- Anzeige -
News

Forschung

Warum Ketamin antidepressiv wirkt – und was das heißt

2.6.2022

Warum das ursprünglich als Narkotikum eingesetzte Ketamin auch als Antidepressivum bei behandlungsresistenten Patienten genutzt werden kann, haben Münchner Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie (MPIP) entschlüsselt. Das Ergebnis liefert neue Ansätze für künftige Antidepressiva.

Die antidepressive Wirkung von Ketamin entsteht so: Ein spezieller Kaliumkanal (Kcnq2) verändert sich nach Ketaminbehandlung in glutamatergen Neuronen im ventralen Hippocampus. Eine Aktivierung dieses Kaliumkanals verstärkt die antidepressive Wirkung von Ketamin. Die Ergebnisse liefern neue Ansätze für künftige Antidepressiva. Außerdem zeigen sie Anhaltspunkte dafür, bestehende Medikamente in der klinischen Anwendung neu zu kombinieren. Die Zulassung zur nasalen Anwendung besteht in der EU seit 2019.

Das ursprünglich als Narkotikum eingesetzte Ketamin wurde in den vergangenen Jahren als Antidepressivum bei behandlungsresistenten Patienten genutzt. Eine Einzeldosis führt innerhalb weniger Stunden zu einer schnellen antidepressiven Reaktion. Die Wirkung von Ketamin hält nach dem biochemischen Abbau im Körper mehrere Tage lang an. Im Gegensatz dazu wirken „herkömmliche“ Antidepressiva erst nach Wochen. Zudem müssen Patienten sie täglich einnehmen, um die positive Wirkung aufrechtzuerhalten. „Ich möchte verstehen, welche molekulare Kaskade Ketamin auslöst, die zu der anhaltenden antidepressiven Wirkung führt. Wenn man den Mechanismus versteht, kann man bessere Medikamente entwickeln, die das System gezielter beeinflussen können“, erklärt Juan Pablo Lopez, Erstautor der Studie.

Neue Wirkstoffkombinationen?

Die Studie zeigt, dass Ketamin den Kaliumkanal Kcnq2 in einer bestimmten Neuronenart des Hippocampus hochreguliert, wo ein Teil der antidepressiven Reaktionen gesteuert wird. Der Kaliumkanal ist dafür bekannt, dass er die neuronale Stabilität aufrechterhält: Er wirkt wie eine Bremse auf Neurone, die aufgrund von Reizen übermäßig stark Impulse abfeuern. Die Wissenschaftler identifizierten den Kanal mithilfe eines neuen methodischen Ansatzes, der Einzelzell-RNA-Sequenzierung. Diese Methode war entscheidend, da sie es ermöglichte, zelltypspezifische molekulare Veränderungen zu erkennen. „Wir konzentrierten uns auf glutamaterge Neuronen, da diese die größten Veränderungen aufwiesen und bereits früher mit der antidepressiven Wirkung von Ketamin in Verbindung gebracht wurden. Andere Forschungsgruppen haben zuvor Gewebeproben verwendet, die sich aus verschiedenen Zelltypen zusammensetzen. Als Folge konnten zelltypspezifische Effekte nicht erkannt werden, da sich Behandlungseffekte unterschiedlicher Zelltypen gegenseitig aufhoben“, fasst Lopez zusammen.

Das Forscherteam aktivierte zudem den Kaliumkanal mit dem Antikonvulsivum Retigabin (zur Behandlung von Epilepsie). Diese Aktivierung des Kanals verstärkte die antidepressive Wirkung von Ketamin. Außerdem hielt die Wirkung von Ketamin länger an, wenn die Forscher es zusammen mit Retigabin verabreichten. Die Wissenschaftler nutzten die Maus als Modellorganismus, gehen jedoch davon aus, dass die Ergebnisse auf den Menschen übertragbar sind, da Signalwege zwischen den Spezies konserviert sind. „Ein Vorteil unserer Studie ist, dass wir die von der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA zugelassenen Medikamente Ketamin und Retigabin verwendet haben. Die Kombination dieser beiden Medikamente kann nun am Menschen getestet werden. Der zusammenwirkende Effekt bei Mäusen deutet darauf hin, dass die Dosen von Ketamin und Retigabin in der klinischen Anwendung reduziert werden können, was Nebenwirkungen verringern könnte“, schlussfolgert Prof. Dr. Alon Chen, ehemaliger Direktor des MPIP und derzeitiger Präsident des Weizmann Institute of Science in Israel. Das Verständnis des Wirkmechanismus von Ketamin und der daran beteiligten Signalwege ist entscheidend, um neue Medikamente zur Behandlung von Depressionen zu entwickeln.

Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie, Juni 2022
Lopez JP et al.; Neuron 2022 May 25; S0896-6273(22)00409-3, DOI 10.1016/j.neuron.2022.05.001, PMID 35649415

No items found.
Lesen Sie mehr und loggen Sie sich jetzt mit Ihrem DocCheck-Daten ein.
Der weitere Inhalt ist Fachkreisen vorbehalten. Bitte authentifizieren Sie sich mittels DocCheck.
- Anzeige -

Das könnte Sie auch interessieren

123-nicht-eingeloggt