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Neurologie

Im Gehirn kodierte Informationen nur selektiv bei Entscheidungsfindung genutzt

10.9.2025

Bestätigungsfehler, der sogenannte Confirmation Bias, beeinflusst menschliches Urteilsverhalten in vielfältigen Kontexten, von politischen Überzeugungen bis hin zu medizinischen oder wissenschaftlichen Entscheidungen. Die neue Studie eines Teams am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf liefert nun direkte Evidenz dafür, dass dieser Bias nicht auf einem Defizit der neuronalen Repräsentation widersprüchlicher Informationen beruht, sondern auf deren selektiver Nutzung im Entscheidungsprozess.

In einem experimentellen Design mit hoher zeitlicher Auflösung kombinierten die Forschenden ein visuelles Entscheidungsparadigma mit Magnetoenzephalographie (MEG) und informationstheoretischen Analysen. Die Versuchspersonen beobachteten in mehreren Durchgängen Serien visueller Stimuli, aus denen sie zunächst eine kategoriale Zwischenentscheidung ableiten und später eine kontinuierliche Schätzung vornehmen sollten. Entscheidend war dabei, dass die nach der Zwischenentscheidung präsentierten Informationen entweder mit der getroffenen Wahl konsistent oder inkonsistent waren. Die Analyse zeigte, dass das menschliche Gehirn beide Arten von Evidenz in Regionen des Scheitellappens – insbesondere im dorsalen visuellen Kortex – ähnlich präzise kodiert. Dennoch wurde nur die konsistente Information in der Folgeentscheidung systematisch stärker berücksichtigt.

Diese Beobachtung spricht für ein selektives Auslesen vorhandener Informationen („biased readout“) und nicht für eine selektive neuronale Kodierung. Damit rückt die Rolle des posterioren Parietalcortex als Ort strategischer Informationsnutzung stärker in den Fokus. Die Autoren weisen zudem darauf hin, dass insbesondere selbstgenerierte Entscheidungen (im Unterschied zu extern gesetzten Hinweisreizen) eine ausgeprägtere Bestätigungstendenz nach sich ziehen. Dieses Ergebnis legt nahe, dass der Bias weniger durch sensorische Verzerrung als durch motivationsabhängige Gewichtung zustande kommt - ein Ansatzpunkt, der durch kognitive Trainings- oder Feedbackverfahren potenziell modulierbar wäre.

Ansatzpunkt mit potentieller Relevanz für Aus- und Fortbildung

Methodisch kombiniert die Studie verhaltenspsychologische Präzision, neurowissenschaftliche Signalauflösung und theoretische Modellierung. Die Verwendung von MEG erlaubt eine millisekundengenaue Verfolgung der neuronalen Dynamik, was bei Untersuchungen sequentieller Evidenzverarbeitung entscheidend ist. Der Einsatz informationstheoretischer Maße wie der „intersection information“ erlaubt darüber hinaus eine differenzierte Trennung von kodierter und verhaltensrelevanter Information. Die Interpretation der Ergebnisse beruht auf statistischen Assoziationen, wobei die Daten das Modell eines selektiven Readouts stützen. Doch es bleibt offen, ob dieser Mechanismus tatsächlich kausal für das beobachtete Verhalten verantwortlich ist. Auch sind MEG-Daten hinsichtlich der räumlichen Auflösung limitiert, was die exakte Zuordnung zu funktionellen Subarealen innerhalb des Parietallappens erschwert.

Es bleibt unklar, inwieweit sich die experimentell beobachteten Effekte auf komplexere, alltagsnahe Entscheidungssituationen übertragen lassen. Die verwendeten Stimuli waren wertneutral und kontrolliert – die psychologischen Realitäten in der klinischen oder diagnostischen Praxis hingegen sind emotional aufgeladen, oft ambig und stark kontextabhängig. Dennoch eröffnet die Studie eine wichtige Perspektive: Wenn Confirmation Bias nicht auf mangelnder Wahrnehmung, sondern auf der strategischen Nicht-Nutzung vorhandener Information beruht, dann ist er veränderbar – ein Ansatzpunkt mit potentieller Relevanz für Aus- und Fortbildung in medizinischen Berufen.

Pressemitteilung „Neues aus der Forschung: Publikationen, Studien und Forschungsprojekte aus dem UKE“. Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, 11.7.2025 (https://www.uke.de/allgemein/presse/pressemitteilungen/detailseite_168448.html).

* Park H et al.: Confirmation bias through selective readout of information encoded in human parietal cortex. Nat Commun. 2025 Jun 25;16(1):5391 (DOI 10.1038/s41467-025-61010-x).

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