in einer aktuellen Metaanalyse zusammengefasst, in die 3885 randomisierte kontrollierte Primärstudien zur Anwendung künstlerischer Therapien einflossen (DOI 10.21203/rs.3.rs-5961850/v1). „Die Ergebnisse stützen insbesondere die Musik- und Tanztherapie“, erläuterte Koch. Derzeit ist Musiktherapie in 37 AWMF- Leitlinien vertreten, darunter in 29 S3-Leitlinien.
Gut erforschte Wirksamkeit bei chronischen Schmerzen
Besonders gut erforscht und erprobt sind musiktherapeutische Anwendungen bei chronischen und akuten Schmerzen. „Insgesamt ist ihre Wirkung hier ähnlich gut wie die Behandlung mit Opioiden, jedoch ohne unerwünschte Nebenwirkungen“, sagte die Expertin, die auch an der SRH Hochschule Heidelberg und der University of Melbourne in Australien tätig ist. Darüber hinaus verbessert Musiktherapie körperliche Funktionen und Schlafqualität, lindert Müdigkeit, Angst und Depression.
Musiktherapie steigert die kardiovaskuläre Stabilität bei Frühchen
Erfolge bringt auch ihr Einsatz bei Frühgeborenen. Musiktherapie wirkt bei Frühchen positiv auf die Herz- und Atemfrequenz, auf Blutdruck und Schmerzwerte, sie steigert Sauerstoffsättigung und Schlafdauer – und dies sogar im Schlaf. „Musiktherapie hilft den Kindern, Stress zu reduzieren und sich zu erholen“, stellte Koch fest. „Sie mindert zudem den elterlichen Stress, stärkt die Bindung und vermittelt das Gefühl, etwas Sinnstiftendes für das Kind tun zu können.“ Darüber hinaus stärkt kreative Musiktherapie die Vernetzung der Hirnregionen, die für Kognition, Hören, Feinmotorik und die emotional-soziale Verarbeitung zuständig sind.
Starke Wirkung gegen Angstzustände und Depressionen bei Krebs
Bei onkologischen Patientinnen und Patienten senkt Musiktherapie Angstzustände, Depressionen, Schmerzen, Müdigkeit, Herzfrequenz und Blutdruck. „Der positive Effekt ist stark, er ist signifikant“, berichtete Koch. „Musiktherapie ist bei Krebserkrankungen genauso wirksam wie Verhaltenstherapie.“ Auch in der Palliativmedizin ist Musiktherapie hilfreich, sie fördert Entspannung und verringert Ermüdung. „Musiktherapie ist eine wirksame Behandlung mit einer geringen Abbruchquote zur Steigerung des Wohlbefindens unheilbar kranker Menschen“, resümierte Koch. „Bei der Reduktion von Depression und Angstsymptomatik hat sie oft denselben Wirkungsgrad wie kognitive Verhaltenstherapie.“
Rhythmus hilft autistischen Kindern
Bei autistischen Kindern verbessern musiktherapeutische Anwendungen Verhaltenssymptome, Sprache und soziale Fähigkeiten. „Das gilt sowohl für Musik- als auch für die Tanztherapie, die mit Stimme, Rhythmus und Musik arbeitet“, so Koch weiter. Aufgrund ihrer Wirksamkeit ist Tanztherapie in die S3-Leitlinie Autismus aufgenommen worden. „Rhythmus ist ein wichtiger Wirkfaktor, er scheint Orientierung und Sicherheit zu geben, Interaktion anzubahnen sowie Stress und dysfunktionale Erregung zu reduzieren“, berichtete Koch.
Tango-Tanz bessert Parkinson-Symptome
Auch bei M. Parkinson hilft Tanzen: Tango verbessert nicht nur motorische Fähigkeiten wie Gehen und Balance halten, er steigert auch die Lebensqualität und stimuliert positive emotionale und soziale Effekte. „Wir erleben häufig, dass Betroffene wieder Hobbys aufnehmen und mit dem Partner oder der Partnerin ausgehen“, berichtete Koch. Wie viele randomisiert-kontrollierte Studien belegen, könne Tango-Tanz eine vielversprechende nicht-medikamentöse Therapieoption zur Stabilisierung von Menschen mit Parkinson sein, so die Expertin.
Musiktherapie gegen Demenz und Aphasie
Dass Musik bei Demenz eine positive Wirkung hat, ist seit längerem bekannt. So erweist sich Chorgesang als effektives Mittel, um depressive Symptome bei demenzkranken Menschen zu verringern und kognitive Leistungen zu verbessern. „Wir erhalten oft die Rückmeldung, dass Betroffene dank musiktherapeutischer Interventionen wieder besser mit ihrem Umfeld in Kontakt treten“, berichtete Koch. „Gesang und Bewegung gehören in jedes Pflegeheim.“ Musiktherapie hilft ferner, Sprachstörungen nach Schlaganfällen zu verbessern. „Sie bewirkt bei Aphasie signifikante Verbesserungen hinsichtlich der funktionalen Kommunikation, der Wiederholung und Benennung“, sagte Koch.
Jede fünfte Psychotherapie wird abgebrochen
Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse plädierte die Expertin dafür, Musiktherapie häufiger einzusetzen und als Kassenleistung in die ambulante Versorgung aufzunehmen. „Angesichts der Tatsache, dass Psychotherapie in jedem fünften Fall abgebrochen wird, in vielen Kulturen mit sozialem Stigma behaftet ist und reine physiologische Behandlung oder Medikamententherapie oftmals mit Motivationsverlusten oder Nebenwirkungen einhergeht, kann Musiktherapie eine gute therapeutische Ergänzung sein“, betonte Koch. „Zumal die Kosteneffizienz sehr gut ist, wie neue Studien belegen“, fügte sie hinzu.
Option für Jugendliche, Ahrtal-Opfer und Geflüchtete
Musiktherapie käme ebenso wie andere künstlerische Therapien auch als Option für Jugendliche und junge Erwachsene in Frage, die seit der Covid-19-Pandemie verstärkt an Depressionen und Angststörungen leiden. „Musiktherapie leistet einen Beitrag zur Ressourcenaktivierung und Resilienzstärkung“, so Koch. Sie könnte zudem ein probates Mittel darstellen, um Traumata bei Geflüchteten und Opfern von Naturkatastrophen zu reduzieren. „Derzeit entstehen dazu kontrollierte Studien, unter anderem mit Betroffenen der Flutkatastrophe vom Juli 2021, im Ahrtal und Umgebung“, berichtete Koch.
Pressemitteilung „Wirksam und kosteneffizient - Ob Schmerzen, Depression, Krebs, Autismus oder Frühgeburt: Musiktherapie lindert Beschwerden und fördert Gesundung“. Deutsche Musiktherapeutische Gesellschaft (DMtG), Berlin, Juli 2025 (https://www.musiktherapie.de/wp-content/uploads/2025/07/2025-07-15-PM-DMtG-Evidenz.pdf). Im Rahmen der 13th European Music Therapy Conference (emtc2025), Hamburg, 23.-27.7.2025 (https://www.emtc2025.de/).