Die Ätiologie der Endometriose bleibt trotz intensiver Forschung unvollständig geklärt, weshalb die Identifizierung und Charakterisierung von Risikofaktoren weiterhin von hoher Relevanz ist. Während frühere Studien bereits Assoziationen zwischen selbstberichtetem Kindesmissbrauch und einem erhöhten Endometriose-Risiko nahelegten, untersuchte eine aktuelle schwedische Studie jetzt den potentiellen Zusammenhang eines breiteren Spektrums belastender Kindheitserfahrungen (Adverse Childhood Experiences, ACEs) mit der späteren Diagnose einer Endometriose.
Die prospektive, registerbasierte Kohortenstudie schloss alle zwischen 1973 und 2001 in Schweden geborenen Frauen ein. Nach Anwendung der Ausschlusskriterien (Tod oder Auswanderung vor dem 15. Lebensjahr, Endometriose-Diagnose vor Studienbeginn, Adoption) umfasste die Analysestichprobe 1.316.946 Frauen. Die Endometriose-Diagnose (n=24.311) wurde anhand klinisch validierter ICD-Codes aus nationalen Patientenregistern identifiziert. Belastende Kindheitserfahrungen (ACEs) – darunter elterliche Substanzgebrauchsstörungen, elterliche psychiatrische Störungen, Interventionen der Jugendfürsorge, elterliche Trennungen, instabile Wohnverhältnisse, sozioökonomische Benachteiligung, körperliche Gewalterfahrungen der Frau und häusliche Gewalt gegen die Eltern – wurden ebenfalls über verknüpfte nationale Register erfasst. Die Berechnung der Assoziationsstärke erfolgte mittels univariabler und multivariabler Cox-Regressionsmodelle (adjustiert für relevante Kovariaten), ausgedrückt als Hazard Ratios (HR) mit 95%-Konfidenzintervallen (95%-KI).
Die Ergebnisse zeigten signifikante Assoziationen zwischen nahezu allen untersuchten ACEs (mit Ausnahme des Todes eines Familienmitglieds) und einem erhöhten Risiko für eine spätere Endometriose-Diagnose. Die stärkste Assoziation bestand bei körperlicher Gewalterfahrung (HR = 2,38; 95%-KI 1,89-2,99), während ein Elternteil im Teenageralter die schwächste Assoziation aufwies (HR = 1,20; 95%-KI 1,13-1,27). Bereits das Vorliegen mindestens einer ACE war signifikant mit einem erhöhten Risiko verbunden (HR = 1,20; 95%-KI 1,17-1,24). Klar zeigte sich, dass mit steigender Anzahl der erlebten ACEs das Endometriose-Risiko kontinuierlich anstieg und bei fünf oder mehr ACEs eine Hazard Ratio von 1,61 (95%-KI 1,37-1,88) erreichte. Die Adjustierung für potentielle Störfaktoren (Confounder) veränderte diese Assoziationen nicht wesentlich.
Potentielle Rolle frühkindlicher Stressoren
Die Autoren weisen jedoch auf wichtige Limitationen hin, die bei der Interpretation berücksichtigt werden müssen: * Die bekannte Unterdiagnose der Endometriose könnte zu einer Unterschätzung der tatsächlichen Assoziationsstärke führen, da nicht diagnostizierte Fälle in der Kontrollgruppe landen (falsch-negative Fälle). * Die Erfassung der ACEs erfolgte indirekt über Registerdaten (z.B. Jugendamtsakten, Diagnosecodes), was eine Untererfassung subtilerer Belastungen und mögliche Klassifikationsfehler bedeuten kann; direkte Patientinnenberichte fehlten. * Das Studiendesign kann Assoziationen aufzeigen, aber nicht die Kausalität belegen; zudem könnten ungemessene oder unbekannte Confounder die Ergebnisse beeinflussen.
Trotz solcher Einschränkungen liefern die robusten Daten dieser großen nationalen Kohorte substanzielle Hinweise darauf, dass belastende Kindheitserfahrungen (ACEs) mit einem erhöhten Risiko für die spätere Entwicklung einer Endometriose assoziiert sind. Dies unterstreicht die potentielle Rolle frühkindlicher Stressoren in der Pathogenese der Endometriose und bekräftigt die weitreichenden negativen gesundheitlichen Langzeitfolgen von ACEs. Dies verdeutlicht die dringende Notwendigkeit präventiver Maßnahmen zum Schutz von Kindern und zur Unterstützung gefährdeter Familien.
Klinische Implikation: Für die Praxis bedeutet dies, dass eine Vorgeschichte mit ACEs als potentieller Risikofaktor für Endometriose erkannt werden sollte. Bei Patientinnen mit bekannter ACE-Exposition und persistierenden gynäkologischen Symptomen – wie chronischen Unterbauchschmerzen, Dysmenorrhoe, Dyspareunie, unerfülltem Kinderwunsch oder gastrointestinalen Beschwerden unklarer Genese – sollte eine gründliche gynäkologische Abklärung erfolgen, wobei die Möglichkeit einer (bisher unerkannten) Endometriose gezielt in Betracht gezogen werden muss.
Rostvall M et al.: Adverse childhood experiences and the risk of endometriosis - a nationwide cohort study. Human Reproduction. 2025 Jun 11 (DOI 10.1093/humrep/deaf101).