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Gesundheitssystem

Jüngere Generation wird früher und häufiger krank als ältere

28.9.2023

Medizinsoziologen der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) sind in einer Übersichtsarbeit zu dem überraschenden Ergebnis gekommen, dass sich der früher über Jahre verbessernde Gesundheitszustand der Älteren bei den später geborenen Generationen nicht fortsetzt. Die jüngere Generation wird demzufolge früher und häufiger krank als ältere. Diese Entwicklung findet sich beispielsweise auch für die USA.

Für ihre Übersichtsarbeit werteten die Forscher nationale und internationale Studien aus, stellten eigene Recherchen an und nutzten zudem Daten der AOK Niedersachsen, die eine breite Sozialstruktur abbilden. „Wir haben uns den Zeitraum von 2005 bis 2019 angeschaut und zu verschiedenen Zeitpunkten Kohorten gleichen Alters miteinander verglichen“, berichtet Prof. Dr. med. Siegfried Geyer, Leiter der Medizinischen Soziologie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH).

Der Gesundheitszustand der heutigen älteren Generation, also der Menschen, die bis in die 1950er und 1960er Jahren geboren wurden, hat sich deutlich verbessert: Alle Arten von Herzkreislauferkrankungen nahmen ab oder verschoben sich in ein höheres Lebensalter.  Das gleiche gilt auch für Schlaganfälle und Lungenkrebs, primär bei Männern. Parallel zum Rückgang des Nikotinkonsums verringerte sich von 2006 bis 2017 die Lungenkrebsrate bei Männern um 31 Prozent. Auch dementielle Erkrankungen treten in der Altersgruppe seltener oder später auf. Für die genannten Erkrankungen fand bei dieser Generation also eine deutliche Morbiditätskompression statt. „Es gibt bildungs- und einkommensabhängige Unterschiede, aber insgesamt hat die ältere Generation deutlich an Gesundheit gewonnen“, betont Geyer.

Zu den Erkrankungen, deren Rate über alle Altersgruppen hinweg stieg, gehört Diabetes mellitus Typ 2. Hier stellten die Wissenschaftler eine Morbiditätsexpansion fest. Besorgniserregend ist, dass die Erkrankung immer häufiger schon im frühen Erwachsenenalter auftritt. „Das ist mit einer verlängerten Erkrankungsdauer und einem erhöhten Risiko für Komorbiditäten verbunden“, stellt Geyer fest. Das zeige sich bereits in den Altersgruppen der 18- bis 45-Jährigen. Alarmierend ist auch die Entwicklung von Adipositas in jungen Lebensjahren. So hat sich der Anteil adipöser Menschen im Alter zwischen 25 und 55 Jahren im Zeitraum von 2004 bis 2020 fast verdoppelt. Er stieg von insgesamt 12,7 auf 23,4 Prozent an. Adipositas begünstigt wiederum Erkrankungen wie Diabetes mellitus Typ 2, Bluthochdruck, Herzinfarkt, Schlaganfall und Fettleber.

„Die These der Morbiditätskompression des US-Mediziners James de Fries vom Anfang der 1980er Jahre hat sich in unserer Untersuchung nur für die heute ältere Generation bestätigt. Sie ist wesentlich gesünder als die Generation ihrer Eltern und Großeltern. Diese positive Entwicklung setzt sich aber bei den später Geborenen nicht fort“, fasst Geyer die Ergebnisse der Übersichtsarbeit zusammen. Bei der jüngeren Generation sei eine Morbiditätsexpansion festzustellen.

Der schlechtere Gesundheitszustand gehe zudem einher mit einer demografischen Verkleinerung der Gruppe jüngerer Menschen. Dies könne enorme Auswirkungen auf die sozialen Sicherungssysteme und die Wirtschaft haben. „Die Krankheitsfälle werden zukünftig zunehmen und die Gesundheitskosten steigen“, befürchtet der Medizinsoziologe. Um dem entgegenzuwirken, müssten die Arbeitsbedingungen einzelner Berufsgruppen stärker ins Blickfeld rücken. Früher galten hauptsächlich körperliche Belastungen und Schadstoffexpositionen als Gesundheitsrisiko. Heute hingegen ergeben sich Risiken aus überwiegend sitzender Tätigkeit. Geyer: „Wir bewegen uns zu wenig. Es bedarf dringend präventiver Maßnahmen am Arbeitsplatz.“ Und auch bei der Ernährung läuft vieles falsch. Denn während durch die veränderte Lebensweise der notwendige Kalorienbedarf über die Jahre stetig gesunken ist, ist der tatsächliche Kalorienverbrauch ständig gestiegen.

Hintergrund: Von Morbiditätskompression wird gesprochen, wenn Krankheiten oder Behinderung insgesamt seltener oder im Lebensverlauf später auftreten. Ist das der Fall, wird gesunde Lebenszeit gewonnen. Bei einer Morbiditätsexpansion hingegen treten Erkrankung oder Behinderung insgesamt häufiger oder im Laufe des Lebens früher auf. Ist das so, geht gesunde Lebenszeit verloren. Die Menschen leben dann mehr Lebensjahre mit Beeinträchtigungen und Behandlungsbedürftigkeit.

Pressemitteilung „MHH-Forschung: Jüngere Generation wird früher und häufiger krank als ältere“.  Medizinische Hochschule Hannover (MHH), 4.9.2023 (https://www.mhh.de/presse-news/mhh-forschung-juengere-generation-wird-frueher-und-haeufiger-krank-als-aeltere).
* Forschungsprojekt „Morbiditätskompression und ihre Alternativen“. Forschungs- und Lehreinheit Medizinische Soziologie der MHH (https://www.mhh.de/morbikompression).

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