Seit Jahrzehnten versiegt der Strom der Antibiotika. Forscher aus Wien berichten in einer hochrangigen Fachzeitschrift, einen neuen antibiotischen Wirkmechanismus entdeckt zu haben und somit eine neue Antibiotikaklasse entwickelt zu haben.
Neuartige Wirkstoffe, sogenannte BacPROTACs, sollen gezielt bakterielle Proteine abbauen und Bakterien somit unschädlich machen, berichtet ein Team des Wiener Forschungsinstituts für molekulare Pathologie (IMP) in Wien zusammen mit einer Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Markus Kaiser von der Universität Duisburg-Essen (UDE) in der Fachzeitschrift „Cell“. Die von ihnen entwickelte Molekülklasse sollen im Prinzip gegen jedes bakterielle Protein gerichtet werden können und eine komplett neuartige Antibiotika-Klasse darstellen.
Ausgewählte zelluläre Proteine mit individuell entwickelten Designermolekülen gezielt zu zerstören, ist ein neuer Ansatz zur Entwicklung von Chemotherapeutika in der Krebsbehandlung. Eine besonders intensiv erforschte Klasse solcher Proteinabbaumoleküle sind die sogenannten PROTACs (proteolysis targeting chimeras). In der jetzt veröffentlichen Studie hat das IMP-Wiener Team um Prof. Dr. Tim Clausen gemeinsam mit der UDE-Arbeitsgruppe Kaiser über die Krebstherapie hinausgeschaut: Die von ihnen entwickelte neue Klasse dieser Moleküle, genannt BacPROTACs, ist speziell darauf ausgerichtet, ausschließlich bakterielle Proteine abzubauen. Damit wirken sie gegen Infektionen durch verschiedene Bakterienklassen.
Nach einer UDE-Pressemitteilung können die neuen Wirkstoffe Menschen und Tieren nichts anhaben: Der Mechanismus, über den sie Proteine abbauen, kommt ausschließlich in Bakterien vor. „Da es sich um einen neuartigen Ansatz zur Bekämpfung bakterieller Infektionen handelt, gegen den noch keine Resistenzen bestehen, könnten BacPROTACs insbesondere dann eingesetzt werden, wenn konventionelle Antibiotika nicht mehr wirken“, sagt Kaiser. Damit könnten BacPROTACs das Fundament für eine dringend benötigte neue Antibiotika-Klasse bilden.
Die „Proteolyse-Targeting-Chimären“ (PROTACs) bestehen aus zwei miteinander verbundenen Teilen: einem Modul, das sich selektiv an das gewünschte Protein bindet, und einem Modul, das das Zielprotein mittels eines Enzyms der zellulären Protein-Abbau-Maschinerie (Proteasom) zuführt, die jede menschliche Zelle besitzt, um alte und defekte Proteine abzubauen. Damit wird das unerwünschte Eiweiß zerstört. Bei der in Richtung Bakterien weiterentwickelten PROTAC-Technologie ist der Ablauf etwas anders: Das BacPROTAC bindet ebenso an ein zu zerstörendes Protein, braucht aber kein Enzym, sondern dockt direkt an dem bakteriellen Proteasom an, wo das Protein abgebaut wird.
Pressemitteilung Universität Duisburg-Essen, Juni 2022
Morreale FE et al.; Cell. 2022 Jun 23;185(13):2338-2353.e18 (DOI 10.1016/j.cell.2022.05.009).